Immer weniger Player spielen eine große Rolle.

Illustration: STANDARD/FATIH AYDOĞDU

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Instagram, Youtube, Google, Facebook, eventuell Twitter; dann vielleicht noch Amazon, Netflix und das E-Banking: Etwa so, mit vielleicht ein, zwei anderen sozialen Medien, lässt sich mittlerweile das regelmäßige Surfverhalten vieler Nutzer beschreiben. Social Media und Internet werden für User immer mehr zu einem Synonym. Wenig verwunderlich, haben die Nutzerzahlen der großen Plattformen doch längst die Milliardengrenze überschritten. Und auch die Zeit, die pro Tag auf sozialen Medien verbracht wird, steigt von Jahr zu Jahr kontinuierlich an – während gleichzeitig jene auf anderen Plattformen, Streaming ausgeschlossen, sinkt. Immer zentralisierter ist das Netz, immer mehr dreht es sich mit einigen wenigen Ausnahmen – Stichwort Streaming und Co – um Social Media. Und immer weniger Player spielen eine große Rolle.

Die Netzwerke weniger Unternehmen haben es geschafft, das Web, das einst weitaus vielseitiger verwendet wurde, langfristig zu verändern. Wer vor über 20 Jahren mit seinen Freunden kommunizieren wollte, musste direkt den Kontakt zu ihren Geräten aufbauen. "Soziale Medien" waren noch sogenannte IRC-Chats, bei denen man sich mit gänzlich fremden Personen in Chaträume begab, um Konversationen zu führen – gar nicht so anders als die heutigen öffentlichen Kanäle wie Twitter.

Plattformvielfalt

Erst mit dem Siegeszug des Web 2.0 wurden es einzelne Plattformen, die den virtuellen Ort für solche Kommunikation zur Verfügung stellten. Doch auch da waren es noch nicht die heutigen IT-Giganten, die einen großen Teil des Datenverkehrs für sich beanspruchten: Serienliebhaber diskutierten über ihre liebsten Charaktere in Foren mit obskuren Namen; Gamer teilten Strategien für ihr Gameplay auf spezialisierten Boards; Blogger schrieben Einträge über ihren Alltag, während sie mit gleichgesinnten Fremden diskutierten; Jugendliche verfassten Fanfiction, um ihre Version ihres liebsten Mediums mit der Welt zu teilen; und Freunde formten über frühe Messenger-Clients wie MSN enge Verbindungen.

Individualisierung

Die frühen Versionen der sozialen Medien existierten bereits, doch sie waren weitaus diverser. Communitys versammelten sich auf zahlreichen, spezialisierten Plattformen, viel größer war der Fokus auf individuelle Accounts. Wer zu dieser Zeit ein Profil auf einem Imageboard pflegte, dürfte sich an Signaturen bei seinen Beiträgen erinnern, die man zu dieser Zeit bei vielen Foren einstellen konnte. Bei jedem Posting erschien dann eine personalisierte Nachricht, mit der Nutzer sich selbst ausdrückten. Und dann gab es noch die Zeiten, in denen User ihr MySpace-Profil mit Musik ihrer liebsten Musikern und persönlichen Hintergrundbildern schmückten. Noch lange wirkten soziale Medien nicht wie die enorm durch Werbung monetarisierten Geschäftsideen großer Konzerne, die sie heute sind.

Clean und fad

Man vergleiche das mit heutigen Plattformen – etwa Reddit nach seinem optischen Relaunch –, auf denen Nutzer so einheitlich wie möglich aussehen sollen. Wer auf einem sozialen Medium unterwegs ist, soll so schnell wie möglich den Überblick behalten und so viele Inhalte wie möglich in kurzer Zeit konsumieren. Das ist gerade bei der permanenten Inhaltsüberflutung auf Social Media nichts Schlechtes, hat aber auch dazu geführt, dass die Individualität des Einzelnen verloren gegangen ist. Und gerade diese Simplifizierung hat aber auch Facebook und jene Kanäle, die dem Trend gefolgt sind, zu ihrem Erfolg geführt. Monothematische Plattformen gibt es dafür kaum mehr, stattdessen sammeln sich Communitys beispielsweise in Subreddits oder Gruppen auf Facebook oder anderen Kanälen.

Das Ende der Anonymität

Das hatte einen fatalen Nebeneffekt: das Ende der Anonymität im Netz. Denn Facebook, ursprünglich ein Angebot für Studierende, um sich zu vernetzen, sah und sieht heute noch die Verwendung von Klarnamen vor. Anstatt eines Avatars und eines Nicknames teilen Nutzer Bilder von sich selbst und posten mit ihrer realen Identität. Diese Offenheit, die im heutigen Netz auf zahlreichen Plattformen als selbstverständlich gilt, hat auch zu der Datensammelwut von Unternehmen geführt, die sich vorwiegend durch besonders personalisierte Werbung höhere Rendite erhoffen.

Welche Probleme das birgt, zeigt beispielhaft der Skandal um Cambridge Analytica, jener Datenanalysefirma, die unerlaubt Daten von Millionen Facebook-Nutzern sammelte, um sie für den Wahlkampf des heutigen US-Präsidenten Donald Trump zu verwenden.

Monopolisierung

Gleichzeitig hat die enorme Zentralisierung des Internetverkehrs den Konzernen auch massive Macht an die Hand gegeben. Unter Kritikern werden immer mehr Rufe für Maßnahmen gegen eine mögliche Monopolisierung laut. Facebooks Position lässt sich etwa bei dem Umgang mit anderen sozialen Medien beobachten.

