"Treffen sich zwei Linke und spalten sich." Oder: "Treffen sich zwei Linke und sind einer Meinung." Der Witz funktioniert in beide Richtungen und zeigt das Dilemma: Linke, so lautet die Kritik, verzetteln sich in Details. Die eigenen Ansprüche sind so hoch, dass man im Streit auseinandergeht, statt sich auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen.

Die Ausgangslage: Die Ergebnisse der Wien-Wahl 2015.
Foto: Der Standard

In Wien gibt es aktuell dennoch wieder den Versuch, den "linken Rand" zu vereinen, um bei der Wien-Wahl, die spätestens im Herbst stattfinden wird, schlagkräftig auftreten zu können. Der linke Rand? Vertreter von KPÖ, "Der Wandel", "Wien anders" und der "Jungen Linken" sind ebenso an Bord wie einzelne Personen von Fridays for Future oder die Organisatoren der Donnerstagsdemos gegen Türkis-Blau. Am vergangenen Wochenende fand der Gründungskonvent von "Links" statt, das Resümee der Veranstalter fiel positiv aus. Es handle sich um den "Anfang eines neuen Roten Wiens", hieß es etwa auf Facebook. "Mach ma mit Links", lautet der Slogan der neugegründeten Gruppierung. Keine Partei, vielmehr eine Organisation will man sein, die linke Ideen vereint.

Es bleiben keine Zweifel, von wo Links seine Wählerinnen und Wähler rekrutieren möchte: Enttäuschte SPÖ-Anhänger befinden sich genauso im Becken, in dem man fischen will, wie bisherige Grün-Wählerinnen, die den Kurs der neuen Bundesregierung nicht mittragen und für die sich die Grüne Parteispitze zu sehr verbogen hat. Wer Links als Spitzenkandidat in die Wien-Wahl führen wird, soll im Mai entschieden werden: Prominentestes Gesicht ist derzeit Flora Petrik, die einst als junge Grüne gegen Ex-Parteichefin Eva Glawischnig rebellierte.

Die Resonanz auf den Gründungskonvent war groß: Die Anmeldung für das Treffen musste geschlossen werden, weil das Interesse im Vorfeld so groß war. Gekommen sind dann rund 500 Teilnehmer. In Onlineforen wurde heftig diskutiert, welche Linie gefahren werden soll. Wie etwa der Spagat zwischen sozialer Marktwirtschaft und ökologischer Vernunft zu gestalten sei. Dennoch wäre ein Einzug in den Gemeinderat überraschend: Bei der Wahl 2015 kam Wien anders (Andas), ein Bündnis aus KPÖ, Piraten, Echt Grün und Unabhängigen, auf nur 1,07 Prozent. Für den Einzug ins Rathaus sind fünf Prozent nötig.

Die ehemalige Grüne Flora Petrik ist derzeit die prominenteste Vertreterin von "Links". Die Organisation spitzt auf rote und grüne Stimmen.
Foto: Martin Kohlberger

Dass Links diese Grenze knackt, hält Politikberater Thomas Hofer unter den aktuellen Voraussetzungen aber für sehr unwahrscheinlich. "Da muss noch ordentlich etwas kommen", meint er. Der Organisation fehle es an zugkräftigem Personal und an "markigen linkspopulistischen Ansagen". Figuren wie Ernest Kaltenegger oder Elke Kahr, die die Kommunisten in Graz zu Höhenflügen und Werten um die 20 Prozent führten, seien derzeit nicht in Sicht. Grundsätzlich gebe es aber Platz und Potenzial für eine Linkspartei in Wien: weil laut Hofer "die Schwächen der SPÖ nicht zu übersehen sind und auch die Grünen Angriffsfläche bieten".

