Zwei, die mit der EU ihre Probleme haben, kommen in Berlin wieder zusammen: Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan und Russlands Präsident Wladimir Putin.

Foto: AFP / Adem Altan

Istanbul/Berlin/Tripolis – Die Blockade mehrerer Ölhäfen im Osten Libyens führt der staatlichen libyschen Ölfirma NOC zufolge zu einem massiven Produktionsausfall. Die tägliche Ölproduktion musste von bisher 1,3 Millionen Barrel auf 500.000 Barrel gedrosselt werden, teilte NOC am Samstag mit.

An den Häfen Brega, Ras Lanuf, al-Sedra und al-Hariga könne derzeit kein Öl ausgeführt werden, erklärte NOC. Die Häfen liegen am sogenannten Öl-Halbmond an der libyschen Nordostküste und sind die wichtigsten Drehkreuze für die Ölexporte des nordafrikanischen Krisenstaates. Das Gebiet befindet sich seit 2016 unter der Kontrolle Haftars.

Lebenswichtige Exporte

NOC-Chef Mustafa Sanella hatte zuvor bereits vor dramatischen Auswirkungen auf die libysche Volkswirtschaft gewarnt. Die Öl- und Gasbranche sei "lebenswichtig" für die libysche Wirtschaft und die "einzige Einkommensquelle der Libyer", erklärte Sanalla am Freitag.

Der UNO-Gesandte für Libyen hofft jedenfalls, dass die Ölhäfen schon in wenigen Tagen wieder geöffnet werden. Er könne das aber nicht voraussagen, sagt Ghassan Salame in Berlin. Sollte das Problem nicht umgehend gelöst werden, werde dies bei der Libyen-Konferenz am Sonntag in Berlin thematisiert.

Erdoğan fordert EU-Unterstützung

Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan forderte die EU auf, sich hinter die türkische Militärhilfe für die Regierung in Libyen zu stellen. "Angesichts der Tatsache, dass Europa weniger Interesse an einer militärischen Hilfe für Libyen hat, wäre die offensichtliche Möglichkeit, mit der Türkei zusammenzuarbeiten, die bereits militärische Hilfe leistet", schrieb Erdoğan in einem am Samstag veröffentlichten Beitrag in der US-Zeitschrift "Politico".

Zugleich drohte Erdoğan der EU vor erhöhter Terrorgefahr in Europa, sollte die von der UNO anerkannte Einheitsregierung in Tripolis gestürzt werden. "Europa wird mit einer Reihe neuer Probleme und Bedrohungen konfrontiert sein, wenn die legitime libysche Regierung fällt", . "Terrororganisationen" wie die Jihadistengruppe "Islamischer Staat" (IS) oder Al-Kaida könnten in Libyen "einen fruchtbaren Boden finden und wieder auf die Beine kommen".

Verstöße gegen Embargo

Die Türkei unterstützt in dem Konflikt militärisch die Regierung in Tripolis. Die Uno wirft Ankara deshalb Verstöße gegen das 2011 gegen Libyen verhängte Waffenembargo vor. Deutschland möchte auf der hochkarätigen Konferenz am Sonntag, zu der auch Erdoğan anreisen wird, eine Verpflichtung aller in Libyen aktiven Staaten erreichen, dass sie auf Waffenlieferungen verzichten und den Waffenstillstand einhalten.

Erdoğan erhob am Tag vor der Konferenz auch schwere Vorwürfe gegen Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien. Deren "undemokratische Regierungen" unterstützten den abtrünnigen General Khalifa Haftar, der einen Staatsstreich in Libyen plane. Der türkische Präsident bot an, dass sein Land die Soldaten der libyschen Armee ausbilden und sie etwa im Kampf gegen Terrorismus und Menschenhandel unterstützen könnte. An dem Treffen in Berlin sollen auch Haftar und Regierungschef Fayez al-Sarraj teilnehmen.

Der Uno-Sondergesandte für das Bürgerkriegsland, Ghassan Salamé, fordert einen Abzug ausländischer Kämpfer aus Libyen. "Wir haben einen Sicherheitsplan vorgelegt, der den Abzug aller ausländischen Kämpfer vorsieht, gleich welcher Nationalität", sagte Salamé der arabischen Zeitung "Al-Sharq al-Aws".

Deeskalation

Ob im Kanzleramt in Berlin vor diesem Hintergrund gelingen kann, woran etwa Frankreich und Italien, zuletzt aber auch Russland und die Türkei gescheitert sind, bleibt fraglich. Als Ziel der internationalen Libyen-Konferenz formuliert hat Gastgeberland Deutschland die Vermeidung einer Eskalation in dem Bürgerkriegsland. Erklärtes Ziel der Vereinten Nationen (Uno) ist eine permanente Feuerpause und eine konsequente Umsetzung des Waffenembargos. Das steht in einem Schreiben von UN-Generalsekretär António Guterres an die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, aus dem die Deutsche Nachrichtenagentur dpa zitierte.

Setzt sich in der Libyen-Krise für die Rückkehr zu einem politische Prozess ein: Uno-General Antonio Guterres.
Foto: AFP / Fabrice Coffrini

Demnach ist der Entwurf des Abschluss-Kommuniqués in sechs Bereiche unterteilt. Diese beinhalten neben der Erreichung eines Waffenstillstands und der Umsetzung des immer wieder missachteten Einfuhrverbots für Kriegswaffen auch Reformen in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit. Datiert ist der Brief mit 15. Jänner. Zudem sollen sich die Vertreter aus mehr als zehn Ländern am Sonntag für eine Rückkehr zu einem politischen Prozess in Libyen und zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts sowie der Menschenrechte verpflichten.

Putin, Erdoğan und Pompeo

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfängt am Sonntagnachmittag Vertreter von Staaten, die Einfluss auf den Libyen-Konflikt haben. Unter anderen werden Erdoğan, der russische Staatschef Wladimir Putin und US-Außenminister Mike Pompeo erwartet. In Libyen konkurrieren Ministerpräsident Fajez al-Sarraj und General Khalifa Haftar um die Macht – auch sie sollen nach Berlin kommen.

Aus dem UN-Bericht kann geschlossen werden, dass der Entwurf des Abschlussdokuments in den vergangenen Monaten in fünf Vorbereitungstreffen in Berlin mit Vertretern von mehr als einem Dutzend Ländern und Organisationen erarbeitet wurde. Unter ihnen sind USA, Russland und die Türkei, aber auch Italien, Frankreich, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate. Ob der von den Vereinten Nationen anerkannte libysche Regierungschef Fajes al-Sarraj und sein Gegenspieler General Khalifa Haftar am Sonntag tatsächlich kommen, galt allerdings als unklar.

Drei Verpflichtungen

Merkel und Außenminister Heiko Maas (SPD) erhoffen sich eine Vereinbarung aller im libyschen Bürgerkrieg aktiven Staaten, die drei Verpflichtungen vorsieht: Erstens einen Waffenstillstand für das Land, in dem seit dem Sturz des Machthabers Muammar Gadaffi im Jahr 2011 durch die USA, Frankreich und Großbritannien ein Bürgerkrieg tobt. Zweitens die Einhaltung des UN-Waffenembargos – was sich etwa an Länder wie Russland, die Türkei, Ägypten oder die Vereinigten Arabischen Emirate richtet. Und drittens die Bereitschaft zu einem politischen Prozess in Libyen unter UN-Leitung. Dazu hat die Bundesregierung bereits den Entwurf einer Erklärung vorgelegt.

Haftar führt mit seinen Truppen seit Monaten eine Offensive gegen die Hauptstadt Tripolis. Er erhält Hilfe von Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Jordanien. Sarraj wird von der Türkei unterstützt. Bei Verhandlungen in Moskau hatte Haftar jüngst eine Waffenruhe-Vereinbarung nicht unterzeichnet, während Sarraj dies tat.

Pendeldiplomatie seit Herbst

Die Bemühungen für die Libyen-Konferenz laufen seit Monaten, Merkel und Maas führten seit Herbst eine intensive Pendeldiplomatie. Die Kanzlerin hatte unter anderem mit den Präsidenten der USA, Russland, Ägyptens und der Türkei telefoniert, um die Teilnahme dieser Länder zu sichern. Maas war am Donnerstag in Bengasi in Ost-Libyen, um Haftar zur Teilnahme an der Berliner Konferenz zu bewegen.

Die Erkenntnis, dass keine Seite einen militärischen Sieg erringen kann, scheint nach Einschätzung von EU-Diplomaten auch die Präsidenten Russlands und der Türkei dazu gebracht zu haben, die Konferenz zu unterstützen. Zwar feierte der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, das Zustandekommen des Treffens schon als Erfolg. Doch deutsche und europäische Diplomaten räumten ein, dass ein Erfolg keineswegs sicher ist. Merkel betonte, dass es sich nur um den Auftakt eines politischen Prozesses handeln könne, der unter der Führung der UN stattfinden müsse.

Paris lobt Vorbereitung

Aus diplomatischen Kreisen in Paris verlautete, dass Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bei der Konferenz eine aktive Rolle spielen und Gastgeberin Merkel bereits vor Beginn der Beratungen treffen wolle. Macron setze sich bei der Krisenlösung für das ölreiche Bürgerkriegsland für Realismus ein. Die Libysche Nationalarmee (LNA) Haftars halte 80 Prozent des Landes. Es müsse daher vermieden werden, dass die Kämpfe in der Nähe der Hauptstadt Tripolis weitergehen. "Es ist nötig, dass die beiden (Konflikt-)Parteien eine Verhandlung beginnen, deren Parameter bereits bekannt sind und die in Berlin bestätigt werden", hieß es weiter.

"Glaubwürdige Abschreckung"

"Ein Waffenstillstand kann nicht funktionieren, solange es nicht glaubwürdige Abschreckung gegen seine Verletzung gibt", sagt der Libyen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Wolfram Lacher. "Das ist im Berliner Prozess aber nicht vorgesehen." Zwar hat die UN entsprechende Planungen für eine Überwachung eines Waffenstillstands – aber ihr fehlen die Zusagen für eine Blauhelmtruppe oder gar eine EU-Mission. Lacher hätte in einem von Russland und der Türkei organisierten Waffenstillstand deshalb größere Erfolgschancen gesehen – weil beide wie in Syrien militärische Mittel und den politischen Willen zu deren Einsatz hätten. "Die Drohung militärischer Reaktionen von Russland und der Türkei hätte zumindest ein Maß an Sicherheit für die beiden Vertragsparteien gegeben."

Bild nicht mehr verfügbar.

Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis versucht im Gespräch mit dem dem starken Mann in Libyen, Khalifa Haftar, zu vermitteln, eingeladen in Berlin ist er aber nicht,
Foto: Reuters / Costas Baltas

Die Gästeliste des Treffens in Berlin sorgt seit Tagen für Unruhe. Zuerst beschwerte sich Libyens Nachbarland Tunesien, dass es nicht eingeladen wurde, dann Griechenland. Die deutsche Bundesregierung wollte den Teilnehmerkreis nicht zu groß ziehen und beschränkte sich bei den Einladungen auf die Länder, die von außen auf den Konflikt einwirken, zum Beispiel durch Waffenlieferungen oder die Entsendung von Söldnern, hielt man in Berlin dagegen. (red, APA,dpa, Reuters 18.1.2020)