Theresa Lachner: "Es ist unvorstellbar, wie viel an Porno produziert und konsumiert wird und wie sehr das unsere Sexualität beeinflusst."

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Theresa Lachner, "Lvstprinzip", € 20,60 / 239 Seiten, Blümenbar, 2019.

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Theresa Lachner beschreibt in ihrem aktuellen Buch "Lvstprinzip" ihre Anfänge als Sexbloggerin und Jobs bei Frauenzeitschriften, die Frauen zwar viel raten – aber alles andere als helfen. Heute betreibt sie einen großen deutschsprachigen Sexblog, wie es ihn sonst kaum gibt, ebenfalls mit dem Namen "Lvstprinzip". Nach vielen Jahren als Sexbloggerin ist Lachner überzeugt, dass die Welt eine bessere wäre, wenn "wir alle mal offener über Sex reden würden", wie sie in ihrem Buch schreibt. Und damit beginnt sie bei sich selbst.

STANDARD: Sie exponieren sich mit Ihrer Arbeit als Sexbloggerin und jetzt auch mit Ihrem Buch sehr. Wir geht es Ihnen damit?

Lachner: Da wächst man rein. Ich schreibe jetzt seit 2009 über Sex, und das Feedback zeigt mir, dass Menschen sich in persönlichen Geschichten einfach besser wiederfinden können als in irgendwelchen Ratschlägen. Was genau ich teile, wann und vor allem warum, überlege ich mir sehr genau. Abstand hilft – mein Buch handelt von meinen Zwanzigern, jetzt bin ich 33. Meine oberste Maxime ist, nur über Sachen zu schreiben, die ich schon verarbeitet und verstanden habe. Ich verarbeite zwar auch viel beim Schreiben selbst, allerdings darf es erst dann raus, wenn es passt. Das rate ich auch den GastautorInnen meines Blogs.

STANDARD: Sie erzählen in Ihrem Buch auch von Ihrer Arbeit bei Frauenzeitschriften und deren Zugang, über Sex zu schreiben, der bei Ihnen nicht gut wegkommt. Kann man Frauenzeitschriften wie etwa der "Cosmopolitan" nicht zugutehalten, dass sie schon seit Jahrzehnten über Sex schreiben?

Lachner: Kann man – aber sie tun es eben oft nur auf eine ganz bestimmte Art. Ich hatte bei meiner Arbeit bei einer Frauenzeitschrift nur eine kleine Themenauswahl zur Verfügung. Vor gut fünf Jahren hätte man beispielsweise einen Artikel über Bisexualität nicht abgedruckt, weil das zu nah an Homosexualität war und da der Anzeigenkunde abspringt. Da ändert sich zum Glück inzwischen einiges.

Heute bemüht man sich da schon mehr, auch weil Feminismus salonfähiger geworden ist – und natürlich auch, weil er sich besser verkauft. Sextipps, wie sie Frauenzeitschriften oft geben, finde ich uninteressant. Schnelle Lösungen klicken gut, aber es gibt nun mal keine Bedienungsanleitung, die für alle gilt. Dafür gibt es, gerade beim Thema Sex, viel zu viele Nuancen. Ich bin mir sicher, dass Tipps wie "verführe ihn mit einem Eiswürfel" keiner über 17 ernsthaft ausprobiert. Dafür gibt es so viele sexuelle Bildungslücken, und meine Arbeit hat einen Bildungsauftrag. In meinem Blog behandle ich Themen wie Sex mit Handicap, Sex im Alter, Polyamorie, Vaginismus, Trauer. Es macht mir Spaß, systematisch Tabus zu brechen.

STANDARD: Wie schaut aktuell das Angebot an guten Texten über Sex im Internet aus?

Lachner: Als ich mit "Lvstprinzip" angefangen habe, gab es praktisch keine deutschen Sexblogs, die Ähnliches wie ich machten. Inzwischen gibt es ein paar mehr, es könnten aber noch viel mehr sein. Und es sollten viel mehr Männer über Sex schreiben, gut über Sex schreiben. Es regt mich wahnsinnig auf, wenn jemand sagt, mein Blog wäre einer über "weibliche Sexualität". Es ist ein Blog über Sex, und ich will so viele Facetten wie möglich auf dem Blog haben und investiere deshalb viel Zeit in meine AutorInnen. Es gibt coole Männer, die gute Ansichten zu Sexualität haben, und die möchte ich auch repräsentieren.

STANDARD: Alternativen zu herkömmlichen Produkten der Sexindustrie kommen tatsächlich eher von Frauen.

Lachner: Ja, das stimmt, und das ist auch wichtig. Trotzdem sind es Stereotypen, dass man einerseits "Porno-Schmuddelecke" mit "bäh, böse, Mann" assoziiert und "Sinnlichkeit, Leidenschaft, Erotik" mit so etwas Sauberem, Weiblichem. Das macht die weibliche Lust klein, dass sie immer so etwas Schönes, Zärtliches und Stilvolles sein muss. Und umgekehrt wollen auch Männer Intimität, Zärtlichkeit und Nähe. Es ist sehr wichtig, das zu zeigen.

STANDARD: Seit 2017 sind feministische Debatten über Sexualität stark von der #MeToo-Debatte geprägt. Wie erleben Sie als Sexbloggerin diese Debatten?

