Ein Château in Frankreich wäre für viele Menschen wohl von einer Idealvorstellung von Ruhestand nicht weit entfernt. Ein paar Hundert Meter Weinstöcke, ein Hund, eine Aussicht zum Niederknien, dazu zwei dienstbare Geister. Und aus einem Loch in einer Wand kommt jederzeit wie aus dem Nichts der gewünschte Earl Grey, entkoffeiniert.

Für Jean-Luc Picard sieht so der Alltag aus. Der einzige Haken bei der Sache: Leben wie ein Halbgott in Frankreich ist ein wenig monoton. Und es gibt noch offene Rechnungen aus der Zeit der beruflichen Tätigkeiten. Picard ist ja nicht irgendwer, er war seinerzeit der wichtigste Kapitän eines Starschiffs, also eines Raumschiffs der Starfleet aus dem Universum, das "nie ein Mensch zuvor gesehen hat".

Offizier und Gentleman

Und was heißt Kapitän! Picard war Admiral, höher geht es nicht mehr in der Hierarchie. Picard war der Nachfolger des vielleicht noch ein bisschen wichtigeren Captain Kirk, den man sich auf einem Château in Frankreich nicht so richtig dauerhaft vorstellen kann. Es kommen da einfach nicht ausreichend schöne Frauen vorbei, mit denen er zweideutige Gespräche führen könnte. Picard hingegen ist durch und durch Gentleman. Wenn er sich mit einer Frau trifft, spricht er mit ihr über "synthetische Lebensformen" und schwärmt von seinem Lebensmenschen, einem blassen Androiden mit dem bezeichnenden Namen Mister Data.

Prime Video UK

James Tiberius Kirk und Jean-Luc Picard hatten das Kommando auf der Enterprise, als die amerikanische Science-Fiction-Serie und die Welt der Starfleet noch halbwegs übersichtlich waren. 1969 ging die erste Phase zu Ende, 1994 dann die zweite, in der Jean-Luc Picard im Mittelpunkt stand: Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert.

Für den Schauspieler Patrick Stewart, der die Dignität eines Shakespeare-Interpreten auf die Brücke der Enterprise brachte, begann 1994 ein langer Frühruhestand, den er durch zahlreiche Auftritte in Filmen und Serien sehr aktiv gestalten konnte. Stewart war Mitte 50, als Jean-Luc Picard abtrat. Die Welt von Star Trek ist seither unaufhaltsam gewachsen, nicht zuletzt durch eine Reihe von Kinofilmen, in denen Picard auch immer wieder zu sehen war.

Reliquienschrein

Dass er aber noch einmal eine eigene Serie bekommen würde, das war nicht unbedingt zu erwarten. Patrick Stewart wird dieses Jahr 80. Das ist ein Alter, in dem man im Alltag zumindest darüber nachdenken kann, ob man noch Auto fahren soll. Patrick Stewart aber hat mit der Figur von Jean-Luc Picard in der Serie Star Trek: Picard deutlich Größeres vor. Er will noch einmal das Kommando auf einem Schiff übernehmen. Etwaige Fragen nach der körperlichen Eignung beantwortet ein Arzt in der Serie locker: "Für eine Reliquie sind Sie in einem exzellenten Allgemeinzustand."

Prime Video UK

Die "Reliquie" oder das "Relikt" schnauft gelegentlich ein bisschen, wenn es schneller eine Treppe hinaufgeht – was bei einer Verfolgungsjagd schon einmal vorkommen kann. Und manchmal wird auch die Stimme ein bisschen dünner, als man es von einem bühnenerfahrenen Mann gewöhnt ist. Doch Action erwartet von Star Trek: Picard eigentlich niemand, jedenfalls nicht zentral. Die zehn Folgen (zehn weitere sind auch schon geplant) sollen einfach dem beliebtesten der Star Trek-Kapitäne noch einmal eine Bühne geben. Wobei das ja schon Teil des Spiels ist, dass niemand mit Sicherheit weiß, wer der Beliebtere ist: Kirk oder Picard? Für Alex Kurtzman, den Mann hinter der Idee mit der Reaktivierung des Relikts, ist es jedenfalls Picard.

