In der Literatur wurde dem Schlaf oft ein Naheverhältnis zum Tod nachgesagt. Die Angst vor dem Nichtbewusstsein, das manchmal Kinder vom Schlafen abhält, hat sich so zum Teil auch in unser kulturelles Denken eingetragen. Moderne Schlafforschung zeigt aber deutlich, dass die Nachtruhe absolut kein einfaches, passives Abschalten ist, sondern eine Aktivität, die dem Leben des Menschen in den verschiedensten Bereichen zuträglich ist. Es ist längst nicht nur ein "Wiederaufladen der Batterien", sondern ein Zustand, in dem dem Gehirn Zeit gegeben wird, wichtige Funktionen zu erfüllen.

Forscher untersuchen, welche Erfahrungen des Tages während des Schlafens wie verarbeitet werden.
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Eine der Hauptaufgaben des schlafenden Gehirns ist die Informationsverarbeitung. Das "Lernen im Schlaf" ist Realität, wenn auch vielleicht in anderer Weise, als diverse Wundertechniken zum Fremdsprachenerwerb mittels nächtlicher Vokabelbeschallung glauben machen wollen.

Keine Vokabeln in der Nacht

Stellt man Manuel Schabus, den Leiter des Labors für Schlaf-, Kognitions- und Bewusstseinsforschung der Universität Salzburg, die Frage nach den Zusammenhängen zwischen Schlaf und Lernen, trifft er zuerst eine grundsätzliche Unterscheidung: Die eine Frage ist, ob Lernen auch während des Schlafens möglich ist und Informationen, die während der Ruhezeit einlagen, in relevanter Weise verarbeitet und gespeichert werden. "Die wissenschaftlichen Befunde in diesem Bereich sind widersprüchlich. Dass während des Schlafs keine neue Information verarbeitet werden kann, stimmt jedenfalls nicht ganz", erklärt Schabus. "Man muss jedoch sehr genau wissen, wann man die Informationen präsentiert. Nur in bestimmten Phasen des Schlafs ist man dafür zugänglich. Lässt man einfach nur eine Aufnahme mit Vokabeln über Nacht laufen, hat das eher negative Auswirkungen, weil der Erholungseffekt des Schlafs unterminiert wird."

Die andere Frage ist jene nach der Konsolidierung von Informationen im Schlaf. "Hier geht es darum, welche Erfahrungen, die ich tagsüber gemacht habe, tiefer ins Gehirn ‚eingemeißelt‘ werden können", beschreibt Schabus. Sowohl das Erfassen von Wissensinhalten als auch motorisches Lernen – etwa beim Radfahren oder Klavierspielen – sind davon betroffen. "Das Gelernte wird im Schlaf vor dem Vergessen bewahrt, vor Interferenz geschützt und ins Langzeitgedächtnis übertragen. So kann neue Information nicht eine alte überschreiben."

Guter Schlaf ist viel Wert: Unter anderem vertieft er den Lernprozess
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Während dieses Konsolidierungsvorgangs werden Gedächtnisinhalte noch einmal durchgespielt und die Synapsen, die Verbindungen zwischen den Nervenzellen, gestärkt. Zentrale Untersuchungsgegenstände in diesem Zusammenhang sind die sogenannten Schlafspindeln, die die nächtliche Informationsverarbeitung begleiten. Diese Gehirnstrommuster, die am Elektroenzephalogramm (EEG) der Schlafforscher ablesbar sind, entstehen bei Kommunikationsvorgängen zwischen Gehirnregionen und sind die ganze Nacht über zu beobachten. Zwölf bis 15 Schlafspindeln pro Sekunde sind ein übliches Muster.

Muster des Schlafspindels

Steigt der nächtliche Verarbeitungsaufwand, wirkt sich das auf das Muster der Schlafspindeln aus. "Hat man tagsüber viel gelernt, verändern sich die Morphologie und die Struktur der Schlafspindeln. Sie werden mehr und dauern etwas länger. Es ist zwar nur ein kleiner Effekt, aber er hilft dem Gehirn, die Informationen besser zu konsolidieren", sagt Schabus. "Generell gilt: Personen, deren EEG besonders viele Spindeln zeigt, können im Schlaf weniger leicht gestört werden. Ihre Gedächtnisleistung und ihre allgemeine Intelligenz sind meist höher. Um herauszufinden, ob dieser Umstand genetische Ursprünge hat oder aus frühkindlicher Stimulation resultiert, sind aber noch weitere Langzeituntersuchungen notwendig."

