Feldkirch – Tag zwei im Prozess gegen Soner Ö. Der 35-jährige, in Vorarlberg geborene Türke ist wegen Mordes am Leiter der Sozialabteilung der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn (BH Dornbirn) angeklagt. Die Tötung durch einen Messerstich in die Brust sei unbeabsichtigt gewesen, er habe den Beamten nur verletzten wollen, rechtfertigt er sich. Ö. wurde vor zehn Jahren wegen zahlreicher Straftaten ausgewiesen.

Weil seine Eltern und zehn Geschwister in Vorarlberg leben, wollte er hierher zurück, "in meine Heimat". Er probierte es als Asylwerber, traf dabei ausgerechnet auf jenen Mann, der ihn – damals noch bei der Fremdenpolizei – ausgewiesen hatte.

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Vor Gericht überrascht Ö. mit Selbstbewusstsein und Eloquenz. Er zitiert aus den Akten, unterbricht den vorsitzenden Richter, streitet mit Opferanwälten. Er spricht perfektes Hochdeutsch. Es ist nicht die Sprache eines Lustenauer Türken, der nur die Pflichtschule absolviert hat. Was Ö. während der letzten zehn Jahre gemacht hat, ist ungewiss. Er gibt an, in Syrien für die Kurden gekämpft, in der Türkei auf dem Bau gearbeitet zu haben.

Hat er den BH-Beamten, wie die Staatsanwaltschaft meint, aus Rache getötet? Oder hat es das Gericht mit einem Geisteskranken zu tun? Gutachter Reinhard Haller bescheinigt dem Angeklagten Zurechnungsfähigkeit: Ö. sei zum Tatzeitpunkt weder volltrunken gewesen noch von Drogen beeinflusst. Die 1,25 Promille Alkohol und Spuren von Benzodiazepin (Beruhigungsmittel) im Blut hätten ihn nicht so beeinträchtigt, dass an seiner Zurechnungsfähigkeit gezweifelt werden müsste. Ein Grund, ihn für zurechnungsunfähig zu erklären, wäre eine Handlung im schweren Affekt, "in blinder Wut". Diese sei aber auszuschließen, da sich Soner Ö. an Details der Tat erinnern könne. Ein schwerer Affekt hätte eine Totalamnesie zur Folge.

Am Landesgericht Feldkirch wurde am Dienstag der Prozess fortgesetzt.
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Diagnose Persönlichkeitsstörung

Haller diagnostiziert eine Persönlichkeitsstörung, eventuell durch langen Drogenmissbrauch, Hyperaktivität in der Kindheit, eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst. Soner Ö. gibt an, in der Türkei wegen Wehrdienstverweigerung gefoltert worden zu sein. Zudem sei er Söldner für die kurdische Miliz in Syrien gewesen. Haller nennt einen weiteren Aspekt: die Kränkung, die Soner Ö. erfahren habe. Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis hätten einen anderen Ehrbegriff. Bereits geringfügige Auslöser könnten eine Beleidigung darstellen. Doch sich in der Ehre gekränkt zu fühlen, sei weder eine Krankheit noch eine Entschuldigung für eine Gewalttat, so Haller.

Wenig Aufschluss über das Geschehen am 6. Februar 2019 gab die Befragung von sieben Kollegen des Opfers. Niemand konnte sich an einen von Soner Ö. beschriebenen Streit erinnern. Unstimmigkeiten und laute Besucher seien in der Sozialhilfeabteilung Alltag.

Der Prozess geht am Mittwoch nach Befragung des gerichtsmedizinischen Gutachters in die Schlussrunde. (Jutta Berger, 21.1.2020)