Libanons Präsident Michel Aoun (rechts) mit dem neuen Premier Hassan Diab. In der Regierung sitzen einige Fachleute, die aber meist von Parteichefs nominiert wurden.

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Das neue libanesische Kabinett ist noch nicht vom Parlament bestätigt – aber bei den Demonstrantinnen und Demonstranten, die seit Oktober auf die Straße gehen und Premier Saad Hariri gestürzt haben, ist es bereits durchgefallen. Der 61-jährige Hassan Diab, am 19. Dezember mit der Regierungsbildung beauftragt, präsentierte seine zwanzig Minister und Ministerinnen als Technokratenkabinett, das den gesamten Libanon repräsentiere. Aber um das dem ehemaligen Bildungsminister (2011–2014) und Informatikprofessor abzunehmen, sind die Verbindungen der Ernannten zu einzelnen Parteien viel zu offensichtlich. Und diese vertreten politisch quasi nur die Hälfte des Libanon.

Wie die libanesische Verfassung es für den Posten des Ministerpräsidenten vorsieht, ist Hassan Diab ein Sunnit. Er hat jedoch wenig Rückhalt in seiner eigenen religiösen Gruppe: Sowohl seine Designierung als auch die jetzige Regierungsbildung gingen von der schiitischen Hisbollah und deren Verbündeten aus. Das sind die Partei des maronitischen Präsidenten Michel Aoun, also die Freie Patriotische Bewegung (FPM), die Schiitenpartei Amal und drei kleinere Parteien, eine davon drusisch (Libanesische Demokratische Partei) und zwei christlich (Marada und Melkiten).

Absurde Behauptung

Um auch die kleinen Parteien zu bedienen, musste Diab sein mit 18 Ministern veranschlagtes Kabinett auf 20 aufstocken – was die Behauptung, es seien völlig unpolitische Ernennungen, bereits ad absurdum führt.

Einer Forderung der Protestbewegung zumindest wurde entsprochen: Es sind lauter neue Gesichter, keine Parlamentarier sind dabei. Im neuen Kabinett sitzen auch sechs Frauen, darunter als Vizeministerpräsidentin und Verteidigungsministerin die Christin Zeina Akar Adra. Erfahrung mit militärischen Agenden hat sie keine. Außerdem sind Justiz, Arbeit, Jugend und Sport, Information und Flüchtlinge weiblich besetzt.

Nicht beteiligt an der Regierungsbildung war die Zukunftspartei von Expremier Hariri, der einmal mehr betonte, auch bei einem Scheitern des neuen Kabinetts nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Auch die Christenparteien Kataeb und Forces Libanaises sowie die größere der beiden Drusenparteien, die Progressiven Sozialisten von Walid Jumblat, hielten sich heraus. Während jedoch Christen auf beiden Seiten zu finden sind, betont die einseitige Regierungsbildung die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten.

Internationale Erleichterung

International wurde die Regierungsbildung, die drei Monate nach Hariris Rücktritt kommt, mit vorsichtiger Erleichterung aufgenommen: Man erhofft sich damit zumindest einen Schritt des Landes zurück vom finanziellen Abgrund. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versprach Hilfe, Uno-Generalsekretär António Guterres Unterstützung bei sofortigen Reformen. In einer Geberkonferenz in Paris im April 2018 waren dem Libanon elf Milliarden Dollar zugesagt worden, die jedoch nur zu fließen beginnen, wenn es die nötigen begleitenden wirtschaftlichen Maßnahmen gibt. Seit Monaten bewegt sich der Libanon am Rande des Staatsbankrotts, die Banken blieben zeitweise geschlossen.

Diab versprach am Mittwoch eine "völlig neue Zugangsweise" seiner Regierung zu Wirtschaft und Finanzen, eine Entlassung des umstrittenen Zentralbankgouverneurs Riad Salameh schloss er jedoch vorerst aus. Nach der ersten Kabinettssitzung versuchte Diab aber auch nicht, die "Katastrophe", in der sich der Libanon befinde, kleinzureden. Finanzminister ist der von der Amal-Partei von Parlamentspräsident Nabih Berri nominierte Ökonom Ghazi Wazni. Er nannte die Sanierung "machbar", warnte aber vor zu hohen Erwartungen, vor allem in Bezug auf die Entwicklung der libanesischen Währung.

Ob die Protestbewegung der neuen Regierung eine Chance gibt, steht auf einem anderen Blatt. Gerade am Wochenende waren die Proteste in Beirut wieder aufgeflammt und hatten zu gewaltsamen Zusammenstößen geführt. Nach Bekanntgabe der Regierungsbildung Dienstagabend strömten Demonstranten mit Slogans gegen Diab auf die Straßen. Anders als die ebenfalls seit Oktober laufenden Proteste im Irak waren jene im Libanon lange vorwiegend friedlich geblieben.

"Alle" sollen gehen

Die Demonstrationen im Libanon haben sich nicht weniger als einen totalen Systemwechsel zum Ziel gesetzt: "Alle" Politiker sollten gehen, die durch das komplizierte Quotensystem, das alle 18 anerkannten religiösen Gemeinschaften an der Macht beteiligt, nach oben gekommen sind. Und auch wenn in der neuen Regierung teilweise Fachleute sitzen, werden sie doch wieder als von Parteien rund um die Hisbollah gekürt wahrgenommen.

Die libanesische Konkordanzdemokratie ist historisch gewachsen, neu definiert wurde das System jedoch nach dem libanesischen Bürgerkrieg 1989. Damit wurden auch ehemalige Warlords in die Politik eingebunden, die jeweils ihre Klientel mit Posten und Pfründen versorgen konnten.

Die Protestbewegung fordert vehement ein Ende dieser konfessionellen Politik. Dazu müsste das Parlament zumindest einmal ein völlig neues Wahlrecht auf den Weg bringen – ein nicht abzusehender, langer Prozess, den die Demonstranten und Demonstrantinnen der schwer gespaltenen politischen Elite auch gar nicht zutrauen. (Gudrun Harrer, 23.1.2020)