Auch die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dem Schlaf und dem sogenannten Testing-Effect – also wie viel ein Abrufen des Gelernten für den Lernfortschritt bringt – brachte bisher recht unterschiedliche Erkenntnisse. In einer Untersuchung von Schabus und Kollegen im Journal of Experimental Psychology wurde gezeigt, dass ein Gedächtnis, das bereits durch ein Abrufen des Gelernten gestärkt wurde, weniger vom Schlaf profitiert als ein schwächeres Gedächtnis.

Die beste Lernstrategie

Was wäre also die beste Lernstrategie? Schabus: "Die optimale Folge wäre, während des Tages zu lernen und kurz vor dem Schlafengehen schwierige Inhalte zu wiederholen und so einen Teil der Konsolidierung vorwegzunehmen. Dann sollten sieben bis neun Stunden tiefer, von Medikamenten und Alkohol unbeeinflusster Schlaf folgen." Durch die Wiederholung am Abend werde dem Gehirn ein Teil der nächtlichen Arbeit abgenommen, was langfristig die bessere Strategie sei. Positive Effekte, wenn auch in geringerem Ausmaß, bringt übrigens auch ein kurzer Schlaf tagsüber, haben Schabus und Kollegen in einer weiteren Studie gezeigt. Ein Mittagsschläfchen kann also durchaus Sinn ergeben.

So gut der Schlaf als Lernhelfer auch ist – jeder beliebige Inhalt wird dabei nicht gefestigt. "Bei manchen Dingen wird sogar ein Vergessen unterstützt", sagt Schabus. "Wenn man seit 30 Jahren Fahrrad fährt, und dann trainiert man an einem Nachmittag mit einem ‚verkehrten‘ Rad, das nach rechts fährt, wenn man nach links lenkt, und umgekehrt, ist das etwa der Fall." Das Gehirn geht scheinbar davon aus, dass diese Erfahrung im Vergleich zu der langfristigen Praxis nicht relevant ist. Schabus: "Offenbar setzt das Gehirn Prioritäten und trifft autonome Entscheidungen. Wie das genau abläuft, ist die spannende und ungelöste Frage."

Wenn das Hirn abbaut

Es ist nun durchaus naheliegend, über den Einfluss des Schlafs auf degenerative Krankheiten des Gehirns – quasi das Gegenteil des Lernens – nachzudenken. Beispielsweise wurde in Studien eine schlechte Schlafqualität mit Alzheimer in Zusammenhang gebracht. Forscher der Washington University School of Medicine in den USA konnten etwa im Mausmodell zeigen, dass Schlafentzug die Bildung und Verbreitung eines bestimmten Proteins fördert, das mit Alzheimer assoziiert ist. Guter Schlaf könnte einer schnellen Ausbreitung der Krankheit entgegenwirken, geht aus der entsprechenden Studie im Fachjournal Science hervor.

Für Schabus hat schlechter Schlaf vielfältige negative Auswirkungen auf den Körper. Ein schwaches Immunsystem, Stoffwechselerkrankungen und eine verkürzte Lebenserwartung stünden damit in einem Zusammenhang. "Bei Alzheimer gehört schlechter und unregelmäßiger Schlaf zu den ersten Symptomen. Dass schlechter Schlaf den kognitiven Verfall beschleunigt, ist wahrscheinlich", sagt der Forscher. "Klar ist, dass Muster wie Schlafspindeln und Tiefschlafwellen, die zur Speicherung von Informationen in der Nacht nötig sind, weniger werden. Umso wichtiger ist es, auf regelmäßigen und ausreichenden Schlaf zu achten, um möglichst lange kognitiv fit zu bleiben." (Alois Pumhösel, 22.1.2020)