Via Online-Chat erteilte der Angeklagte Anweisungen an seine Opfer, die dachten, sie würden an einer Studie über Schmerzempfindlichkeit teilnehmen.

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München – Das Landgericht München II hat einen 31-jährigen Mann zu elf Jahren Haft verurteilt, der dutzende junge Frauen und Mädchen via Internet zu lebensbedrohlichen Stromschlägen nötigte. Zugleich hat das Gericht seine Unterbringung in die forensische Psychiatrie angeordnet. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, bleibt David G. damit auf unbestimmte Zeit eingesperrt.

Das Gericht verurteilte David G. unter anderem wegen versuchten Mordes, schwerer Körperverletzung, Titelvergehen und einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Ursprünglich war der Mann wegen 88-fachen versuchten Mordes angeklagt. Das Gericht reduzierte die Taten aber auf 20 Fälle. Das Landgericht verurteilte G. nach der Beweisaufnahme in 13 dieser 20 Fälle wegen versuchten Mordes, dazu wegen der weiteren Delikte.

Die Staatsanwaltschaft hatte 14 Jahre Haft und die Unterbringung gefordert, die Verteidigung nur eine zweijährige Bewährungsstrafe. Beide Seiten erklärten, das Urteil prüfen zu wollen und dann über mögliche Rechtsmittel zu entscheiden. Die Anwälte von David G. wollen, dass das Urteil vom Bundesgerichtshof überprüft wird.

Nicht am Tatort

Strittig war in dem Fall, inwieweit G. als Täter verurteilt werden kann, weil er nie an den Tatorten war. Er überredete seine Opfer per Chat dazu, sich die Stromschläge zuzufügen, dies machten die Frauen und Mädchen aber letztlich selbst. Dennoch handle es sich dadurch aber nicht um eine bewusste Selbstschädigung, weil G. aus dem Hintergrund die Kontrolle hatte, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Bott.

G. gab sich wahlweise als Arzt und Professor aus und versprach seinen Opfern Geld für eine angebliche Studie, wenn sie sich den Stromschlägen aussetzten. Via Skype schaute er ihnen zu. Es soll ihn erregt haben zu sehen, wie seine Opfer zitterten, Krämpfe und starke Schmerzen erlitten. Einige hatten danach Brandmarken an den Schläfen. Sein jüngstes Opfer war laut Anklage erst 13 Jahre alt.

Lebensgefährliche Stromschläge von Schläfe zu Schläfe

Besonders schwerwiegend bewertete die Kammer die Fälle, in denen der junge Mann seine Opfer dazu brachte, sich metallene Gegenstände an beide Schläfen zu halten – "was bedeutet, dass das menschliche Gehirn im Stromweg liegt", wie der Vorsitzende Richter sagte. Dabei hätten die Opfer heftige Schmerzen erlitten. "Es hat mir das Licht ausgeknipst", zitiert der Richter eines der Opfer. Es habe sich angefühlt "wie ein Sternenhagel". Oder: "Es hat peng im Kopf gemacht."

Die Fälle wertete das Gericht als Mordversuch. Denn David G. hatte sich zuvor online über die Gefahren von Stromschlägen am Gehirn informiert. Er habe daher gewusst, dass er seine Opfer in Lebensgefahr brachte.

Die Opfer überlebten die Attacken. Dem Richter zufolge bestand auch in keinem Fall trotz der lebensbedrohlichen Experimente tatsächliche Lebensgefahr. Aber die Tatserie "wäre vermutlich weitergegangen", sagte der vorsitzende Richter. Sie sei nur durch die Festnahme unterbrochen worden.

Psychiatrisches Gutachten

Bott sagte, das Mordmerkmal der Befriedigung des Geschlechtstriebs sei durch die psychiatrischen Gutachten gedeckt. So habe sich bei G. dessen Asperger-Syndrom mit der sexuellen Triebhaftigkeit zu seinem gefährlichen Antrieb verbunden.

Anders als die Staatsanwaltschaft sah das Gericht aber nicht das Mordmerkmal der Heimtücke in diesem Fall. Es sei dem Gericht kein Fall bekannt, wo in einer solchen "täuschungsbedingten Selbstschädigung" Heimtücke begründbar gewesen sei. (APA, red, 20.1.2020)