Fidesz-Chef Viktor Orbán sah sich nur noch "einen Zentimeter" vom aktiven Austritt entfernt.

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Die Aussichten auf den Verbleib von Ungarns Regierungspartei Fidesz in der Europäischen Volkspartei (EVP) schwinden dahin. Zuletzt sah sich Fidesz-Chef Viktor Orbán nur noch "einen Zentimeter" vom aktiven Austritt entfernt. Auslöser war eine – nicht besonders wichtige, nicht besonders überraschende – Abstimmung im Straßburger Europaparlament. "Wenn uns unsere Verbündeten verraten, so wie uns die Mehrheit der EVP gestern verraten hat, dann haben wir in ihren Reihen nichts mehr zu suchen", sagte Orbán am Freitag in seinem regelmäßigen Interview im Staatsfunk.

Die EVP, der auch die ÖVP angehört, hatte im März 2019 die Mitgliedschaft der rechtspopulistischen Fidesz suspendiert. Grund: Hetzkampagnen gegen den damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und den ungarischstämmigen US-Investor George Soros sowie allgemein der Demokratieabbau im "illiberalen Staat" des seit 2010 als Ministerpräsident amtierenden Orbán.

Im vergangenen Frühjahr war gerade die Vertreibung der von Soros gegründeten Central European University (CEU) aus Budapest nach Wien zum Tragen gekommen. Seitdem wurden die Forschungsinstitute der Akademie der Wissenschaften unter Regierungskuratel gestellt, die Fraktionsfreiheit der Abgeordneten beseitigt und der Finanzierung der Theater der letzte Rest von Rechtssicherheit genommen.

Ähnliches stellte eine Europaparlamentsresolution vom Donnerstag fest. Das Dokument soll Druck für die Weiterführung des gegen Ungarn laufenden Grundwerteverfahrens nach Artikel 7 der EU-Verträge machen. Dieses hatte die EU-Kommission im Vorjahr eingeleitet. Die Resolution hielt nun fest, dass sich der Zustand der Demokratie in dem Land sogar noch verschlechtert habe.

Brücken abbrennen

In einem Rundfunk-Interview empörte sich Orbán darüber, dass die große Mehrheit der EVP-Abgeordneten – zusammen mit Sozialdemokraten, Linken, Grünen und Liberalen – für die ungarnkritische Entschließung gestimmt hatten. Klar ist aber auch, dass Orbán mit seinen dramatischen Ansagen das eigene Publikum auf einen möglichen von ihm aktiv vollzogenen Austritt aus der EVP einstimmen will. Dies wäre die einigermaßen gesichtswahrende Alternative, sollte sich die EVP in den nächsten Wochen gegen die Wiederherstellung der Fidesz-Vollmitgliedschaft oder sogar für einen Ausschluss entscheiden.

Zugleich brennt Orbán offenbar bewusst alle Brücken zur EVP ab. Zum Votum am Donnerstag sagte er: "Hinter solchen Aktionen steht eindeutig das Soros-Netzwerk." Dieses übe "auf mafiaartige Weise" Einfluss auf die europäische Politik und auch auf die EVP aus. Beweise für seine Verschwörungstheorie hat Orbán nicht. (Gregor Mayer aus Budapest, 17.1.2020)