Fest in Männerhand? 2018 regte eine Studie auf, der zufolge in Feuilletons mehr Bücher von Männern als von Frauen besprochen werden. Könnte ein Grund dafür sein, dass mehr Bücher von Männern erscheinen?

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Ein Beispiel für die Diskussionen, die in den sozialen Netzwerken unter den Hashtags #FrauenZählen und #VorschauenZählen geführt werden.

Der Beginn jeder Büchersaison geht mit dem Warten auf die Neuerscheinungen einher. Noch kennen wir von vielen Titeln des Frühjahrs nicht mehr als vage Inhaltsangaben und Beteuerungen, wie gut sie zu aktuellen Debatten passen. Manche Leseratten richten ihre Aufmerksamkeit beim Durchforsten der Verlagsvorschauen in letzter Zeit aber zunehmend auf die Namen dahinter. Sie haben herausgefunden, Bücher von Frauen sind dieses Frühjahr in den Katalogen wieder einmal rarer vertreten als die von männlichen Kollegen.

Für die literarischen Frühjahrsprogramme der deutschen Platzhirsche Hanser, Fischer und Rowohlt erhoben die Literaturwissenschafterinnen Berit Glanz und Nicole Seifert etwa einen Autorinnenanteil von lediglich 22 bis 30 Prozent. Es handelt sich dabei um Negativstbeispiele. Insgesamt liegt das Verhältnis von Autorinnen zu Autoren etwas besser bei 40 zu 60 Prozent. Autorinnen würden jedoch vor allem im leichten Unterhaltungsgenre reüssieren.

Studien, dass in den Feuilletons zu einem überwiegenden Teil Bücher männlicher Autoren besprochen werden, erregten bereits 2018 die Gemüter. Könnte ein Grund dafür sein, dass im ernsten Segment vorwiegend Autoren erscheinen?

#Diskriminierung

Auf Twitter bilden Hashtags wie #VorschauenZählen und #FrauenZählen Kulminationspunkte für die Debatte. Zuletzt machten unter #DichterDran satirische Postings auf sexistische Bilder von Autorinnen in Medien aufmerksam. Der Vorwurf struktureller Diskriminierung steht im Raum. Gegner der Empörung meinen, Verlagsarbeit sei kein feministischer Aktivismus und keine Identitätspolitik. Braucht es also eine Frauenquote für Verlage?

Auf ähnlich schlechte Quoten wie in Deutschland kommen auch manche heimische Verlage. Musterschüler ist Droschl mit Neuerscheinungen von drei Frauen und drei Männern, schlechter stehen Zsolnay (2:5), Jung und Jung (2:5) sowie Residenz (1:4) da.

Von einem "sehr ungewöhnlichen Verhältnis" spricht Jessica Beer von Residenz. "Als Programmleiterin kann ich steuern, wie hoch der Anteil von Autorinnen und Autoren in einem Gesamtprogramm ist. Nur bedingt steuern kann ich aber, wie diese Werke in einzelnen Saisonen aufeinandertreffen." Das gekippte Verhältnis dieses Frühjahr habe mit zwei Verschiebungen zu tun.

Historisch gewachsen

Der Debatte kann sie aber insofern etwas abgewinnen, als sie historische Entwicklungen abbildet. So sei der Männeranteil in einem Programm umso höher, je mehr ältere Schreibende es umfasse. "Überall im Kulturbetrieb war bis in die 1980er die männliche Dominanz sehr ausgeprägt. Auch unter unseren Stammautoren finden sich noch deutlich mehr Männer als Frauen", so Beer. Je Jüngere ein Verlagsprogramm vertrete, desto höher werde der weibliche Anteil.

Tatsächlich sind die österreichischen Verlage eher klein strukturiert. Statt wie Hanser 18 Bücher bringen sie dieses Frühjahr je nur fünf bis sieben Literaturtitel heraus. Da kann ein nicht planmäßig fertig werdendes Manuskript schnell für schiefe Optik sorgen. Könnte man eine ausfallende Frau nicht mit einer anderen ersetzen? "Nur wenige Autoren schreiben sehr gut", sagt Verleger Jochen Jung. "Es kommt nicht vor, dass wir so viele sehr gute Manuskripte auf dem Tisch haben, dass wir daraus nach anderen Kriterien als der Qualität aussuchen könnten."

Schaut man die vergangenen Saisonen an, sind die Geschlechterverhältnisse oft ausgeglichen oder weisen sogar einen Frauenüberhang auf. Eine strukturelle Benachteiligung lässt sich anhand dessen schlecht attestieren. Wie setzt sich ein Saisonprogramm also zusammen? Neben Qualität als oberstem Kriterium betonen alle Verlage die Wichtigkeit der Durchmischung.

Die Mischung macht das Gift

Es gilt dabei allerdings mehr zu beachten als nur das Geschlechterverhältnis. Verlegerin Annette Knoch von Droschl nennt auch die Parität von Debütanten und anerkannten Stimmen, leichterer und avancierter Lektüre, von Heimischem und Übersetzungen und verschiedener Gattungen. So hat man bereits eine Vielzahl von Kriterien beisammen, ohne die Frau-Mann-Frage gestellt zu haben.

Natürlich spielen auch wirtschaftliche Überlegungen hinein. Zu mehr als zwei Lyrikern im Jahr würde Arno Kleibel vom Verlag Otto Müller nicht raten, die seien am schwierigsten zu verkaufen. Er habe einen Rückstau an der Veröffentlichung harrenden Dichtern. Ebenso würde er nicht mehr als ein Debüt je Programm platzieren. Nicht nur wegen des erhöhten Aufwands damit, sondern auch wegen der damit verbundenen Unsicherheit: Bei eingeführten Autoren gebe es Erfahrungswerte zu Verkäufen und man könne Marktchancen kalkulieren.

Überzahl weiblicher Käufer

Acht von zehn Buchkäufern seien mittlerweile Frauen, so Herbert Ohrlinger von Zsolnay. Das bilde sich zunehmend in den Programmen ab. Er lässt besonders tief in deren Erstellung blicken. Man könne daraus keinen Geschlechternachteil ableiten, aber "funktioniert ein Buch gut, ist es besser, es erscheint im Frühjahr, dann ist es ein ganzes Jahr neu".

Es geht in der Debatte nicht nur um Nachteile im Rennen um wirtschaftlichen Erfolg und Renommee, sondern auch um kulturelles Gleichgewicht. Denn nur was erscheint, kann auch besprochen und mit Preisen ausgezeichnet werden und so weiter in Bibliotheken, den Kanon und ins Bewusstsein einer Gesellschaft einziehen. (Michael Wurmitzer, 21.1.2020)