Jedem sein Beethoven: Der deutsche Konzeptkünstler Ottmar Hoerl ließ zum runden Geburtstag des Meisters hunderte Statuen im Miniaturformat auf dem Münsterplatz in Bonn aufstellen.
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Ludwig van Beethoven (250) ist der Sohn eines Bonner (kurkölnischen) Musikers und Weinhändlers mit belgischen Wurzeln. Der Komponist u. a. von neun Symphonien übersiedelte 1792 nach Wien, wo er bis zu einem angeblichen Ableben 1827 rund 60-mal übersiedelte.

Wir trafen einen wie gewöhnlich mürrischen, aber vor Lebenskraft strotzenden Meister Beethoven in der von ihm bevorzugt aufgesuchten Heiligenstädter Gastwirtschaft. Das Haupthaar steht in dicken Strähnen in alle vier Himmelsrichtungen. Das edle Antlitz wirkt misstrauisch, verrät jedoch alsbald die wahre Treuherzigkeit des prinzipienfesten Bürgers. Zur Verständigung mit ihm bedienten wir uns eingangs eines alten Konversationsheftes.

Beethoven: Ein vermaledeites Heft? Ja, seid Ihr denn des ...? Wer hat Euch wollen einbläuen, ich sei des Hörens ohnmächtig? Ja, es stimmt: Verschließen habe ich mich müssen gegen die lärmige, zudringliche Welt! Als einem trefflichen Compositeur ward mir das Schellen der Läutwerke, die da die Leute wie flachgepresste Kohlestücke in Händen halten, von Grund auf zuwider.

STANDARD: Aber Sie haben doch schon lange vor Entstehung des iPhones vor aller Welt – oder wenigstens vor Ihren Brüdern Carl und Johann – einbekannt, dass Sie in menschlicher Gesellschaft "heiße Ängstlichkeit" befällt? Sobald Sie befürchten müssen, Ihr Leiden würde von anderen bemerkt?

Beethoven: So verlieh ich im "Heiligenstädter Testament" meinem Grame Ausdruck, als ich in der Tat Anzeichen von Schwerhörigkeit an mir bemerkt gehabt! Doch ich warne Euch: Euch allen, die Ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet, spiegele ich meine vollständige Ertaubung nur vor. Auch wurde ich der Aderlässe müde, der stinkenden, steirischen Kernölpfropfen in den Ohren ...

STANDARD: Sie waren durch den Lärm der Welt bekümmert?

Beethoven: Der menschlichen Dummheit und Bosheit ward ich müde, vornehmlich aber der musikalischen. Denn was taten die hohen Damen und Herren der Gelehrsamkeit? Sie dichteten mir, kaum dass sie mich tot geglaubt, Züge der verdrießlichsten Weiberfeindschaft an! Ich benutze also die hochwillkommene Gelegenheit, geehrter Herr Redaktör, um ein für alle Mal festzuhalten: Durch meinen Umgang mit Josephine von Brunsvik ist mir kaum etwas Männlich-Menschliches fremd geblieben! Bekümmert Euch, oh Ihr unfruchtbaren Zergliederer meines Erdenlebens, um die Kraft meiner Lenden fürder nicht mehr!

STANDARD: Wir dürfen also festhalten: Ihr berühmter Brief an die "Unsterbliche Geliebte" von 1812 ist tatsächlich an Josephine von Deym, geborene Brunsvik, gerichtet? Von der immerhin gemunkelt wird, sie hätte – in ihrer unglücklichen Ehe mit einem gewissen von Stackelberg – einer Tochter Minona das Leben geschenkt, die wiederum Ihnen, Meister, wie aus dem Gesicht gerissen …?

Beethoven: Minona, welchen Namen Ihr lediglich verkehrt herum lesen müsst, sodass Ihr seinen Sinn im Augenblick erkennen könnt: "anonim". Ach, Josephine, mein Phinchen: Was war sie nicht für eine honette, gewitzigte Person!

STANDARD: Wir wollen Sie nicht länger beim Löffeln der Suppe behelligen, welche Sie des Öfteren geruht haben, dem Kellner, nach unsachgemäßer Zugabe eines faulen Eis, an den Kopf zu werfen. Daher zum Abschluss, und weil Sie ja heuer Ihr 250. Wiegenfest feiern: Worin hat sich der Freiheitsdrang der wahrhaft ungezügelten Geister in Ihren Augen und, Pardon: in Ihren Ohren am glücklichsten bewährt?

Beethoven: Es ist freilich wahr: Sie alle wollen, kaum dass eine Mauer niederbricht oder ein Kerker geöffnet wird, immer nur meine Neunte hören! Oder, in Gottes Namen, den Fidelio. Dabei sollten Sie doch umso ergriffener meiner Chorfantasie op. 80 lauschen. Sie ist Klavierkonzert, Symphonie, Kantate, alles in einem! Und noch etwas: Der klügste Fuchs unter allen meinen Nachfahren war Hanns Eisler. Der hat der Hymne der DDR, dem Auferstanden aus Ruinen, wenn Sie geruhen, penibel Obacht zu geben, meine Freudenmelodie unterlegt. Die Harmoniefolge? Ist identisch. Und alle dachten immer, hinter Eislers Vertonung stecke Peter Kreuders Goodbye Johnny.

STANDARD: Sie lieben Schlager, Rock ’n’ Roll?

Beethoven: Schreiben Sie ruhig: Ich nehme Mussje Berry sein Roll over Beethoven gehörig übel. Ich präferiere den Jazz. Warum? In dieser hochlöblichen Musizierart blasen alle mit heißem Bemühen in riesige Hörrohre! (Ronald Pohl, 18.1.2020)