Die Religionswissenschafter und -anthrolpologen Jeffrey B. Russell und Sabina Magliocco definieren in dem einschlägigen Artikel in der "Encyclopedia of Religion" Zauberei als "the attempt to influence the course of events by ritual means." Damit wird die bereits vom Ethnologen Bronislaw Malinowski getroffene Unterscheidung von Magie und Religion, der zufolge Magie auf die Beeinflussung/Beherrschung der Wirklichkeit abzielt, aufgegriffen. Der Begriff "Magie" fällt zwar nie in den steirischen Sagen, umfasst aber jenen Bereich, der hier mit Zauberei bezeichnet wird. Zauberei wird weiter definiert als System von Glaubensvorstellungen und Praktiken, deren Ziel es ist, die konkrete Lebenswirklichkeit im Interesse des Zauberers oder seiner "Kundschaft" zu manipulieren. Zauberei ist ein Weltdeutungsmodell, das nicht automatisch gegen, sondern neben und in Verbindung mit einer konkreten Religion existiert.

Ein Zopf Würmer

Das "Würmer schicken" gehört in die Kategorie des Schadenzaubers. Dieser sehr spezielle Zauber begegnet gleich in vier steirischen Sagen in der grundlegenden Sammlung des Volkskundlers Karl Haiding.

Im Kern geht es in diesen Sagen darum, dass jemand im Kontext der Almwirtschaft Würmer oder auch Maden zu jemand anderen auf die Alm oder Almhütte schickt und so wirtschaftlichen Schaden zufügt. Diese Würmer werden tatsächlich auf den Weg geschickt und oft noch vor Erreichen ihrer Destination mittels Gegenzauber unschädlich gemacht. Die Würmer oder Maden werden als quasi kollektives Wesen beschrieben: als "Zopf", als "Strudl", "Rawuzl", "Wuzel". Wie man diese Würmer herstellt, wird nur in einer Sage beschrieben: "Schon oftmals hat jemand auf Almwegen einen langen Zopf daherkriechen gesehen, der aus einer Unzahl von winzigen Würmern besteht. Damit diese entstehen, muss ein Mädchen unter sieben Jahren Garn spinnen. Das Garn wird dann in kleine Stückchen geschnitten, aus denen lebende Würmer werden. Diese kriechen zugleich übereinander und vorwärts, der graue 'Strudl wuzelt sich so dahin'." In den anderen Sagen liegt der Fokus auf den Auswirkungen der Würmer und vor allem auf deren Bekämpfung durch entsprechenden Gegenzauber.

Maden oder Würmer: Dem Nachbarn wurden allerhand Schädlinge geschickt.
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Kreuze gegen Schädlinge

Die magischen Würmer sind eindeutig Schädlinge. Sie befallen entweder in der Almhütte "alles …, was es verzehren konnte", oder machen sich sogar über das Gewand her oder aber sie schädigen das Vieh, das dann "leide[t] und keine Milch mehr" gibt. Wenn die Würmer nicht mittels Gegenzauber beseitigt werden, ist die ganze Saison auf der Alm verloren und damit die Existenz der Sennerin oder auch des jeweiligen Bauern bedroht. In allen vier Sagen kommt es allerdings nicht dazu, da auch verschiedene Abwehr- oder Gegenzauber bekannt sind: Zum einen werden christliche Kreuze, die auf den Boden gezeichnet werden oder als Kreuzstecken den Weg des "Zopfes" behindern, eingesetzt. Oder aber die Würmer müssen verbrannt beziehungsweise in der Pfanne geröstet werden, was nicht nur zu deren Tod führt, sondern auch jene Person, welche die Schädlinge geschickt hat, kenntlich macht: Sie oder er bekommt Brandwunden im Gesicht oder wird nach seinem Tod auch im Winter von Maden zerfressen.

