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Wieder protestieren tausende Franzosen.

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Die Gesundheits- und Sozialministerin Agnès Buzyn verteidigte am Freitag den Reformvorschlag von Emmanuel Macron.

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Wegen der Proteste gab es erneut massive Störungen in der Pariser U-Bahn.

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Zuerst streiken – dann verhandeln: Diese Eigenheit der französischen Demokratie bestätigt sich in der aktuellen Auseinandersetzung um Emmanuel Macrons Pensionsreform. Man würde es kaum glauben, aber in sieben Wochen Sozialkonflikt wussten die streikenden Eisenbahner nicht wirklich, wogegen sie protestierten – oder wofür.

Am Freitag gingen landesweit erneut Zehntausende auf die Straße. Zugleich legte Macron sein Projekt dem Parlament vor. Unter dem Druck der Straße hat er massive Abstriche gemacht. 2017 hatte Macron gelobt, er werde ein gerechteres und langfristig durchfinanziertes System schaffen.

Einheitliches Rentensystem

Ein überaus ehrgeiziges Ziel. Das er nun verpasst. Zum Zweck der sozialen Gerechtigkeit sollen die 42 Spezialkassen, die teil weise aus dem 18. Jahrhundert stammen, zwar aufgelöst werden und in ein einheitliches Rentensystem einfließen; diverse Berufskategorien wie Soldaten, Polizisten, Eisenbahner und Piloten haben aber in den vergangenen Wochen bereits wieder ein Sonderstatut erwirkt. Und das ist erst der Beginn. Auch das finanzielle Gleichgewicht scheint unerreichbar. Macron machte zuletzt milliardenschwere Konzessionen – wie etwa eine Mindestrente von 1000 Euro. Zudem verlängerte er nach und nach die Übergangsfristen. Vollumfänglich gilt das neue System erst für Bürger, die nach 2066 in Pension gehen – also erst in etlichen Jahrzehnten.

Das Rentenalter 62 bleibt ebenso in Kraft wie das Umlageverfahren, dem keine Kapitalisierung der Pensionen zur Seite gestellt wird. Einzelne Ökonomen sprechen deshalb von einer "linken" Rentenreform – zumal Premierminister Edouard Philippe kurz nach Neujahr einen zentralen Reformpunkt – Vollrente erst mit 64 Jahren – zurückgenommen hat. Damit sollte das Kassendefizit von 17 Milliarden im Jahr 2025 gesenkt werden. Die Sozialpartner sollen nun nach Alternativen suchen, um die Finanzierung zu sichern, sonst droht Philippe damit, das Rentenalter 64 doch noch in die Reform aufzunehmen. Politisch wäre das allerdings kaum denkbar. Die Regierung verlöre damit den einzigen Verbündeten, die gemäßigte Gewerkschaft CFDT, für die das faktische Rentenalter 64 ein rotes Tuch ist.

Mehrheit gegen Macron

Wie auch immer: Macron hat die Mehrheit der Franzosen gegen sich: Laut einer neuen Umfrage wünschen sich 61 Prozent der Befragten, dass die ganze Reform abgeblasen wird. In das chronische Misstrauen der Franzosen gegen ihre Staatsführung mischt sich viel Unsicherheit. Alleinerziehende Frauen wissen zum Beispiel bis heute nicht, ob sie in dem neuen Punkteverfahren gewinnen oder verlieren werden.

Auch politisch gibt es mehr Verlierer als Gewinner. Auf Gewerkschaftsseite steht die CFDT dank ihrer Gesprächsbereitschaft immerhin besser da als die radikale CGT, die mit ihrer kategorischen Forderung nach einem Rückzug der gesamten Reform gescheitert ist. Insofern kann es Macron schon als Erfolg verbuchen, dass er sein bisher wichtigstes Vor haben überhaupt auf den Gesetzesweg bringen kann. Im Februar soll es vor das Parlament kommen – wo die Macron-Partei die Mehrheit hat – und im Sommer dann verabschiedet werden.

Politischer Preis

Inhaltlich hat die Reform aber schon so viele Federn gelassen und Fragen aufgeworfen, dass sie kaum als großer Wurf in die französische Sozialgeschichte eingehen wird. Auch politisch zahlt Macron einen hohen Preis. Unpopulär und durch die Gelbwestenkrise angeschlagen, hat der ehrgeizige Präsident die Franzosen zusätzlich verärgert. Selbst Vertreter seiner Partei La République en Marche schütteln den Kopf über das taktische Unvermögen der Macron-Equipe. Mit ihrem Amateurismus und Zaudern verwandelten seine Vertrauten ein an sich sinnvolles, zumindest vertretbares Wahlversprechen nach und nach in ein widersprüchliches und undurchschaubares Technokratiemonstrum.

Geeignet ist es vor allem, um Macrons politischen Gegnern Munition in die Hand zu geben. So kündigte die Rechtspopulistin Marine Le Pen unter Applaus an, sie würde die Reform ganz zurücknehmen, sollte sie die Präsidentschaftswahlen 2022 gewinnen.

Jetzt schon überschattet der Rentenplan die Kampagne für die Kommunalwahlen im März: Bei diesem ersten Wahltest seit Macrons Wahl 2017 rechnen die Auguren mit allem – außer mit einem Triumph des amtierenden Präsidenten. (Stefan Brändle aus Paris, 24.1.2020)