Stoisch und schwermütig verfolgt Elia Suleiman (Mitte) in "Vom Gießen des Zitronenbaums" die Abläufe einer sanft ins Groteske verschobenen Wirklichkeit.

Foto: Polyfilm

In New York scheint alles wie immer, bis man realisiert, dass niemand auf den Straßen unbewaffnet ist. Nicht viel anders in Paris: Da rollen Panzer durch die Stadt, während Polizisten auf Rollerblades wie beim Ballett Formationen eingehen. Elia Suleiman, der Buster Keaton des palästinensischen Kinos, stellt der Welt in seinem fünften Film in komischen Vignetten ein bestürzendes Zeugnis aus. Stoisch und schwermütig verfolgt er in Vom Gießen des Zitronenbaums (It Must Be Heaven) die Abläufe einer sanft ins Groteske verschobenen Wirklichkeit. Einschränkung des öffentlichen Raums, Militarisierung und Gewaltprävention sind allgegenwärtig. Wie der Film gleitet auch ein Gespräch mit Suleiman schnell einmal ins Grundsätzliche ab.

STANDARD: Manche Szenen Ihres Films erinnern an Paris kurz nach den Terroranschlägen im Bataclan. Eine gespenstische Leere geht mit absurden Polizeieinsätzen einher. Waren Sie damals dort?

Suleiman: Ja, aber die Szenen habe ich schon ein paar Jahre früher geschrieben. Ich habe immer gesagt, etwas Schreckliches wird passieren, ich fühlte es. Als ich nach Paris kam und dort den Diskurs der Elite mitverfolgte, habe ich vor Angst zu zittern begonnen. Ich dachte, da wird sich die Geschichte wiederholen: Ich habe die Szenen mit derselben Sensibilität geschrieben wie Divine Intervention, der vor der Zweiten Intifada entstanden ist. In beiden Fällen war ich als Prophet der Verlierer.

STANDARD: In dem Film erzählen Sie davon, wie jemand Israel verlässt und dann in Paris und New York eine ähnlich disparate Welt entdeckt.

Suleiman: Die Gewalt ist nicht mehr auf einen bestimmten Ort reduziert, es hat eine Globalisierung von Konflikten stattgefunden. Nun ist man nicht länger mit Israel, sondern mit einem globalen Faschismus konfrontiert. Deshalb hat mich eine Montage interessiert, in der die Palästinenser gleichsam zu globalen Aktivisten geworden sind. Als die palästinensische Bewegung in den 1960ern begann, war sie mit progressiven Begriffen verbunden. Man musste sich zur Gleichstellung von Geschlecht, Hautfarbe und Rasse bekennen, wenn man einen Pass bekommen wollte. Die Ängste, die mit einem nomadischen Dasein einhergehen, den Wunsch nach Trost, all das wollte ich in diesem Film, meinem komischsten bisher, bündeln.

STANDARD: Ist Humor denn eine wirksame Medizin gegen Angst?

Suleiman: Wenn man sich davor fürchtet, eine Angst auszudrücken, produziert man nur neue Ängste. Was machen wir mit der Angst, dass der ganze Planet seinem Ende entgegengeht? Wir wollen uns ja schon nicht mit dem eigenen Ende konfrontieren. Die Frage ist, ob wir Trost durch einen Film beziehen können? Je größer die Verzweiflung, desto mehr Humor braucht es.

STANDARD: Der Trost liegt im gemeinsamen Lachen?

Suleiman: Ich glaube, dass etwas im Humor die Tragik lindern kann. Und es gibt einen kleinen Beweis, dass ich recht habe, denn wenn ich Menschen lachen höre, merke ich, wie gut mir das tut. Im Herzen des Films liegt wahrscheinlich genau dieses Vergnügen. Ich will in diesem Film keine Themen aufbereiten oder mobilisieren. Der Betrachter muss den Witz jedoch leben, sich ihn aneignen können, anerkennen können. Es ist nicht bloß ein Kuchen im Gesicht.

STANDARD: Bei Thomas Bernhard hat man von der Übertreibungskunst gesprochen. Wie finden Sie den Begriff Verzweiflungshumor?

Suleiman: Er ist ein Autor, den ich sehr oft lese! Was Humor anbelangt, war der Mann ein As. Wenn man mich fragt, woher mein Humor kommt, sage ich auch gern von Primo Levi, der über die tragischste Sache der Welt geschrieben hat. Wenn ich jede Hoffnung verloren habe, dann lese ich seine Bücher über den Holocaust und stehe wieder auf meinen Beinen.

STANDARD: Im Film geht es auch um Ihre Kämpfe, sich durchzusetzen. Hat sich da nichts gebessert?

Suleiman: Die Szene bezieht sich auf etwas, das weit zurückliegt. Als ich anfing, Filme zu machen, hat man mich für einen Fake-Palästinenser gehalten, weil ich Komödien machte, in denen kein einziger Soldat vorgekommen ist. Für die Linke war ich jemand, der Geschichte verfälscht. Die Sprache hat sich seitdem geändert, aber der postkoloniale Diskurs ist nicht verschwunden. Auch bei diesem Film gab es ärgerliche Aussagen: Wie ich es nur wagen konnte, meinen Käfig zu verlassen und über die Realität von anderen Leuten zu matschkern. Sie sagten: "Wir hätten gern mehr über Nazareth gesehen."

STANDARD: Sie sprechen von moralischer Scheinheiligkeit.

Suleiman: Ja, der autoritäre Diskurs verlässt seinen Ort und kehrt an anderer Stelle zurück. Wenn das postkoloniale Denken verschwunden wäre, würden wir nicht den Amazonas brennen sehen. Das hängt alles zusammen. All die Proteste, die mit einem Hashtag versehen werden, gehören auch dazu. Und es nervt mich auch gewaltig, wenn jetzt alle Filmfestivals so tun, als würden sie die Frauensache promoten. Sie machen das genauso, wie man die Palästinenser behandelt hat. Es ist eine Inbesitznahme und zugleich eine Ghettoisierung.

STANDARD: Eine Komfortzone, meinen Sie?

Suleiman: Natürlich, das System bleibt, wie es ist.

STANDARD: Kein Fortschritt, Frauen zu mehr Präsenz zu verhelfen?

Suleiman: Ich weiß nicht so recht, ich fürchte den Fingerzeig, die Gaunerei, das Komplott dahinter. Es ist etwas Zynisches mit im Spiel. Außer Frage steht, dass jene, die sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben, ins Gefängnis gehören. Aber es fehlt ein wirklich kritischer Blick auf die Gesamtsituation. Es reicht nicht, diese Schweine einzusperren, Hollywood müsste auch seine Erzählweisen infrage stellen. Es geht nicht nur um Weinstein, es gibt ganz viele Erreger, die in den Ausdrucksmitteln, in den Kommunikationsweisen stecken.

STANDARD: MeToo ist vor allem ein Medienphänomen?

Suleiman: Die Rhetorik folgt einem falschen Gefühl der Gemeinsamkeit. Denken Sie nur an Judith Butler. Sie hat vor all diesen Hashtags existiert. Oder Trinh T. Minh-ha. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl hat etwas Beklemmendes an sich. Jeder kann dem folgen und ein bisschen mitkauen. Ich bin nicht radikal, verstehe Sie mich nicht falsch. Ich sage nur: Seid wachsam! Ich fürchte mich bereits, wenn sich zehn Leute für etwas zusammenschließen. (Dominik Kamalzadeh, 21.1.2020)