Die Person, welche den Gegenzauber ausführt, ist nicht als religiöser Experte oder besonders zauberkundig ausgewiesen, wie es bei anderen Formen des Zaubers öfter erwähnt wird. Es handelt sich vielmehr um eine Form der Selbstverteidigung der betroffenen Sennerin. Ebenso sind jene Personen, welche die Würmer schicken, schlicht böse Nachbarn ohne weiteren Nachweis ihrer Zauberkunst. Insgesamt erscheint der Wurmzauber als sehr spezifischer Schadenzauber der Almwirtschaft, dessen Ausübende wie Geschädigte oder eben Abwehrende allesamt in diesem speziellen wirtschaftlichen und geografischen Setting beheimatet sind. Ein christlicher Hintergrund fehlt hier zur Gänze.

Auf der Alm, da gibt's ...

Gleichzeitig zeigen die beiden unterschiedlichen Formen der Abwehr sehr schön die Selbstverständlichkeit der Einordnung christlicher Symbole in die Alltagsmagie. Die Kreuze wirken ohne jede weitere Erklärung. Anders als der aktive Gegenzauber mittels Verbrennen der Würmer lassen die christlichen Kreuze jedoch die Person hinter der Wurmplage, also den Zauberer oder die Zauberin, ungeschoren, sie verhindern nur das Weiterkommen der Würmer. Auch die Sagensammlung des Historikers Walter Brunner kennt mit einer Ausnahme keine anderen Formen des Wurmzaubers als Schadenzauber, lediglich die Erklärung zur Entstehung der Würmer differiert ein wenig: In einer anderen Sage heißt es, ein sechsjähriges Mädchen müsse in der Heiligen Nacht weiße Schafwolle spinnen. Die Ausnahme zum narrativen Muster der anderen Sagen bildet "Die Maden und der Jäger" in der Sammlung von Brunner. Hier werden Maden schlicht durch das Einschließen von Fleischstücken im Hochsommer, also ohne jedweden Zauber "erzeugt". Lediglich das "Schicken" der Maden gegen eine andere Frau aus Eifersucht sowie die in den Boden gezeichneten Kreuze erinnern an das Narrativ der anderen Sagen. Allerdings fehlt hierbei gänzlich der lokale Kontext der Alm.

Das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens hat zwar einen ausführlichen Eintrag zum Thema "Würmer", kennt allerdings diesen speziellen steirischen Zauber nicht. Brunner erklärt, dass es sich um den Heerwurm der Larven der Trauermücke handelt, dessen zugartiges Auftreten im Jahr 1966 fotografiert worden sei.

Seit damals werden auf steirischen Almen offenbar keine Würmer mehr zur Nachbaralm geschickt, was zweifelsohne dem Tourismus zu Gute kommt – wer möchte schon beim Wandern über einen Zopf aus wimmelnden Würmern steigen oder diese geröstet in der Pfanne serviert bekommen. (Theresia Heimerl, 29.1.2020)

Theresia Heimerl ist ist ao. Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Graz und Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark.

Dieser Beitrag ist Teilergebnis eines Publikationsprojektes zu "Steirischen Sagen in religionswissenschaftlicher Perspektive", das von Theresia Heimerl und Peter Wiesflecker herausgegeben wird.

Literaturhinweise

Brunner, Walter: Steirische Sagen von Hexerei und Zauberei, Graz: Leykam 1987, hier die Sagen mit den Nummern 230 – 236, 4 Sagen sind mit Haiding ident.

Haiding, Karl: Volkssagen aus der Steiermark, Graz-Wien: Leykam 1982, hier die Sagen mit den Nummern 39,40, 68, 69.

R. Rieger, Art. Wurm, in: Beth, Karl: Schadenzauber, in: Bächtold-Stäubli (Hg.), Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. 9, Berlin/New York: de Gruyter 32000, 842-858.

Russell, Jeffrey B. / Magliocco, Sabina: Witchcraft. Concepts of Witchcraft, in: Jones, Lindsay (Hg.): Encyclopedia of Religion. 14, Chicago/Detroit: Macmillan 22005, 9768–9776.

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