Beim amerikanischen Medienimperium CBS wacht Kurtzman über die vielfältigen Aktivitäten von Star Trek: Discovery, der aktuellen Ausbaustufe des Universums, das immer noch auf die ursprünglichen Ideen von Gene Roddenberry zurückgeht. Star Trek: Picard ist eine Ausbuchtung davon. Im deutschsprachigen Raum läuft die Serie auf Amazon Prime. Am Freitag wurde sie in Berlin in Gegenwart von Patrick Stewart und weiteren Darstellern präsentiert (DER STANDARD bringt am Montag Interviews mit den Protagonisten aus Berlin zu Star Trek: Picard.)

"Ein anderer Picard"

Patrick Stewart erzählt in Berlin, was ihn an der Aufgabe reizte, und charakterisiert damit auch den Jean-Luc Picard, mit dem die Serie beginnt: "Die Anfrage war für mich gerade in dem Maß interessant genug, dass ich nicht sofort nein sagen wollte, sondern ein paar Fragen zu stellen begann. Und dann sah ich einen Aspekt in Star Trek: Picard, der für jeden Schauspieler von Interesse ist: Unterschiedlichkeit. Dieser Jean-Luc Picard ist ein anderer als der, den wir bisher kannten. Er ist in Schwierigkeiten. Er unglücklich, aber auch zornig. Er hat ein Schuldgefühl, und er gibt endlich zu, dass er Fehler begangen. Er gibt sich Blößen, als man ihn auf sein Verhalten in der Vergangenheit anspricht. Und dann passiert etwas, was ihm zwingt, noch einmal einzugreifen. Als Außenseiter, nicht als Admiral."

Von den Schauspielerkollegen wird Picard als "ein idealer Vater" und ein Vorbild an Führungsqualität beschrieben. Stewart selbst beschreibt die entsprechenden Qualitäten so: "Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, sich dabei aber persönlich zurückzunehmen, sodass es nicht um dich geht, sondern um deine Aufgabe. Ich fürchte, man kann nicht sagen, dass diese Eigenschaften derzeit weit verbreitet sind."

Der Mann mit Hut

Bei Fans wird die Sache mit dem Château eine gewisse Erinnerung auslösen. Denn in der letzten Folge der Fernsehserie Das nächste Jahrhundert verschlug es Picard auf eine Zeitreise, auf der er auch Station in der Zukunft machte. Näherhin 25 Jahre in der Zukunft. Picard trug damals Bart und einen Hut, er wurde auf älter geschminkt, und er machte sich an Weinreben zu schaffen. An dieser Erscheinung wird er nun gemessen, und so war auch eine der ersten Aussagen, die Patrick Stewart über das neue Projekt machte, dass Picard keinen Bart tragen werde. Er trägt überhaupt nur Charakterkopf, vollständig befreit von Haarwuchs, und sieht damit prächtig aus.

Von der Handlung der zehn Folgen soll selbstverständlich nur das Nötigste verraten werden. Die wesentlichen Koordinaten hat Autor Alex Kurtzman ohnehin schon benannt. Die Serie schließt vor allem an zwei Star Trek-Filme an: Nemesis (2002) und jenen von J. J. Abrams aus dem Jahr 2009, der einfach Star Trek hieß und mit dem die Geschichte von vorn begann. Picard war ja als Admiral deutlich mehr als nur der Kommandant eines Schiffs. Er betrieb galaktische Außen- und Imperialpolitik, vor allem im Verhältnis zu den Romulanern.

Alter Held, junge Heldin

Da trifft es sich gut, dass Star Trek: Picard auch eine junge Heldin hat, die sich mit diesem Volk gut auskennt. Isa Briones spielt eine Anthropologin namens Dahj, die lernen muss, wissenschaftlichen Jargon gegen praktisches Wissen zu tauschen. Vor allem aber muss sie herausfinden, wer sie wirklich ist und was das mit Mister Data zu tun hat. Grund genug, in den Weltraum zu stechen? Man gebe Jean-Luc Picard ein Schiff. Oder er nimmt sich eines. (Bert Rebhandl, 18.1.2020)

Lust auf Serien? Hier ist die neueste Folge des STANDARD-Podcasts Serienreif mit einer Vorschau auf die besten Serien des Jahres 2020: