Was Atemtrakt und Blutkreislaufsystem betrifft, glich der über 400 Millionen Jahre alte Parioscorpio bereits einem modernen Skorpion (rechts).
Fotos: Andrew Wendruff

Wann und wie die ersten Tiere aus dem Meer stiegen und das Land eroberten, ist eine der ältesten und faszinierendsten Fragen der Paläontologie. Meist ist der Fokus dabei auf die Wirbeltiere und damit auf unsere eigenen Urahnen gerichtet. Doch als die an Land kamen, waren die Gliederfüßer schon längst da.

Es waren allerdings keine Insekten, die heute mit ihrer schieren Überzahl alle anderen Tiergruppen in den Schatten stellen. Soweit man weiß, haben sich die Insekten erst an Land entwickelt, vermutlich aus Krebs-Vorfahren. Die eigentlichen Pioniere scheinen aus den Reihen anderer Gliederfüßergruppen gekommen zu sein: Krebse, Tausendfüßer und vor allem offenbar Skorpione. Der bislang älteste bekannte Skorpion, gefunden in Schottland, lebte vor 434 Millionen Jahren im Zeitalter des Silur.

Der neue Alte

Dieser Fund wird nun durch eine Studie im Fachjournal "Scientific Reports" noch getoppt. Forscher der Ohio State University beschreiben darin einen zweieinhalb Zentimeter langen Skorpion, der noch ein bisschen älter ist als sein schottischer Cousin: Parioscorpio venator soll vor etwa 437 Millionen Jahren gelebt haben. Gefunden wurden seine Fossilien bereits 1985 im US-Bundesstaat Wisconsin. Seitdem lagen sie aber unbeachtet in den Beständen der University of Wisconsin, bis sie nun ein Team um Loren Babcock näher in Augenschein nahm und ihren Wert erkannte. Babcock spricht von einer "bahnbrechenden Entdeckung".

Unter dem Mikroskop konnten die Forscher jede Menge anatomische Details identifizieren, von den inneren Organen bis zur Kammer, in der das Tier sein Gift speicherte. Als besonders aufschlussreich erwies sich der Atemtrakt. Von seiner Grundform her war dieser laut Babcock identisch mit dem heutiger Skorpione, die reine Landbewohner sind.

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Wie ein Gruß aus fernster Vergangenheit: ein quicklebendiger Pfeilschwanzkrebs.
Foto: AP Photo/Ron Edmonds

Es zeigen sich aber auch Parallelen zu den Atmungsorganen von Pfeilschwanzkrebsen. Diese urtümlichen Tiere, die es heute noch gibt, leben großteils unter Wasser, können aber auch für einige Zeit an Land gehen und Luft atmen. Sie haben sich über hunderte Millionen Jahre hinweg körperlich kaum verändert und setzen damit einen Maßstab dafür, was erfolgreiche Anpassung bedeutet.

Babcock schließt aus dem Fund, dass es in der Ahnenreihe von Parioscorpio zu einer Prädisposition für Luftatmung gekommen war. Diese Ahnen, die noch im Wasser lebten, bildeten eine Morphologie von Atmungsorganen aus, die zwar nicht für Luftatmung "gedacht" war, sich aber leichter darauf umstellen ließ als die Organe anderer Meerestiere. Auf diese Weise wurde es den Skorpionen ermöglicht, die noch dünn besiedelten Küstengebiete ihres Zeitalters zu erobern.

Die Welt, in der der Skorpion lebte

Es waren übrigens nicht die Küsten Pangaeas, für den legendären Superkontinent war es noch viel zu früh. Zu Lebzeiten von Parioscorpio war die Landmasse der Erde auf mehrere Einheiten verteilt – darunter auch eine wohlbekannte: Im Süden existierte bereits Gondwana, für das der spätere Anschluss an Pangaea somit nur eine vorübergehende Phase war.

Ein kleines Teilstück Gondwanas mit der Bezeichnung Avalonia (heute ein Teil des Nordseebodens inklusive der Britischen Inseln) war allerdings von Gondwana abgebrochen und nordwärts gedriftet. Das trieb nun auf Baltica (das heutige Nordosteuropa) zu und sollte erst nach der Ära des Ur-Skorpions mit Baltica und Laurentia (Nordamerika) zu einem nördlichen Gegenstück Gondwanas verschmelzen. Insgesamt gab es im Silur also noch jede Menge Küstenlinien, die von ehemaligen Meeresbewohnern besiedelt werden konnten.

Der älteste Skorpion, aber kaum das älteste Landtier

Mit einer Datierung auf das frühe Silur ist Parioscorpio nicht nur der älteste bekannte Skorpion, sondern auch das älteste Spinnentier, das man je gefunden hat. Und er ist, wie Babcock betont, das älteste Tier, dem man Landtauglichkeit nachweisen konnte.

Der Pionier schlechthin dürfte er aber trotzdem nicht gewesen sein, doch hier stößt die Paläontologie an ihre Grenzen. Es wurden schon an verschiedenen Stellen der Erde Spurenfossilien – also vermutliche Fährten von Tieren – gefunden, die noch wesentlich weiter in der Zeit zurückreichen. Die allerältesten, wenn auch in Zweifel gezogenen, stammen mit einem Alter von 550 bis 560 Millionen Jahren sogar noch aus der Zeit vor dem Kambrium. Sie sind aber nicht eindeutig und könnten laut Babcock auch aus der Gezeitenzone stammen, also nicht von echten "Fußgängern". Solange keine direkten Fossilien dieser mysteriösen Tiere gefunden werden, bleibt die Frage nach den Pionieren des Landgangs offen. (jdo, 21. 1. 2020)