Trotz des Impeachment-Verfahrens sitzt der US-Präsident fest im Sattel. Das Jahr 2020 bringt den Vereinigten Staaten noch mehr Polarisierung und Mobilisierung, so Politikwissenschafter Reinhard Heinisch im Gastkommentar.

Cartoon: Michael Murschetz

Das Jahr 2020 wird nicht nur für die USA, sondern für alle Betroffenen amerikanischer Politik ein entscheidendes, und bereits die ersten Wochen haben es in sich: ein Amtsenthebungsverfahren, die wichtigsten Vorwahlen bei den Demokraten und Donald Trumps programmatische Rede zur Lage der Nation. All das wird einen mächtigen Schatten auf den Rest des Jahres werfen, das bereits mit einem für Trump typischen Militärschlag begann.

Crazy Trump

Der Drohnenangriff auf Irans wichtigsten Strategen, offen ausgeführt auf ein Target of Opportunity, wie es im Militärjargon heißt, also ein Angriff der günstigen Gelegenheit, diente dazu, sich endlich eines gefährlichen Feindes zu entledigen, aber auch dazu, eine unmissverständliche Botschaft zu senden: Trump ist bereit, sich über konventionelle Grenzen hinwegzusetzen. Dennoch war dieser Akt nach allen Informationen impulsiv, unerwartet harsch und daher weder von den Konsequenzen noch von der Coverstory her wirklich durchdacht. Und gerade deswegen war diese Intervention typisch für Trump: ein machtvoller, aus der sicheren Distanz ausgeführter Einzelschlag, der dem Gegner seine Unterlegenheit vor Augen führt, aber gleichzeitig der isolationistischen Einstellung des Präsidenten und seiner Basis entspricht. Ja keine weiteren Bodentruppen senden, kein sich Herummühen mit lästigen Verbündeten oder gar irgendeine Koordination mit Alliierten. Dazwischen gab es noch ein kurzes Aufflackern von Crazy Trump mit der Twitter-Meldung, dass man als Antwort auf Teherans Drohungen überlege, religiöse Kulturdenkmäler zu bombardieren.

Als überall die Nerven blank lagen und niemand mehr an das Impeachment-Verfahren dachte, erfolgte ein mediengerecht aufbereitetes Angebot von einem besonnener, aber entschlossen wirkenden Trump, dass ein Deal noch immer möglich sei, denn Ideale, Ideologien oder Prinzipien zählten für dieses Weiße Haus ohnehin nicht. Seine Basis scheint zufrieden, immerhin hat er versprochen, "die Bösewichte auszuschalten", den "Terroristen eines draufzugeben", aber keine langwierigen militärischen Einsätze zu starten, schon gar nicht irgendwelcher Ideale wegen. "Hawkish Isolationismus", also aggressiver Isolationismus, könnte man diese aus der America-first-Ideologie abgeleitete inoffizielle Doktrin nennen.

US-Stammesfehden

Nicht einmal der Kongress ist informiert worden. Die Einstellung des Weißen Hauses nach dem Motto "Was geht das überhaupt den Senat an?" erboste ja sogar die Republikaner. So dürfte nur Senator Lindsey Graham, der zufällig mit Trump in Florida Golf spielte, vom Militärschlag erfahren haben.

Obwohl der Kongress außen vor blieb, prahlte Trump aber dann dennoch vor seinen Anhängern in Ohio über die Details, die wiederum wie üblich der mühevoll konstruierten offiziellen Darstellung widersprachen. Egal – wichtig sind diese Ungereimtheiten ohnehin nicht mehr, denn die ganze Welt ist längst Bühne für die amerikanische Innenpolitik und die Stammesfehden zweier verfeindeter Lager, die längst lieber mit ihren internationalen Freunden paktieren, darunter den Israelis und Saudis auf der einen und den Westeuropäern auf der anderen Seite, als mit den politisch Andersdenkenden im eigenen Land.

Schwache Demokraten

Angesichts der Rekordwerte der US-Wirtschaft, wobei erstmals seit langem niedrige Einkommen stärker steigen als höhere, sitzt Trump trotz seiner allgemeinen Unpopularität fest im Sattel. Beim Amtsenthebungsverfahren im Senat ist kaum ein Szenario denkbar, bei dem er nicht als Sieger aussteigen würde.

