Es war nicht nur technisch, sondern auch logistisch etwas vom Anspruchvollsten, das die Mitarbeiter von Jenbacher in der wechselvollen Geschichte des Unternehmens zu stemmen hatten: Ein Großauftrag aus dem so ziemlich nördlichsten Norden Deutschlands, aus Kiel. Dorthin galt es 20 Gasmotoren der neuesten Generation, flexibel einsetzbar, mit Erdgas und alternativ auch mit Biomethan betreibbar, zu überstellen.

Gut 1.000 Kilometer sind es vom Tiroler Jenbach in die Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins. Die Schwertransporter, die in Summe fast 4000 Tonnen an die Kieler Förde zu überstellen hatten, machten aufgrund notwendiger Umwege etliche Kilometer mehr.

Schwerarbeit

"Nicht jede Brücke war stark genug, nicht jede Straße für den Transport geeignet," erinnert sich der Chef von Innio Jenbacher, Carlos Lange, im Gespräch mit dem STANDARD. "Es war Schwerarbeit für alle Beteiligten." Fahren konnten die Transporter aufgrund der Vorgaben nur während der Nacht, immer eskortiert von Polizei, Straßensperren inklusive. Sieben Wochen hat die Überstellung der Gasmotoren gedauert, jeder so groß wie ein einstöckiges Einfamilienhaus, lang wie zwei Häuser und rund 4,5 Millionen Euro teuer.

Seit knapp zwei Monaten produzieren sie nun Strom und Wärme für die Stadt, die etwas kleiner ist als Graz, aber größer als Linz.

Aus den Schloten kommt anders als beim früheren Kohlemeiler nur mehr Dampf: das modular aufgebaute Gasmotorenkraftwerk in Kiel.
STANDARD/Günther Strobl

Kiel – wegen der Kieler Woche bisher hauptsächlich Seglern ein Begriff – hat mit dem Küstenkraftwerk die modernste Kraftkombianlage Europas. Wegen des innovativen Ansatzes steht zu vermuten, dass sich das Küstenkraftwerk zu einer Pilgerstätte für die Energiebranche entwickeln wird. Abordnungen von anderen Stadtwerken seien bereits da gewesen, sagte Jörg Teupen, Vorstand Technik und Personal der Stadtwerke Kiel, bei einem Lokalaugenschein des STANDARD.

Für die Stromerzeugung treiben die 20 Gasmotoren Generatoren an, mit deren heißen Abgasen gleichzeitig Wasser für das Fernwärmenetz von Kiel erhitzt wird. Jeder Gasmotor verfügt über eine Leistung von knapp zehn Megawatt (MW), das entspricht fast 13.000 PS. Wiewohl im Betrieb laut wie ein Düsenjet beim Starten, sind die Motoren zu jeweils fünf in einem Maschinenraum untergebracht, aber gut gedämmt und somit außerhalb der Kraftwerksmauern kaum zu hören.

Raus aus der Kohle

"Das alte Kohlekraftwerk war sehr träge und brauchte mehrere Stunden, um hochzufahren. Mit den Gasmotoren geht das in weniger als fünf Minuten," sagt Teupen nicht ohne Stolz. Je nach Bedarf können die Gasmotoren zu- oder abgeschaltet werden. Im Vollbetrieb werden an die 45.000 Kubikmeter Gas verbrannt. Das rief bei der offiziellen Inbetriebnahme Ende voriger Woche Klimaschützer auf den Plan.

Wegen des innovativen Ansatzes steht zu vermuten, dass sich das Küstenkraftwerk zu einer Pilgerstätte für die Energiebranche entwickeln wird.
STANDARD/Günther Strobl

Die Alternative sei gewesen, das alte Kohlekraftwerk weiter laufen zu lassen, konterte Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) Vorhaltungen aus der Umweltszene. Und: "Mit dem Switch von Kohle auf Gas können die Emissionen um rund 70 Prozent verringert werden, pro Jahr sind das rund eine Million Tonnen."

Darüber hinaus biete das Kraftwerk weitere Vorteile, etwa dann, wenn die vielen Windräder und Solaranlagen in Deutschlands nördlichstem Bundesland mehr Strom erzeugten als benötigt. Dann könne das Kraftwerk, das in der Errichtung knapp 290 Millionen Euro gekostet hat, statt mit Gas auch mit Überschussstrom betrieben werden.

Mitarbeiter gesucht

Dafür wurde ein Elektrodenkessel, vergleichbar einem Heizstab im Wasser, in den Fernwärmekreislauf integriert. Steht an der Börse besonders günstiger Solar- oder Windstrom zur Verfügung, wird das Wasser über den Elektrodenkessel erhitzt. Sollte hingegen besonders günstiges Gas zur Verfügung stehen, wird das Wasser über die Abwärme der Gasmotoren aufgewärmt.

Über mangelnde Aufträge kann der Gasmotorenspezialist mit Sitz in Jenbach momentan nicht klagen. Das Unternehmen, das ursprünglich Jenbacher Werke hieß, nach der Übernahme durch General Electric zu GE Jenbacher mutierte und mit Übernahme durch den Investmentfonds Advent 2018 den Kunstnamen Innio bekam, suche nach wie vor Mitarbeiter, sagte Unternehmenschef Lange. Seit dem vierten Quartal 2019 sei ein deutlicher Anstieg der Nachfrage zu beobachten. Dabei dürfte der paktierte Ausstieg aus Kernkraft und Kohle in Deutschland eine nicht unwesentliche Rolle spielen. (Günther Strobl, 20.1.2020)