Das Unternehmen kaufte 2014 den damals immer mehr an Popularität gewinnenden Messenger Whatsapp und den Bilderdienst Instagram, Plattformen, die heute zu den populärsten sozialen Medien gehören. Oder, wie der ehemalige Facebook-Mitbegründer Chris Hughes bei der "New York Times" schreibt: Facebook-Chef Mark Zuckerberg könne allein aussuchen, ob er einen Konkurrenten abdrehen möchte, "indem er ihn kauft, blockiert oder kopiert". Hughes plädiert heute dafür, Facebook zu "zerbrechen".

Der Versuch des Konzerns, den Konkurrenten Snapchat 2015 zu übernehmen, scheiterte – woraufhin Facebook bei seinen Apps Snapchats grundlegende Features wie die populäre "Story"-Funktion mit Bildern, die nach einer bestimmten Zeit verschwinden, einfach adaptierte. Die daraus resultierende Entwicklung kann sich sehen lassen, steigen die Nutzerzahlen bei den Diensten des Konzerns doch weiterhin kontinuierlich. 2018 waren es bereits eine Milliarde aktive Nutzer bei Instagram, wo die Funktion besonders beliebt ist. Snapchat musste hingegen einen Rückgang verzeichnen. 2019 soll es aber wieder mehr Nutzer gegeben haben.

Entscheidungsmacht über den öffentlichen Diskurs

Vor allem Netzaktivisten betrachten das neue, von Konzernen geprägte Netz kritisch. Zusätzlich zu dem Umgang mit privaten Informationen kommt die Art und Weise, wie durch Algorithmen Inhalte verbreitet werden, dazu – man denke an Belege einer Einflussnahme russischer Trollfabriken an dem US-Wahlkampf 2016. Der Kampf gegen gezielt verbreitete Falschinformationen liegt in den Händen großer Konzerne und deren Willen – angetrieben durch eine schleppende politische Regulation –, damit umzugehen.

Wie zurückhaltend die Plattformen von sich aus damit umgehen, zeigt ein anekdotischer Fall aus dem Jahr 2014: Als der STANDARD damals bei Facebook nachfragte, warum massenhaft explizite Videos des "Islamischen Staats" (IS) zu finden seien, die auch Enthauptungen zeigen, erklärte der Konzern, dass man sie als "neutrale Plattform" bewusst stehen lasse, um eine Debatte zu ermöglichen.

Glücklicherweise hat man heute – eben auch aufgrund des öffentlichen Drucks, der über die Jahre entstanden ist –, eingelenkt und erlaubt Inhalte wie diese nicht mehr. Doch genau solche Vorfälle zeigen die Probleme eines zentralisierten Webs, wo wenige Akteure eine so große Entscheidungsmacht über den öffentlichen Diskurs haben. Dazu kommen Bedenken über vereinfachte Überwachungsmöglichkeiten durch Geheimdienste. Schließlich müssen nicht eine Vielzahl, sondern nur einige wenige Plattformen unter die Lupe genommen werden, um den Großteil der Kommunikation zu lesen.

Social Media und Einsamkeit

Nicht zu unterschätzen sind außerdem aktuelle Studien über die psychologischen Auswirkungen von sozialen Medien. Sie machen nämlich unglücklich. Das lässt sich vor allem bei der Generation Z beobachten, die erstmals in einer Welt aufgewachsen ist, in der eine ständige Verfügbarkeit auf sozialen Medien auf dem Smartphone selbstverständlich ist. US-Studien zufolge gehen Jugendliche seit dem Siegeszug des Smartphones seltener auf Dates, schlafen weniger, fühlen sich eher einsam und öfter ausgeschlossen. Eine große Rolle spielt dabei auch, dass die Netzwerke gebaut sind, um süchtig zu machen. Das zeigen Systeme wie Likes, die den zentralen Wunsch nach Anerkennung instrumentalisieren.

Dezentralisierung

Dementsprechend fordern Netzaktivisten etwa das gemeinnützige Projekt Internet Archive, ein dezentralisiertes Netz. Eine Möglichkeit, das zu erreichen, wäre etwa eine Peer-to-Peer-Infrastruktur, bei der Nutzer den Datenverkehr auch selbst zur Verfügung stellen. Wie etwa Matt Zumwalt vom Unternehmen Protocol Labs, das Tools für ein solches Web herstellt, in einem Gespräch mit dem britischen "Guardian" erklärte, sei auch die Art und Weise, wie Informationen gespeichert und abgerufen werden, problematisch – aktuell sind https-Links im Einsatz, die Inhalte in Bezug auf ihren Standort identifizieren. Ein dezentralisiertes Web würde den Fokus eher auf den Inhalt selbst legen.

Das Problem sei, so der Manager, dass derjenige, dem der virtuelle Standort gehört, die alleinige Macht über Inhalte habe – was wiederum zu einer Monopolbildung führe. Persönlichkeiten wie der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales versuchen hingegen mit Initiativen wie seinem sozialen Netzwerk WT.Social den großen Playern die Stirn zu bieten. Dieses soll vor allem auf den Datenhunger verzichten, der mittlerweile Gang und gebe ist. Angesichts der heutigen Bedeutung mancher IT-Konzerne ist aber auch das eine Herkulesaufgabe. (Muzayen Al-Youssef, 20.1.2020)