Die Demokraten sind nach einem Jahr Wahlkampf und einer Fülle von neuen und alten Gesichtern, die ihr Glück versuchten, genau dort angelangt, wo sie vor einem Jahr standen. Ein extrem populärer 78-jähriger Außenseiter mit Herzkrankheit bricht Fundraising-Rekorde und steht einem 76-jährigen Insider gegenüber, der vor allem deshalb an zweiter Stelle liegt, weil er als wählbarer gilt als all die anderen Demokraten. Dieser Umstand sagt einiges über den Zustand der Partei und des Kandidatenfeldes aus, in dem es an Führungspersönlichkeiten mit nationaler Strahlkraft und einer dennoch realpolitischen Agenda mangelt. Angesteckt durch den grassierenden Populismus klingen mittlerweile auch viele Demokraten anders als der Mainstream und so hatte Senatorin Elizabeth Warren eine Revolution die Wirtschaft und Sozialvorsorge betreffend angekündigt. Andere versprechen kostenlose Unis, allerdings mit ungeklärter Finanzierung und ungeahnten Steuererhöhungen.

Keine Liebesheirat

Da sich im System jedoch bereits zwei Populisten breitgemacht haben, Trump auf der einen und Bernie Sanders auf der anderen Seite, bleibt dritten nur wenig Raum, ihre Botschaften anzubringen. Der verschreckte Rest der Bevölkerung sucht sich unter den verbleibenden, denjenigen mit den größten Wahlchancen, eben den ehemaligen Vizepräsidenten Jo Biden.

Immerhin verfügt Biden über einen eingespielten Apparat und ist eine bekannte Größe. Allerdings wird es zwischen der demokratischen Basis und Biden keine Liebesheirat. Es ist ausschließlich die Furcht vor den Alternativen, Sanders und schließlich Trump, der Teile der demokratischen Wählerschaft bewegt. In etwa einem Monat sind die ersten beiden Vorwahlen in Iowa und New Hampshire schon vorbei und damit eine ganz wichtige Vorentscheidung. Noch jeder Präsident neuerer Zeit war in diesen beiden Schlüsselwahlen ganz vorn dabei.

Aufgeladene Stimmung

Vorher steht uns allen noch das Amtsenthebungsverfahren bevor. Zwar wurde die Anklageerhebung bereits vor Weihnachten beschlossen, doch weigerte sich die Sprecherin des Kongresses Nacy Pelosi, die entsprechende Anklageschrift an den Senat zu übermitteln, wo das eigentliche Verfahren stattfinden wird. Dort haben die Republikaner die Mehrheit. Pelosi tat dies, um ihr Erbosen darüber öffentlich deutlich zu machen, dass die Republikaner im Senat nicht mit ihren demokratischen Senatskollegen gemeinsam die Verfahrensregeln festlegen, sondern de facto mit dem Beschuldigen, also mit Trump, eine gemeinsame Strategie paktieren, an deren Ende ein Freispruch winkt.

Zwar wird Oberstrichter John Roberts den Vorsitz führen, nur sind seine Entscheidungsbefugnisse stark eingeschränkt – er kann in seinen Entscheidungen jederzeit vom Senat überstimmt werden. Es ist eben nicht ein Gerichtsverfahren, sondern eines, in dem der Senat – und dort eben die Mehrheit – die Regeln bestimmen.

Wichtige Weichenstellungen

Auch hier zeigt sich der Krieg zwischen den beiden Lagern, denn selbst in der bereits ideologisch aufgeladenen Stimmung des Verfahrens gegen Präsident Bill Clinton in den 1990er Jahren, einigten sich die Senatoren beider Parteien in einer denkwürdigen Sitzung noch gemeinsam auf die Verfahrensregeln und es gab sogar eine Telefon-Hotline zwischen den beiden Fraktionsführern.

Den USA steht somit eine Phase noch größerer parteipolitischer Polarisierung und Mobilisierung bevor. Gleichzeitig muss allen bewusst sein, dass in den nächsten Wochen wichtige Entscheidungen fallen, die die politischen Geschicke der Supermacht nachhaltig beeinflussen. (Reinhard Heinisch, 19.1.2020)