Eine Höhle, eine Raumkapsel, ein kleiner Piratenschlupfwinkel: "Diese Volumina", schreibt Xavier de la Salle, "sollten keine Abfolge von Raumkörpern mit festgelegten Funktionen sein, sondern eigenständige Räume mit einer eigenen plastischen und ästhetischen Wirkung. Da ihnen keine Gebrauchsanweisung beigefügt war, konnten die Kinder sie nutzen, wie sie wollten, entweder um sich zu bewegen oder unter dem Gesichtspunkt von Imagination und Projektion." Und manchmal, erinnert sich der französische Maler und Bildhauer zurück, wurden die Räume nicht nur von Kindern genutzt, sondern "zu anderen Stunden" auch von Erwachsenen.

Gemeinsam mit dem polnischen Architekten Simon Koszel und dem britischen Designer David Roditi gründet Xavier de la Salle 1967 die Group Ludic. Die interdisziplinäre Truppe beschäftigt sich mit der Planung und Errichtung von Spielskulpturen aus Polyurethan und Polyester. Die weißen und bunten Kunststoffkugeln balancieren meist auf bekletterbaren Stahlkonstruktionen. Auf diese Weise entstehen Spielplätze in Paris, Le Havre, Biarritz, Korsika, Rotterdam, Eindhoven, Den Haag sowie in diversen französischen Feriencamps. 1969 wird eine solche Spielskulptur auch im Quartier de la Chapelle im Norden von Paris (Foto rechts) in Betrieb genommen.

Wurm in der Göhner-Siedlung Sonnhalde in Adlikon bei Zürich (1972)
Foto: Heidy Gantner

"Das echte Terrain bestand für uns aus schwierigen Quartieren und Schlafstädten, aus Städten, wo das lebendige Straßentreiben dem Monofunktionalismus geopfert worden war, den viele Planer im Namen der Charta von Athen stumpfsinnig umgesetzt haben", sagt de la Salle. "Es ging uns darum, in den Raum einzugreifen, um die Art, wie man ihn konstruiert, besetzt und für Kinder zugänglich macht. Dabei wurde das Warum zu einer der entscheidenden Komponenten – egal ob es um Bildung, Entwicklung, Erziehung, Wohlbefinden, Komfort, Entdecken oder etwas anderes ging."

Spielplätze als kreatives Labor

Genau dieser in der Architekturdiskussion bislang wenig beachteten Thematik widmet sich die Wanderausstellung The Playground Project, die derzeit im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main haltmacht. "Zwischen 1950 und 1980 war der Spielplatz ein kreatives Labor, es gab eine sehr aktive Spielplatzbewegung, und in den Städten der Industrienationen sind viele innovative und verrückte Projekte entstanden, an denen sich Architekten, Künstlerinnen, Landschaftsarchitekten, aber auch Bürger, Aktivisten und Pädagoginnen beteiligt haben", sagt die Kuratorin, Raumplanerin und Politikwissenschafterin Gabriela Burkhalter.

Die Bandbreite an Spielplätzen aus dieser Ära, das zeigt der fast 300-seitige Ausstellungskatalog mehr als deutlich, reicht vom naturbelassenen Robinson-Abenteuerspielplatz über mond- und kapselartige Zitate auf Raumfahrt, Futurismus und Metabolismus bis hin zu aktionistischen Interventionen, die auf semichoreografierte Weise Open-Air-Bühnenbilder mit dem spielenden Kind im Mittelpunkt in Szene setzten. Die Projekte der deutschen Gruppe KEKS (Kunst, Erziehung, Kybernetik, Soziologie), die in der Ausstellung dokumentiert sind, machen neidisch. Man will noch einmal Kind sein.

Seilzirkus in der Wohnsiedlung Obstalle in Berlin (1978)
Foto: Conrad Roland

"Es war eine tolle, lebendige, mit vielen Konventionen brechende Zeit, in der vor allem die mitteleuropäische Architektenschaft ein neues Betätigungsfeld für sich entdeckt hat", so Burkhalter. "Die Typologie war nicht nur eine Spielwiese für Kinder, sondern auch für planende Erwachsene, die hier ihre ersten beruflichen Gehversuche gemacht haben und zu einem Experimentierthema beigetragen haben." Oft schlossen sich Künstler, Museen und industrielle Betriebe dieser Bewegung an. Eines der populärsten Beispiele ist der orangefarbene Lozzi-Wurm (in Anlehnung an den Erfinder und Künstler Yvan Pestalozzi, Foto Mitte), der in Serienproduktion ging und die Schweiz eroberte.

Ersatz für Wald und Wiese

Doch die Ursprünge des Spielplatzes liegen viel weiter zurück. Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die zunehmende Industrialisierung in Deutschland, Großbritannien und Nordamerika das Grün aus der Stadt mehr und mehr verdrängte, suchten Privatpersonen und Philanthropen nach einem möglichen Ersatz für Wald und Wiese und schufen so die ersten urbanen Sandspielflächen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs entwickelte sich die städtische Spielkultur rasant und gipfelte um 1910 in ausladenden, oft abenteuerlich hohen Holzkonstruktionen.

Spielplatz in der Pariser Rue de Boucry (1969)
Foto: Xavier de la Salle

Ob Industrialisierung, Arbeiterbewegung, zerbombte und kriegszerstörte Innenstädte, die Sehnsucht nach einem neuen Heimatgefühl in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, die sozialen Reformen in den Sechzigern oder der ungebremste Traum der Eroberung der Zukunft und des Weltalls: All diese gesellschaftlichen und politischen Tendenzen schlugen sich in formaler, stilistischer und nicht zuletzt pädagogischer Hinsicht in der Gestaltung von Spielplätzen nieder. Anfang der Achtzigerjahre jedoch ändert sich die Situation schlagartig.

"1980 beginnt in den USA die große Haftungsfrage und verändert damit die gesamte Gesellschaft", sagt Burkhalter. "Plötzlich geht es nicht mehr um den sozialen, körperlichen, pädagogischen Wert von Spielorten, sondern darum, ob die Fallhöhe eingehalten ist und sich das Kind den Kopf einklemmen kann oder nicht. Von da an bestimmen jene Firmen den Markt, deren Standardisierte Produkte die strengen Normen und Vorschriften erfüllen." Der Verlust ist unwiederbringlich. In der zunehmenden Konsum- und Digitalisierungsgesellschaft in der physische Bewegung und soziale Interaktion bedrohte Werte geworden sind, ist der Bedarf nach dem klassischen Spielplatz als drittem Pädagogen größer denn je. (Wojciech Czaja, 18.01.2020)