Der Körper im Posthumanismus: die Tänzerin Erna Ómarsdóttir.

Foto: Bernhard Müller

Es ist, als wollte diese Frau den unumstößlichen Beweis dafür liefern, dass der Mensch weder durch künstliche Surrogate ersetzt noch mit technischem Einsatz "verbessert" werden kann. In ihrem Solo IBM 1401 – A User’s Manual (in memoriam) liefert die isländische Tänzerin und Choreografin Erna Ómarsdóttir tatsächlich: An eine so intensive und komplexe Selbstbehauptung des Körpers wird wohl kein Apparat je herankommen. Mit diesem künstlerischen Statement wurde das biennale Festival Performing New Europe (PNEU) am Montag im Salzburger Szene-Theater eröffnet.

Außerdem sah es beinahe so aus, als hätten sich Ómarsdóttir (47) und ihre polnische Künstlerkollegin Ramona Nagabczynska (36), die an demselben Abend im Toihaus ihr Solo Body Parts zeigte, abgesprochen: zum Zweck der Ergänzung oder Verstärkung. Nagabczynska führt eine Frauenfigur vor, die wirkt, als käme sie frisch aus der Menschen-Formpresse unseres Wirtschaftslebens: glatt gestylt in cremefarbenem, schulterfreiem Kleid und beigen Pumps, das Gesicht dezent geschminkt und das Haar diszipliniert nach hinten gebunden.

Große Augen, ungerührter Blick, in die unbewegte Miene ist kräftig roter Lippenstift gemalt. Eine Figur, die ausstrahlt, was gerne als Überlegenheit missverstanden wird: undurchdringlich scheinende, lauernde Neutralität und Unverbindlichkeit. So sitzt sie auf dem Boden: eine posierende Inkarnation schwüler Träume mit einem Hauch Fifty Shades of – Beige.

Eklige Eskapade

In dieser Nymphe des Neoliberalismus gären Kräfte, die solch eine Maskerade irgendwann aufplatzen lassen könnten wie einen überreifen Furunkel. Doch gerade das passiert bei Body Parts nicht. Denn das streng normierte Stereotyp der domestizierten Femme fatale deformiert sich zwar in diversen Entgleisungen, doch ein Wandel will nicht gelingen: Statt in einen hoffnungsvollen Ausbruch manövriert sich die perfekt Angepasste nur in eine traurig wirkende Eskapade. Und die sieht ein bisschen eklig aus.

Genau an diesem Punkt greift Erna Ómarsdóttirs Frauenfigur ein. Und das mit einer Heftigkeit, als wollte sie der steckengebliebenen Kollegin zeigen, dass es heute nicht mehr um die Aufzucht von Anpassungsneurosen geht, sondern ums Ganze. Denn im digitalen Posthumanismus steht der Körper an sich zur Disposition. Das Tanzsolo IBM 1401 – A User’s Manual, in dem genau dieses Thema aufgegriffen wird, ist bereits 2002 entstanden. Es war eine Kooperation zwischen Ómarsdóttir und dem großen isländischen Musiker Jóhann Jóhannsson, der 2018 starb, bevor die beiden eine geplante Wiederaufnahme des Stücks umsetzen konnten.

Die Überwindung des menschlichen Körpers

Das macht die Choreografin jetzt in Eigenregie und im Gedenken an den Verstorbenen zusammen mit Ólafur Björn Ólafsson, der an Jóhannssons Stelle auftritt. Ólafsson muss die Tänzerin anfangs aus einem Kabelhaufen holen und sie fertig anziehen, bevor sie zu tanzen beginnt. Dieser Tanz hat sich seit 2003, als das Solo bei Impulstanz zu sehen war, ebenso radikal weiterentwickelt wie die digitale Industrie. Heute widerspiegelt die Tänzerin den Exzess der Vergesellschaftlichung einer Technologie, zu deren Zielen die Überwindung des menschlichen Körpers gehört. In dieser neuen Wucht und Intensität wird Ómarsdóttirs Tanz lesbarer. Für die Tänzerin selbst allerdings gerät jede Aufführung zur Zerreißprobe.

In ihr wütet der Protest, tobt eine Reaktion der Verteidigung, steigern sich Empörung und Trauer bis zum Exzess. Auch die Technologie selbst hat ihren Auftritt im Stück, doch sie wirkt, anders als Ómarsdóttirs hochaufgeladene Präsenz, eher zeitlos: Zwei Musikgeräte, die in gewissem Sinn den Computer in menschlichem Maßstab repräsentieren, aber auch die stumme und dumme Sturheit des Geräts an sich. Die Technik, gegen die sich die Tänzerin hier in den Kampf wirft, sieht anders aus und braucht keinen Extraauftritt: Denn sie ist – etwa in den Taschen der Besucher – ohnehin allgegenwärtig.

Nach diesem brillant zusammengestellten Auftakt dauert das Festival Performing New Europe bis zum 25. Jänner. Geboten werden unter anderem noch Werke von Mette Edvardsen, No Title, und Christina Ciupke mit Boris Hauf, Life and Death of a Melody. Ebenfalls empfehlenswert: Marta Navaridas’ Onírica in der Halle der Galerie Thaddaeus Ropac und Jérôme Bels ikonisches Stück The show must go on. (Helmut Ploebst, 22.1.2020)