Schmerzen zermürben Körper und Geist. Betroffene sind permanent mit Selbstbeobachtung beschäftigt. Wenn nichts und niemand hilft, verschlimmert sich die Situation.

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Patienten mit chronischen Schmerzen sind ein Albtraum für alle Gesundheitsberufe. Nur selten schlägt eine Therapie an, ein Großteil der Patienten wird von Arzt zu Arzt weitergereicht. Wie es um die Lebensqualität der Betroffenen steht, zeigt eine US-Studie aus dem Jahr 2018: Rund neun Prozent jener, die sich das Leben nahmen, wiesen chronische Schmerzen in ihrer Vorgeschichte auf.

Vielen Patienten wird von ratlosen Ärzten erzählt, sie müssten lernen, mit dem chronischen Schmerz zu leben, oder – was den Betroffenen besonders nahegeht – er entbehre jeder körperlichen Grundlage. Was nicht da ist, kann nicht geheilt werden.

"Das ist fürchterlich, weil man den Menschen die Hoffnung raubt, dass es je wieder besser wird. Linderung ist aber möglich, selbst wenn der Schmerz nie völlig gestillt wird", sagt der Anästhesist und Intensivmediziner Herwig Kropfmüller aus dem Schmerzkompetenzzentrum Bad Vöslau. "Doch zuallererst muss man den Leidenden helfen, ihre Situation richtig einzuschätzen, um sie annehmen zu können."

Die Psyche spielt mit

Die Akzeptanz des Leidens sei ein Schlüssel zur Linderung des chronifizierten Schmerzes und zentraler Bestandteil vieler multimodaler Therapieprogramme, sagt Kropfmüller, der jedem Schmerz, selbst dem akuten Warnschmerz, eine psychische Komponente zuschreibt.

Was wie eine akademische Diskussion anmutet, ist eine Weiterentwicklung dessen, was schon lange bekannt ist: Der Urmechanismus Schmerz funktioniert auf vielen Ebenen, was ihn schwer kontrollierbar macht, sobald er sich festsetzt. Akuter Schmerz verändert die Situation, chronischer den Menschen. Ärzte wissen um seine zerstörerische Kraft und kennen die passenden Medikamente, doch zu viele lassen die Psyche außer Acht. Der hartnäckige Schmerz setzt sich in den Mittelpunkt jedes Tages, reißt die Aufmerksamkeit des Patienten und seines Umfeldes an sich, wodurch im Laufe der Jahre Ursache und Wirkung verschwimmen.

Wenn sich Ängste, Stress und Anspannung gegenseitig hochschaukeln und die Spirale des Schmerzes antreiben, hören Geplagte, "man müsse den Schmerz annehmen".

So provokant es klingt, falsch ist dieser Rat nicht. "Es wird nur oft falsch verstanden, man muss erklären, was genau gemeint ist", sagt Kropfmüller. Es sei keine Resignation oder Kapitulation vor dem Schmerz, sondern der erste Schritt zur Besserung.

Kropfmüller, der an der Rehabilitationsklinik Gars am Kamp Patienten mit chronischen Schmerzen behandelt, kennt viele Patienten, die sich immer nur auf den Auslöser des Schmerzes konzentrieren, ohne dessen Wurzeln zu erfassen. Er nennt als Beispiel eine Mutter, die zwischen Job, Kindererziehung und Haushalt hin- und hergerissen ist und die ausrutscht und auf die Kniescheibe fällt.

Grenzen erkennen

Der akute Schmerz klingt über Monate hinweg nicht mehr ab. Die Orthopäden spüren selbst mit aufwendigen bildgebenden Verfahren keine organischen Schäden auf. Den Schrei des Körpers nach Ruhe, der sich über den nicht abklingenden Schmerz artikuliert, nimmt niemand wahr, nicht einmal die Patientin selbst.

Der Weg zur Akzeptanz oder, wie Kropfmüller es nennt, zum Annehmen des Schmerzes führt über das Verstehen von Wechselwirkungen zwischen Psyche und Körper. Es geht darum, Grenzen im Leben und der eigenen Persönlichkeit wahrzunehmen. Etwa wie man mit Überforderungen umgeht, spannungsgeladene Emotionen verarbeitet und unbewusste Vermeidungstaktiken aufdeckt. Darüber hinaus können ungünstige Denk- und Verhaltensmuster einen selbstfürsorglichen Umgang mit Psyche und Körper verhindern. In dieser Therapiephase werden schwierige Themen angesprochen, weshalb Kropfmüller gerne eingängige Beispiele anderer Patienten und Patientinnen und sogar Grafiken zur Veranschaulichung verwendet.

Grundsätzlich ist es in der modernen Schmerztherapie unumgänglich, Ängsten und depressiven Stimmungen mit allen Mitteln zu begegnen, weshalb Experten aus vielen Sparten herangezogen werden: vom Psychologen bis zum Physiotherapeuten, vom Neurologen bis zum Schmerzmediziner. Bei hartnäckigen chronischen Verläufen sollte eine multimodale Schmerztherapie in spezialisierten Kliniken erfolgen.

Die Patienten erlernen, sich mit ihrem Schmerz zu versöhnen und, daraus resultierend, ihm aktiv zu begegnen. Anders formuliert: Sie brechen aus der Opferrolle aus, warten nicht ängstlich darauf, vom Schmerz übermannt zu werden, sondern setzen Gegenmaßnahmen. Das können Entspannungsübungen sein oder Techniken zur Selbstwahrnehmung, etwa zum Erkennen von Vorboten der Schmerzattacken. Der Ausdruck "besser in sich hineinhorchen" mag überstrapaziert sein, doch er trifft zu, Experten sprechen von der Veränderung des Handelns. Schmerzpatienten, die diese Phase erreichen, haben schon halb gewonnen.

Empathie und Geduld

Danach beginnt die nächste Etappe. Sie erfordert viel Mut. Kropfmüller zieht als Beispiel wieder die Patientin mit dem schmerzenden Knie heran. Sie mag im Laufe der Therapie gelernt haben, wie sie stressverstärkende Denkmuster durchbricht, und weiß, dass Krafttraining die Muskulatur stärken und damit den Schmerz zurückdrängen kann.

Aber das Grundproblem, aufgrund dessen es überhaupt zur Chronifizierung kam, bleibt verborgen. Kurzum: Die Neuorientierung hat funktioniert, die psychischen Altlasten sind aber noch nicht ausgeräumt. Vielleicht mutet sich die Frau zu viel zu, und der Körper antwortet deshalb mit Schmerzen?

Selten sind Antworten simpel, besonders schwierig aufzudecken sind unbewältigte Traumata oder Beziehungsängste. Das seien die Kraft- und Energieräuber, die Schmerz bereiten. "Ein Leben ohne Schmerz kann ich Patienten nicht versprechen", sagt Kropfmüller und zeigt, was gute Schmerzmediziner sind: empathisch und hoffnungsvoll, aber immer auch vorsichtig. (Raoul Mazhar, 21.1.2019)