Österreichs Tennislegende Thomas Muster gehört seit dem 8. Jänner offiziell dem Betreuerstab von Dominic Thiem an. Der 52-jährige Muster steht dem Fünften der Weltrangliste heuer für 20 Wochen zur Verfügung. Sie weilen und arbeiten gemeinsam in Melbourne, wo am Montag die Australian Open beginnen. Thiem (26) trifft am Dienstag in Runde eins auf den Franzosen Adrian Mannarino.

STANDARD: Kann der Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier geplant werden, oder muss er einfach passieren?

Muster: Ab einer gewissen Spielstärke kann man ihn planen. Wenn Sie mich aber auf Dominic Thiem ansprechen, dann lautet meine Antwort: Nein.

Legende Thomas Muster möchte seinen Beitrag leisten.
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STANDARD: Warum das?

Muster: Weil er noch nicht in der Liga von Nadal, Djokovic oder Federer ist. Deshalb kann man den Triumph nicht planen, man muss Runde für Runde spielen. Steigert er sich in jeder Partie und passt auch sonst alles, dann ist einiges möglich. Aber Dominic geht nicht als Favorit in die Australian Open. Es gibt, abgesehen von dem großartigen Trio, auch noch die Herren Medwedew und Tsitsipas. Als Ziel ist ein Viertelfinale schon gut.

STANDARD: Welchen Beitrag können Sie leisten, damit Thiem seinen Traum realisieren kann?

Muster: Es gibt tausende Beiträge. Im Konditionellen, im Technischen, im Kopf. Man kann und muss an jeder Schraube drehen. Es ist bei ihm alles da, aber es ist nichts perfekt.

STANDARD: Sie haben ja sicher eine Bestandsaufnahme, eine Analyse, gemacht. Was fehlt noch zum ganz großen Champion?

Muster: Ich werde das niemals öffentlich diskutieren, ich bespreche das intern. Ich weiß es, aber ich posaune es nicht raus, das entspricht nicht meiner Art. Es ist egal, was ich glaube. Ich werde auch nicht viele Interviews geben, das erledigen die Trainer Nicolas Massu und sein Vater Wolfgang Thiem. Ich mache meine Arbeit, will mein Wissen so gut und direkt wie möglich einbringen. Ich rede nicht um den heißen Brei herum. Es haben Verbesserungen bereits stattgefunden, speziell seit dem Sieg in Wien. In den vergangenen vier Wochen gab es wieder eine Leistungssteigerung. Der Rest wird kommen.

STANDARD: Zu Ihren Beweggründen: Warum machen Sie das?

Muster: Dominic ist der einzige Spieler, für den ich dazu bereit bin. Ich hatte immer wieder Angebote, die habe ich alle abgelehnt. Wenn ich die Chance habe, einem Österreicher zu helfen, damit er vielleicht ein Grand Slam gewinnt, vielleicht die Nummer eins wird, dann ist es ein Grund. Ich sehe in Dominic einen Spieler, der viel besser werden kann, als ich es jemals war. Es ist aber nicht so, dass der Muster daherkommt, von heute auf morgen ist alles anders, und Thiem gewinnt 1000er und Grand Slams in Serie. Man muss Dinge einimpfen, in richtige Bahnen lenken. Er setzt die Sachen recht schnell um. Aber die anderen arbeiten auch hart, haben gute Coaches.

Kann es noch: Thomas Muster.

STANDARD: Von den Grundschlägen her ist Thiem hervorragend ausgebildet, oder?

Muster: Das glaubt man nur.

STANDARD: Es heißt, im Spitzensport würde letztendlich der Kopf entscheiden. Was halten Sie von Mentalcoaches?

Muster: Warum sollte man einen Mentalcoach engagieren? Es rennen eh schon sechs Leute um ihn herum. Mental stark sein bedeutet, viel Selbstvertrauen und den Glauben an sich selbst zu haben. Das kommt mit dem Erfolg. Thiem ist gefestigt, er hat keine Aussetzer, führt nicht dauernd 4:1 und verliert dann die Partie. Er macht auch nicht 25 Doppelfehler wie Zverev.

STANDARD: Wenn Sie Thiem mit sich selbst vergleichen, erkennen Sie Parallelen?

Muster: Er ist grundsätzlich ein anderer Spielertyp, aber natürlich gibt es Parallelen. Er fightet super, hat eine unglaubliche Einstellung beim Training, saugt Sachen auf, setzt sie um. Ich habe von ihm noch nie ein "Na", "Das geht net", "Ich will nicht" gehört. Er besitzt die absolute Bereitschaft zu lernen, besser zu werden.

STANDARD: War es zu Ihrer Zeit schwieriger oder einfacher, Champion zu werden?

Muster: Es ist immer gleich schwierig, es gibt immer gute Leute, so war es in den Neunzigern, in den Siebzigern. Um große Dinge zu gewinnen, muss man große Dinge bewegen. Du musst gute Leute schlagen, es muss 14 Tage lang alles passen. Ein Grand Slam zu holen, beinhaltet auch ein bisserl ein Glück in der Auslosung. Selbst der Nadal hat manchmal Probleme. Früher waren die Bälle schneller, die Beläge unterschiedlicher, es gab mehr Spezialisten, der Kreis an Champions war somit größer. Jetzt sind die Beläge ausgeglichener, vereinheitlicht, man muss sich nicht permanent umstellen. Zu meiner Zeit gab es andere Mentalitäten, Jugendliche ticken heute völlig anders.

STANDARD: Seit mehr als einem Jahrzehnt dominieren Nadal, Djokovic und Federer nach Belieben. Wann brechen sie weg?

Muster: Man redet seit drei Jahren davon, und es passiert nicht.

STANDARD: Aber es wird aus Altersgründen in absehbarer Zeit passieren. Muss man gar nicht mehr so sehr auf das Trio achten?

Muster: Das glaube ich auch. Es kommt aber großer Druck von unten. Es ist auch ohne die drei keine g’mahde Wiesn.

STANDARD: Wird es bereits heuer einen neuen Grand-Slam-Sieger geben?

Muster: Ich tippe auf Ja.

STANDARD: Kann es Thiem sein?

Muster: Ja, aber es können auch fünf andere sein.

STANDARD: Australien wird von verheerenden Buschbränden heimgesucht. Ist es moralisch vertretbar, das Turnier zu spielen?

Muster: Es ist moralisch absolut vertretbar. Die Luft ist nicht berauschend. Es hängt vom Wind ab. Ich lebte lange hier, für Australien sind Buschfeuer nichts Neues, nur in dieser Dimension sind sie außergewöhnlich. Es ist schrecklich, dass Menschen und Millionen von Tieren starben. Es wird viel gemacht in diesem Land, Geld aufgetrieben, um den Opfern zu helfen. Die Tennisspieler und der Veranstalter spenden, leisten einen kleinen Beitrag. Die Welt dreht sich weiter. Das muss so sein. So brutal es klingen mag. (Christian Hackl, 18.1.2020)