Die Ohrenqualle ist auch in Nord- und Ostsee ein häufiger Anblick – und keiner, vor dem man sich fürchten muss.
Foto: https://elifesciences.org/articles/50084

Um die Frage, die jedem beim Stichwort "Qualle" sofort auf der Zunge liegt, als Erstes zu beantworten: Die Ohrenqualle (Aurelia aurita), zu der die Universität Bonn nun eine neue Studie präsentiert hat, ist für den Menschen harmlos. Die drei bis 30 Zentimeter großen Tiere ernähren sich von Plankton und müssen sich viel eher selbst vor ihren Mitschwimmern in Acht nehmen: Von Fischen über Meeresschildkröten bis zu anderen Quallenarten machen alle möglichen Tiere Jagd auf sie.

Ob auf der Flucht oder auf der Suche nach Nahrung, die Fortbewegung der Tiere werten die Forscher um Fabian Pallasdies vom Institut für Genetik der Uni Bonn als besonders effizient. "Diese Quallen haben ringförmige Muskeln, die sich zusammenziehen und damit das Wasser aus dem Schirm drücken", sagt Pallasdies. Die Tiere erzeugen am Rand ihres Schirmes Wirbel, die den Vortrieb verstärken. "Weiterhin ist nur für das Zusammenziehen des Schirmes Muskelkraft erforderlich, die Ausdehnung geschieht automatisch, weil das Gewebe elastisch ist und in die ursprüngliche Form zurückkehrt."

Mathematisch betrachtet

Die Forscher haben nun ein mathematisches Modell der Nervennetzwerke von Ohrenquallen entwickelt und daran untersucht, wie diese Netzwerke die Fortbewegung der Tiere steuern. Schon im 20. Jahrhundert wurden viele experimentelle neurophysiologische Daten über Quallen gewonnen, auf die die Forscher der Universität Bonn ihr mathematisches Modell stützen konnten. Dabei berücksichtigten sie in mehreren Schritten einzelne Nervenzellen, Nervenzellnetzwerke und das gesamte Tier sowie das umgebende Wasser.

Die Quallen können mit Lichtreizen und mit einem Gleichgewichtsorgan ihre Lage wahrnehmen. Wird eine Ohrenqualle von der Meeresströmung gedreht, gleicht das Tier dies wieder aus und bewegt sich zum Beispiel weiter zur Wasseroberfläche. Mit ihrem Modell konnten die Forscher die Vermutung bestätigen, dass die Ohrenqualle ein Nervenzellnetzwerk fürs Geradeausschwimmen und zwei für Drehbewegungen nutzt.

Dezentrale Signalverarbeitung

Die Aktivität der Nervenzellen breitet sich im Schirm der Qualle wellenförmig aus. Wie bereits Experimente aus dem 19. Jahrhundert zeigen, funktioniert die Fortbewegung sogar noch, wenn große Teile des Schirms verletzt sind. Die Bonner Forscher erklären dieses Phänomen nun mit ihren Simulationen: "Quallen können an jedem Ort auf ihrem Schirm Signale wahrnehmen und weitergeben", sagt Pallasdies. Wenn eine Nervenzelle feuert, feuern auch die anderen, selbst wenn Abschnitte des Schirms beeinträchtigt sind.

Allerdings würde die wellenförmige Ausbreitung der Erregung im Schirm der Qualle gestört, wenn die Nervenzellen beliebig feuerten. Wie die Forscher nun anhand ihres Modells herausgefunden haben, wird diese Gefahr unterbunden, indem die Nervenzellen nach dem Feuern so schnell nicht wieder aktiv werden können.

Derzeit werden auch Unterwasserroboter entwickelt, die sich nach dem Schwimmprinzip von Schirmquallen wie der Ohrenqualln fortbewegen. Pallasdies: "Vielleicht kann unsere Studie auch dazu beitragen, die autonome Steuerung dieser Roboter zu verbessern." (red, 27. 1. 2020)