Lachner: #MeToo ist toll. Viele Themen, die ich seit elf Jahren auf dem Schirm habe, haben durch #MeToo eine breitere Öffentlichkeit gefunden, und es ist klar geworden, dass sexualisierte Übergriffe kein Randgruppenproblem sind. #MeToo hat uns eine neue Sprache gegeben, um über diese Probleme zu reden, und kann so zu einem anderen Umgang mit Sexualität und Grenzen führen. Meiner Beobachtung nach gibt es im Zwischenmenschlichen durchaus eine andere Nuanciertheit im Umgang miteinander. Viele Frauen trauen sich eher, Dinge anzusprechen. Allerdings bekomme ich auch von gar nicht so wenigen Männern in meinem Umfeld mit, dass sie Opfer von Übergriffigkeiten werden – und die trauen sich immer noch nicht, darüber zu reden, weil sie doppelt stigmatisiert werden. Natürlich sind Frauen statistisch gesehen viel mehr betroffen, und #MeToo zeigt uns, wie sehr – aber auch Männer machen schlechte Erfahrungen, und das wird noch immer sehr tabuisiert.

STANDARD: Wie hätte man das Thema sexualisierte Gewalt an Männern in der Debatte stärker mitnehmen können?

Lachner: Es liegt immer auch in der Eigenverantwortung der Betroffenen, darüber zu reden, und ich verstehe jeden Menschen, der sich dem nicht aussetzen möchte. Wir alle können aufhören, davon auszugehen, dass Männer eh immer wollen – sie wollen einfach nicht eh immer. In manchen Frauenzeitschriften wird es immer noch als besonders selbstbestimmt propagiert, einfach seinen Kopf nach unten zu drücken und sich zu nehmen, was man will.

STANDARD: Können Sie Veränderungen seit #MeToo auch auf Dating-Apps oder auf Sexpartys beobachten?

Lachner: Dass es jetzt etwa auch in Wien Sex-Positive-Partys gibt, hat sicher damit zu tun. Diese Events sind teilweise daraus entstanden, dass das Thema Konsens in den Fokus gerückt ist und immer mehr Menschen nach einem sicheren Rahmen suchen, in dem sie sich ausprobieren können. Ich merke gerade bei Jüngeren, dass sie sich viel mehr damit auseinandersetzen, mich fragen, wie sie es schaffen können, kein Arsch zu sein.

STANDARD: Sie erzählen in Ihrem Buch, wie Sie für Ihren Blog Verschiedenes ausprobiert haben, vom Tantra- bis hin zum Japanese-Bondage-Workshop. Sie beschreiben das oft als eine große Überwindung. Wie unterscheiden Sie, ob etwas Nervosität vor etwas Neuem ist – oder ob man einfach nicht will?

Lachner: Da ist viel Übungssache dabei. Je öfter man so etwas macht, desto besser kann man zwischen Lampenfieber und einem Bauchgefühl, dass das einfach nicht für mich passt, unterscheiden. Inzwischen bin ich sehr sensibel für diese Guru-Szenarien. Egal ob im Tantra oder im Yoga – jede dieser Esoterikszenen hat ihren eigenen #MeToo-Skandal. Sobald mir ein alter Mann erklärt, was ich alles tun muss, um meine Blockaden zu überwinden, steige ich aus. Abgesehen davon kommt es bei diesen Workshops auch immer sehr auf die Menschen an, die dort sind. Mit jemandem, von dem ich mich in der U-Bahn wegsetzen würde, will ich nicht nackt sein, auch wenn es in unsere Zeit passt, dass man sich ständig zu irgendwas überwinden soll, um etwas krasses Neues, Erleuchtendes zu erleben. Ich will davon jetzt nicht grundlegend abraten, aber man kann seine persönlichen Tabus und Grenzen ruhig ehren, finde ich.

STANDARD: Wie gehen Sie mit der engen Verzahnung von Sex und Kapitalismus um?

Lachner: Ich darf mich da gar nicht ausnehmen, ich lebe ja auch vom Schreiben über Sex ganz gut. Aber es ist unvorstellbar, wie viel an Porno produziert und konsumiert wird und wie sehr das unsere Sexualität beeinflusst. Allein auf Pornhub wurden im letzten Jahr 1.36 Millionen Stunden Videomaterial hochgeladen. Es würde 169 Jahre dauern, die anzuschauen – und das ist nur eine Website von sehr vielen. Ich finde es wichtig, dass es Alternativen zu dieser Mainstream-Pornoindustrie gibt, und wenn sich fünf Frauen in einem Yoga-Raum treffen und mit einem Handspiegel ihre Vulva ansehen und sich danach besser fühlen, ist das doch toll.

STANDARD: Auch diese alternativen Angebote formen unsere Sexualität.

Lachner: Ja, und ich würde sagen, dass irgendwelche Workshops, Sexualberatungen oder Women's Circles eher wieder geraderücken, was die Mainstreampornografie angeknackst hat. Viele Männer können mit einer Frau gar nicht mehr richtig interagieren, weil sie dieses Pornosetting schon so verinnerlicht haben, dass sie überfordert sind, wenn da jemand anderes atmet. Alles, was Menschen hilft, sich in ihrer Sexualität und mit ihren Körpern wohler zu fühlen, finde ich gut – und deshalb soll es auch diese Angebote geben. (Beate Hausbichler, 28.1.2020)