Familie, Priesterschaft, soziale Schichtung, Politik seien "dem Herrn Jesus eigentlich gleichgültig" gewesen, sagte Adolf Holl.

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Die "Einladung zum Gesinnungswechsel", die Jesus Christus ausgesprochen haben soll, hat dem nachmals abtrünnigen Kirchenmann Adolf Holl spürbar am meisten imponiert. Holl wollte sich wohl auch mit einem Erlöser beschäftigen, der seinen eigenen Vorstellungen von Esprit entsprach.

Den Einfluss von Holls Buchtitel "Jesus in schlechter Gesellschaft" (1971) ermisst, wer sich das weitgehend unumschränkte Wirken der katholischen Amtskirche nach 1945 vor Augen hält. Holl, wohlbehüteter Sohn einer Wiener Alleinerzieherin, wurde 1954 zum Priester geweiht. Ab 1963 wirkte der rundum Gebildete als katholisch-theologischer Dozent an der Uni Wien.

Im Kriegswinter 1944 soll Holl sich von der Magie einer lateinischen Messfeier endgültig für die Sache der Kirche haben gewinnen lassen. Vom Mysterium der Wandlung zehrte er auch dann, als er die Person Jesu gegen massive kirchenamtliche Widerstände mit sicherem Griff im Diesseits verortete.

Zweifel an der Schrift-Deutung

Zu Jahresanfang 1968 soll Holl während der Vorbereitung einer Predigt in seiner Wiener Kaplanswohnung angesichts folgenden Halbsatzes aus dem Prolog des Johannesevangeliums stutzig geworden sein: "Die nicht aus dem Blute, nicht aus dem Begehren des Fleisches, nicht aus dem Begehren des Mannes, sondern aus Gott gezeugt sind."

Was ist, dachte Holl, wenn der Evangelist nicht so sehr die Freuden der Fleischlichkeit als solche habe denunzieren wollen? Wenn er stattdessen – allerdings mit Nachdruck – die heilige Einrichtung der Familie kritisiert hätte?

Das Buch, das aus diesen Fragen resultierte, wurde prompt ein Bestseller und in zehn Sprachen übersetzt. So bildet "Jesus in schlechter Gesellschaft" zum Beispiel noch heute einen Schlüssel- und Verständigungstext der brasilianischen Befreiungstheologie. Ihren Autor kostete sie seine Lehrbefugnis. Als Holl, dieser spitz formulierende Schrecken vieler Frömmler, 1975 vor der Fernsehöffentlichkeit auch noch den Bruch des Zölibats einbekannte, schien der Kelch endgültig übergelaufen. 1976 wurde er von Kardinal Franz König vom Priesteramt suspendiert.

Denken mit Druckreife

Als TV-Intellektueller machte der Renegat gleichwohl Karriere. In seinen brillanten Schriften und Überlegungen fanden Heiliger Geist und Zeitgeist einträchtig nebeneinander Platz. Sich selbst inszenierte Holl als guten Menschen vom Küniglberg: perfekt inszeniert im schwarzen Rollkragenpullover, jeder gesprochene Satz ein Produkt aus spontaner Denkleistung und Druckreife. Als Diskussionsleiter im legendären "Club 2" machte er Furore.

Er selbst begriff sich vornehmlich als Journalist und verfasste mehr als 30 Bücher. Titel wie "Der lachende Christus" und "Wie gründet man eine Religion?" verdeutlichen Glück wie Dilemma einer im Wandel begriffenen Glaubensgemeinschaft. Vertreter des katholischen Milieus konnten oder wollten auf die Spielfläche ihrer geoffenbarten Religion nicht verzichten, um Reformen anzumahnen, die in Wahrheit alle angingen.

Holl? Blieb das (linke) gute Gewissen dieser Strömung. Der streitbar-heitere Publizist erhielt 2018 noch eine umfassende Biografie aus der Feder von Harald Klauhs geschenkt ("Holl. Bilanz eines rebellischen Lebens"). Jetzt ist er in Wien fast 90-jährig gestorben. Gut möglich, dass er, angekommen in den Gefilden der Seligen, den Lieben Gott bei Bedarf mit einigen Widerworten beschenken wird. (Ronald Pohl, 23.1.2020)