Die mögliche Konkurrenz von links außen verschärft jedenfalls die Ausgangslage für den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig: In aktuellen Umfragen – noch ohne ein potenzielles Linksbündnis – ist die Wiener SPÖ auf nur 32 bis 35 Prozent abgestürzt. Zwar wäre auch mit diesem für die Partei katastrophalen Ergebnis Platz eins deutlich abgesichert. Rote Parteistrategen warnen aber auch davor, dass eine realistische Mehrheit ohne SPÖ-Beteiligung kein Hirngespinst mehr ist: Türkise, Grüne und Neos könnten sich bei Wahlzugewinnen zusammentun und dafür sorgen, dass ein roter Wiener Bürgermeister der Vergangenheit angehört.

Diese Gschicht soll – so wünscht es sich die SPÖ – Wähler mobilisieren. Ein Duell um Wien also, gallisches Rot gegen aufmuckendes Bunt. Zuletzt hat bei den drei vergangenen Wien-Wahlen die von Ludwigs Vorgänger Michael Häupl ausgerufene Schlacht zwischen SPÖ und Heinz-Christian Straches FPÖ hervorragend funktioniert – für beide Parteien. Für Politikberater Hofer hätte ein Abwehrwahlkampf gegen eine Dirndlkoalition aber bei weitem nicht die Mobilisierungskraft wie vor fünf Jahren die Auseinandersetzung mit der FPÖ. Dass die Freiheitlichen ernsthafte Gegner im Kampf ums Bürgermeisteramt sind, glaubt 2020 aber kein Mensch mehr.

Heinz-Christian Strache steht vor einem möglichen Comeback mit der FPÖ-Abspaltung DAÖ. Für die Freiheitlichen wäre das ein weiterer Nadelstich.
Foto: Christian Fischer

Blaue auf dem Wiener Markt

Dabei sind diesmal im rechten Wählerspektrum wohl so viele Stimmen enttäuschter Blau-Wähler wie noch nie auf dem Wiener Markt: Die große Frage wird sein, wie viele jener Personen, die 2015 ihr Kreuz bei den Freiheitlichen machten, sich von der FPÖ verraten fühlen. Damals erreichten die Blauen unter idealen Rahmenbedingungen – Flüchtlingskrise, ungeliebte rot-schwarze Koalition im Bund – fast 31 Prozent der Stimmen. Diesmal ist die Ausgangslage nach Ibiza, Goldfund in Tirol und Spesenaffäre gänzlich umgekehrt. Noch dazu macht sich der verstoßene Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache daran, bei der Wien-Wahl anzutreten.

"Es braucht eine konsequente und starke H.-C.-Strache-Liste für Wien", schrieb er selbst auf Facebook. Die FPÖ-Abspaltung DAÖ (Die Allianz für Österreich) bereitet ihm die Bühne: Bei einer DAÖ-Veranstaltung am 23. Jänner könnte er endlich offiziell seine Spitzenkandidatur verkünden. Für die FPÖ unter Vizebürgermeister Dominik Nepp wäre das eine weitere "Gnackwatschn" im aussichtslosen Unterfangen, die FPÖ als einzige wählbare Alternative fernab vom Establishment darzustellen.

Die FPÖ konnte vor fünf Jahren von vielen ernüchterten ehemaligen Rot-Wählern profitieren. Diese von einem SPÖ-Comeback zu überzeugen wird für Ludwig wohl eine Herkulesaufgabe – auch wenn er bereits auffällig nach rechts blinkt und auf mehr Sicherheit, mehr Polizei und mehr Verbote setzt. Viel eher könnten diese Wähler aber weiter zur Kanzlerpartei ÖVP ziehen, die 2015 nicht einmal zehn Prozent erreichte. Bei der Nationalratswahl 2019 schafften die Türkisen in Wien fast 25 Prozent.

Der Wahlkampf wird dank der zunehmenden Konkurrenz von links und rechts spannend. Schließlich geht es erneut darum, ob die rote Bastion Wien hält. Türkise wie Grüne müssen dennoch doppelgleisig fahren: Sie sind auch logische Bündnispartner der SPÖ – und später möglicherweise auf das Wohlwollen Ludwigs angewiesen. (David Krutzler, Rosa Winkler-Hermaden, 18.1.2020)