Sehr begehrte Salome – hier in Puppenform.

Kmetitsch

Es ist ein blutiger Abend der Doppelbelastungen: Jene Männerfantasien, die Salome bedrängen, trägt sie in Puppenform vor sich her, wobei ihre Klappmaulvariante mit blondem Langhaar betört. Die echte Salome sucht hingegen hinter ihrer Holzschwester Schutz, um sich der Identitätssuche zu stellen. Marlis Petersen muss also zweifach gestalten, ist im Theater an der Wien grandiose Salome und Puppenspielerin zugleich.

Regisseur Nikolaus Habjan delegiert die mimisch-gestischen Figurenideen zunächst nur an die marionettenhafte Variante der Besessenen, der Petersen die so lyrische wie intensive Pracht ihrer Stimme schenkt. Die kalt glitzernden Puppenaugen verkünden aber gleich Unheil. Der verliebte Narraboth (glänzend Martin Mitterrutzner) erfährt dies allerdings erst, als er in inniger Umarmung mit der nun von Salome abgelösten Holzschönen Suizid begeht.

Die grauen Eminenz

Die wahre Salome ist zu diesem Zeitpunkt längst Jochanaan (profund Johan Reuter) zugetan, der ebenfalls verdoppelt wirkt: Aus dem Kerker taucht er qualvoll verschmolzen mit seiner ausgemergelten Holzvariante auf. Als "echter" Prophet bleibt er dann einsam die dauerpräsente graue Eminenz der Bühnenvorgänge (also in den Farben des Ambiente von Julius Theodor Semmelmann).

Sein Alter Ego taucht nur noch als begehrtes Kopfobjekt der entrückten Salome auf, die ein Blutbad nimmt. Habjan inszeniert also keine Marionettengags. Salomes Identitätsfindung wird bei ihm – konsequent durchgestaltet – zur Entpuppung als Befreiung vom erdrückenden Außenblick. Dieser Prozess findet im Schleiertanz einen Höhepunkt als Mix aus Ekstase und Kampf um Autonomie.

Während das gesamte Figurenkollektiv in einen Bewegungstaumel versetzt wird, kommt Salome siegreich über dem hilflos lüsternen Herodes (glänzend John Daszak) breitbeinig zu sich, was nur ihrer Mutter Herodias (Michaela Schuster) nicht konveniert.

Leicht inkonsequent

Glücklich wird hier jedoch ohnedies niemand. Erzählt wird eine todbringende Geschichte, bei der Salomes Puppenform schließlich keine Rolle mehr spielt. Dies ist verständlich, andererseits aber auch schade. Die Verdopplung der grausamen Tragödin hätte bis zum Schluss ihren Charme verbreiten können, ohne das Konzept der "Befreiung" Salomes zu irritieren. So wirkt die Puppenidee gerade ob ihrer inhaltlich konsequenten Durchführung paradoxerweise leicht inkonsequent.

Etwas, was der orchestralen Seite der Musik nicht nachgesagt werden kann: Das RSO Wien unter Dirigent Leo Hussain betont nachdrücklich die klangsensitive, kammermusikalische Tendenz der reduzierten Orchesterfassung von Eberhard Kloke. Dass manches gar holzbläserlastig wirkte, ist sicher nur dem Hörplatz (sehr weit links, sehr weit vorne) anzulasten. Die wenigen ungerechten Buhs für Habjan waren von dort aus aber zu hören. (Ljubiša Tošic, 20.1.2020)