Auf dem Weg hinaus aus dem faschistischen Mief, mit den Mitteln von Zitat, Collage, Travestie: Federico Fellini in Begleitung seiner Frau Giulietta Masina, aufgenommen etwa 1957.

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Der Traum vom Fliegen gehört seit alters her zur menschlichen Geschichte. Federico Fellini war da keine Ausnahme, allerdings machte er kein Geheimnis daraus, dass es für ihn ein unheimlicher Traum war: losgelöst hoch über der Welt zu schweben, diese Vorstellung bereitete ihm kein Vergnügen.

In seinem vorletzten Film "Intervista" (1988) kam er noch einmal auf dieses Bild zurück, auf einen Blick von ganz oben, dem immer auch ein Blick von ganz unten entspricht. Fellini war der Regisseur im italienischen Kino nach 1945, der am stärksten die Mächte der Fantasie mobilisierte, der also die Geschichten von der Erdenschwere, wie sie in den Jahren nach dem Faschismus eine Weile dominierten, allmählich überwand.

In seinem Schlüsselwerk "Achteinhalb" ("Otto e mezzo", 1963) fand dieses Bild vom Abheben seine berühmteste Ausprägung: Marcello Mastroianni spielt einen Filmemacher, den es in den Himmel reißt, der dann aber auch unsanft wieder auf die Schwerkraft verwiesen wird, er plumpst ins Meer und wacht aus einem Traum auf.

Traum und Wirklichkeit

Die Spannung zwischen Traum und Wirklichkeit erreichte am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Federico Fellini, geboren 1920 in Rimini, war in vielerlei Hinsicht ein Mann des 19. Jahrhunderts, der sich in der Gegenwart einer Moderne zurechtfinden musste, die vieles banal zu machen drohte. Unter seinen Talenten ist sicher das eines Karikaturisten am wichtigsten geworden.

Er zählte zwar für eine Weile zum Neoralismus, aber schon sein erstes Hauptwerk "La strada" (1954, mit seiner Frau Giulietta Masina in der Hauptrolle) war geprägt von Ideen, die eher unter den Schaustellern und in Varietès zu finden waren, als in einer Welt, in der sich die Gegenwart anzukündigen begann.

Wenn man von heute aus, anlässlich seines 100. Geburtstags, aus Fellinis Werk blickt, kann man sehen, dass Fellini diese Gegenwart noch viel stärker in den Blick bekam als sein großes Gegenüber Pasolini, der bereits 1975 starb. Bei Fellini ist, zum Beispiel in "Ginger und Fred" (1985), die Welt als große Show zu sehen, in der die alten Künste ausverkauft werden. Das Fernsehen, auf das damals alles hinauslief, wusste noch nicht viel von Berlusconi, hat aber bereits alles für ihn vorbereitet.

"Velinismus"

Man kann also zugespitzt sagen, dass Fellini das Italien zwischen dem Faschismus und dem Velinismus zur Weltgeltung brachte – "veline" nennt man im Italienischen die Showgirls, die im Fernsehen allgegenwärtig sind. Sein Werk hatte zwei Hochphasen: die beiden zentralen Filme "La dolce vita" (1959) und "Achteinhalb" (1962), und dann die großen Studioproduktionen ab 1969, als er mit "Satyricon", "Roma" und "Casanova" seine eigene Kultur zu definieren begann.

Heute würde man von einer hybriden Kultur sprechen, eine Mischung aus Collage, Zitat und Travestie, in der das antike Italien in grotesken Entstellungen wiederkehrt, und in der Rom zu einer Stadt zwischen allen Zeiten wird, auch zwischen allen biographischen Lebenszeiten.

Fellini führte das Kino von den Landstraßen und den städtischen Winkeln zurück in das Studio: er vor allem war es, der den Traum von Cinecittá, von der großen, römischen Filmfabrik wiederbelebte. Den Höhepunkt erreichte diese Vision 1980 mit "Stadt der Frauen", in der Marcello Mastroianni in ein Wunderland gerät, in dem er es nahezu allein als Mann mit dem weiblichen Geschlecht in einer vielstimmigen Übermacht zu tun bekommt. Ein Traum, in dem ein Wunsch so übererfüllt wird, dass es wie eine Strafe wirkt.

Es wurde viel geschrieben über Federico Fellinis Frauenbild (übermütterlich, großbrüstig, schrill), dabei war es keineswegs exzentrisch: er versah nur mit der Signatur von zweideutiger Traumlust, was damals allgemein in Mode war.

Heidnische Welt

Mit seinem autobiographischen Film "Amarcord" (1973) kehrte er nach Rimini zurück, in eine Welt der erfundenen Erinnerungen, in eine heidnische Welt, in der sich der Faschismus breit macht. Auch daran durchschaute (und betonte) Fellini den Eros als die zentrale Kraft.

Seine Bedeutung als eines der Großmeister des Kinos im 20. Jahrhundert wird auch über den 100. Geburtstag darin liegen, dass er die Erfahrungen der Moderne – Selbstzweifel, Ungleichzeitigkeit – mit den Mythologien der Vormoderne verband, und das Kino damit immer wieder zum Abheben brachte. (Bert Rebhandl, 20.1.2020)