Am vergangenen Wochenende sind die "Sardinen" in die Stadt zurückgekehrt, wo alles begonnen hat: nach Bologna. Am 14. November 2019 hatte der 32-jährige Ökonom und Sportlehrer Mattia Santori zusammen mit drei Freunden im Hauptort der Emilia-Romagna über Facebook den ersten Flashmob der "Sardinen" organisiert. Bereits bei der ersten Kundgebung waren gleich 15.000 Menschen auf die Straße gegangen. Am vergangenen Sonntag waren es über 40.000. "Wir sind innerhalb von wenigen Wochen die erste Alternative zu Nationalismus und Rechtspopulismus geworden", erklärte Santori in Bologna.

Das ist nicht übertrieben: Seit ihrer Gründung hat die neue Bürgerbewegung in über hundert Städten in ganz Italien Flashmobs organisiert, zu denen insgesamt weit über eine halbe Million Menschen strömten. Die "Sardinen" sind vermutlich die erste Massenbewegung, deren Protest sich nicht gegen die Regierung richtet, sondern gegen die Opposition: Der Gegner der "Sardinen" ist Lega-Chef und Ex-Innenminister Matteo Salvini, Italiens Rechtspopulist vom Dienst. Mit ihrem stillen und friedfertigen Protest will die Bewegung ein Zeichen setzen gegen all das, wofür Salvini in ihren Augen steht: Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung, Sexismus – und den ständigen Lärm, das Geschrei und das Niederbrüllen des Gegners, das den politischen Diskurs beherrscht.

Mattia Santori bei der Kundgebung in Bologna.
Foto: APA/AFP/Solaro

Ernsthaftere Politik

Die spontanen Kundgebungen sollen dem rechten Volkstribun demonstrieren, dass seine Hetzkampagne gegen Migranten und private Retter nicht von allen Italienern unterstützt werde, betont Santori. In Zeiten, in denen die sozialen Medien von Hass, Morddrohungen und sexistischen Beleidigungen überquellen, fordern die "Sardinen" wieder eine ernsthaftere Politik und vor allem zivilisierte Umgangsformen: "Wir verteidigen etwas, was allen am Herzen liegen sollte: einen respektvollen Umgang und Informationen, die ohne bewusste Falschmeldungen auskommen", sagt Santori. Der soziale Zusammenhalt sei durch die ständige Hetze im Netz bereits schwer beschädigt worden.

Die Flashmobs der "Sardinen" sind aber auch ein Weckruf für die Linke, die gegen die Slogans des Lega-Chefs noch kein Mittel gefunden hat. Dass die erste und bisher letzte "Sardinen"-Invasion in Bologna stattgefunden hat, ist kein Zufall: Am kommenden Wochenende finden in der traditionell roten Region Emilia-Romagna Wahlen statt, und der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) scheint sich bereits damit abgefunden zu haben, auch noch seine letzte Hochburg an Salvini zu verlieren. "Wir können nicht mehr länger faul auf dem Sofa liegen und glauben, das Problem löse sich von selber", betont Santori.

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"Sardinen" gehen in Bibbiano auf die Straße.
Foto: Reuters/Greco

Falscher Fuß

Der plötzliche Protest vorwiegend junger Italienerinnen und Italiener hat Salvini auf dem falschen Fuß erwischt. Bisher ist ihm dazu nicht viel mehr eingefallen als der Versuch, die neue Bewegung zu kriminalisieren und in die linke Ecke zu stellen. Sympathien haben die "Sardinen" aber bis weit in bürgerlich-konservative Schichten hinein gewonnen. "Ich bin keine 'Sardine', aber ich glaube, dass man das Positive der Bewegung aufgreifen sollte, zum Wohl des Landes", erklärte beispielsweise der vatikanische Staatssekretär Pietro Parolin, die Nummer zwei im Kirchenstaat nach dem Papst. Sogar Silvio Berlusconis junge Verlobte Francesca Pasquale sagte, dass sie zu einer "Sardinen"-Kundgebung gehen werde.

Negativbeispiel Fünf Sterne

Die große Frage ist, ob der Protest der "Sardinen" in der Lage ist, den Wahlausgang in der Emilia-Romagna zu beeinflussen: Trotz ihres großen Erfolgs mit den Spontankundgebungen lehnt es die Bewegung ab, sich in eine politische Partei zu verwandeln und bei Wahlen zu kandidieren. "Unsere Revolte in ein politisches Korsett zu stecken wäre lächerlich: Das ist, als wollte man dem Meer, in dem die Sardinen leben, eine Grenze setzen", sagt Santori. Als abschreckendes Beispiel haben die "Sardinen" die Fünf-Sterne-Protestbewegung vor Augen, die als größte Regierungspartei jegliche revolutionäre Ausstrahlungskraft verloren hat, in der Regierung nichts zustande bringt – und sich in einem wohl unaufhaltsamen Niedergang befindet.

Werden die Teilnehmer der "Sardinen"-Demonstrationen, die sich vor allem aus enttäuschten Links-Wählern und ehemaligen Anhängern der Fünf Sterne rekrutieren, am Wochenende überhaupt wählen gehen? Und wem würden sie ihre Stimme geben? Salvini zeigte sich in den letzten Tagen siegesgewiss: "Am 26. Jänner werden Menschen aus Fleisch und Blut in die Wahllokale strömen, nicht Sardinen oder Eichhörnchen", erklärte der Lega-Chef bei einer Wahlveranstaltung in einem Vorort von Bologna. Die Lega werde siegen, und es werde ein "Sieg der Realität gegen die Fantasie" sein. (Dominik Straub aus Rom, 24.1.2020)