In Venezuela unterstützen noch immer viele Menschen Machthaber Nicolás Maduro. Das Militär sichert Maduro territoriale Kontrolle.

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Ein Jahr ist es her, dass sich der bürgerliche Oppositionsführer Juan Guaidó in Venezuela vom Parlament zum Gegenpräsidenten hat vereidigen lassen. Doch wenig ist übrig von dem Elan, der damals Millionen auf die Straße trieb in der Hoffnung, die Tage von Machthaber Nicolás Maduro und seiner sozialistischen Mafiaclique seien gezählt. Für die meisten Venezolaner steht heute der alltägliche Überlebenskampf in einer mittlerweile dollarisierten Schwarzmarktwirtschaft im Zentrum ihres Interesses. Besonders in der Provinz herrschen weiterhin Stromausfälle, Wasserknappheit und Mangelwirtschaft.

Der Flüchtlingsstrom hält unvermindert an. Mittlerweile leben laut Uno 4,5 Millionen der 32 Millionen Venezolaner im Ausland. Die gespaltene Opposition, die immer wieder auf einen Sturz Maduros hingearbeitet hatte, hat Glaubwürdigkeit verspielt und muss sich nun neu orientieren. Das Militär steht trotz vereinzelter Überläufer weiterhin hinter Maduro.

Wichtiger Posten

2020, so zeichnete sich Anfang Jänner ab, wird im Zeichen des Konflikts um das Parlament stehen. Es ist die letzte bürgerliche Bastion und muss dieses Jahr neu gewählt werden. Der Konflikt begann mit der turnusmäßigen Wahl des Präsidiums Anfang Jänner. Der Posten ist deshalb wichtig, weil dem Parlamentspräsidenten verfassungsmäßig die Nachfolge zusteht, sollte der Präsident ausfallen. Außerdem muss das Parlament den Wahlrat und die obersten Richterposten besetzen – worüber sich Maduro allerdings hinwegsetzt – und die internationalen Verträge über die Ausbeutung von Bodenschätzen wie Erdöl oder Gold gutheißen. Andernfalls laufen die Investoren Gefahr, bei einem Machtwechsel ihr Geld zu verlieren. Offenbar hatte vor allem Russland Maduro deshalb gedrängt, das Parlament unter seine Kontrolle zu bringen.

2015 hatte die Opposition in einem Erdrutschsieg 112 der 167 Parlamentssitze errungen – es waren die letzten freien Wahlen in Venezuela. Maduro sabotierte das Parlament nach und nach – das Ergebnis in drei Wahlkreisen wurde annulliert. 2017 schuf Maduro mit der verfassungsgebenden Versammlung ein ihm gefügiges Parallelparlament.

Lukrative Geschäfte

In den vergangenen Monaten wurden schließlich gut ein Dutzend oppositionelle Abgeordnete mit Bargeld oder lukrativen Geschäften zum Import der Lebensmittelpakete (Clap) gekauft. Diese im Volksmund "Clap-Fraktion" genannte Gruppe versuchte Anfang Jänner die Parlamentspräsidentschaft zu übernehmen. Doch es kam keine ordentliche Abstimmung mit Quorum und der nötigen Mehrheit zustande – trotzdem erkannte Russland diese Führung an. Derweil berief Guaidó eine parallele Sitzung ein, auf der 99 Abgeordnete für ihn stimmten. Er ist für die USA, Europa und einen Großteil Lateinamerikas weiterhin der legitime Parlamentspräsident.

Noch komplexer wird die Situation durch die geopolitischen Interessen, die in Venezuela aufeinanderprallen. Da ist zum einen Kuba, das am venezolanischen Erdöltropf hängt und Maduro strategisch berät. Auch Russland, das mittlerweile einen Großteil der Erdölgeschäfte Venezuelas abwickelt, die Türkei, wohin die Goldreserven wandern, und Kreditgeber China sind wichtige Geschäftspartner Maduros.

US-Sanktionen gegen die Führungsriege

Die Gegenfraktion unter Führung der USA stützt Guaidó und hat Sanktionen gegen die Führungsriege in Caracas verhängt. In Lateinamerika verlor Maduro in den vergangenen Monaten durch Regierungswechsel fast vollständig seine Alliierten – nur noch Nicaragua und Kuba stehen voll hinter ihm, Mexiko und Argentinien sind neutral. Doch weder Druck und Drohungen noch Dialoge eröffneten bislang einen Ausweg aus der politischen und wirtschaftlichen Krise.

Nun will Guaidó mit internationaler Unterstützung den Druck auf Maduro erneut erhöhen und ist aktuell trotz Ausreiseverbots auf Tour, die ihn auch nach Europa führt. Am Dienstag waren Gespräche in London geplant, seine Tour führte ihn auch zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Auch in Spanien wird Guaidó erwartet. (Sandra Weiss, 22.1.2020)