Schon mindestens eine Stunde stehen sie sich die Beine in den Bauch. Zwei Dutzend Mädchen zwischen zwölf und 15 haben sich im Schuhgeschäft neben der Rolltreppe aufgereiht, vor ihnen dunkle Absperrbänder. Die Gruppe wartet auf Lena und Lisa, kurz LeLi. Kennen Sie nicht? Fragen Sie mal Ihre Kinder. Die Zwillinge aus Stuttgart sind auf Social Media zu Stars aufgestiegen. In zwei Stunden soll im Humanic auf der Wiener Mariahilfer Straße das "Meet & Greet" mit den beiden 17-jährigen Influencerinnen über die Bühne gehen.

"Lena und Lisa sind so bodenständig, so natürlich", versucht eine aus der Mädchentraube ihre Begeisterung in Worte zu fassen. Es klingt so, als kenne sie die Zwillinge schon lange. Die sind für ein Wochenende nach Wien geflogen, um die Schuhe, die sie für die Marke Buffalo entworfen haben, zu promoten. Die Fans erhoffen Umarmungen, Unterschriften, Selfies.

Während die Schlange hinter dem Absperrband länger und länger wird (am Ende sind es rund 500 Fans), stehen LeLi im Untergeschoß schon zum Interview parat: zweimal blonder Haarschopf, zweimal strahlend weiße Zähne, zweimal routiniertes Händeschütteln. Hier sind zwei dauerlächelnde Vollprofis am Werk, solche Termine absolvieren sie, seit sie 13 Jahre alt sind.

Hübsch, brav, unpolitisch: Die Social-Media-Stars Lena und Lisa sind so etwas wie die Kessler-Zwillinge der Gegenwart.
Foto: buffoloshoes & lisa&lena

Mit Videos durch die Pubertät

Aus einem unbekannten Zwillingspaar wurden international erfolgreiche Influencerinnen. Um diese märchenhafte Geschichte zu verstehen, muss man im Jahr 2015 beginnen. Damals veröffentlichten die Zahnspangenträgerinnen auf der Playback-Video-App Musical.ly ein Filmchen: Die Mädchen tanzten und bewegten ihre Lippen zu Chart-Hits. Erst schauten nur Freunde, Bekannte, Mitschüler zu, dann explodierten die Follower-Zahlen.

"Der Erfolg kam aus dem Nichts", werden die Zwillinge bis heute nicht müde zu erzählen. Lena und Lisa legten nach. Neue Songs, gleiche Masche. Die beweglichen Lip-Sync-Twins eroberten mit ihren Playback-Choreografien die Schulhöfe. Zwei Jahre nach ihrem Start sind Lena und Lisa die Vorzeigestars der App. Und sie sind smart. Statt sich einzig auf ihren Erfolg beim Videoportal zu verlassen, kreieren sie ein zweites Standbein auf Instagram.

Auch dort schnellen die Abonnentenzahlen in die Höhe. Instagram sei für sie schon immer die wichtigste Plattform gewesen, erklären sie in Wien:"Man kann Bilder und Clips posten, mit Leuten schreiben, in den Storys persönlich werden." Und: Hier können die 17-Jährigen erwachsen werden und neue Zielgruppen erschließen. Denn im Gegensatz zu den Kids auf Musical.ly ist ein Großteil der Insta-Nutzer zwischen 18 und 34 Jahren alt.

Schlangestehen für ein Foto ...
Foto: Philipp Lipiarski
... mit Lisa und Lena.
Foto: Philipp Lipiarski

Die 17-Jährigen Kinderstars Lena und Lisa Mantler führen vor, wie rasant Social-Media-Karrieren heute verlaufen. Aber auch, wie schwer es ist, die pubertären Fans auf den unterschiedlichen Plattformen über Jahre hinweg bei der Stange zu halten. Die Social-Media-Kanäle werden ja selber erst erwachsen. Sie agieren mitunter sogar unberechenbarer als LeLi, das schnurrende Räderwerk aus dem Schwabenland. Die 2014 gegründete Video-App Musical.ly zum Beispiel: 2017 von dem chinesischen Unternehmen ByteDance aufgekauft, verschmolz sie 2018 mit TikTok zu einer App, innerhalb von nur drei Jahren erreichte sie eine Milliarde monatlich aktive Nutzer.

Account gelöscht

Großgeworden als Video-Plattform für Kinder und Jugendliche, wurden in letzter Zeit Sicherheitsbedenken und Abzock-Vorwürfe laut. Das Unternehmen "Lena und Lisa" reagierte. Die Zwillinge löschten ihren 30 Millionen Follower schweren TikTok-Account. Sie verabschiedeten sich am 30. März 2019 von dem Medium, mit dem sie großgeworden sind, mit einem handgeschriebenen Brief, der auf Instagram veröffentlicht wurde: "We feel it’s time for us to move on", es sei Zeit, neue Wege zu gehen. Gehören Trennungen nicht auch zum Erwachsenwerden dazu? Ein Karriereknick ist trotz der Abkehr von TikTok nicht eingetreten. Lena und Lisa sind nach wie vor schwer beschäftigt. Nur eben woanders.

Nach dem Abgang bei TikTok bleiben ihnen 15,2 Millionen Fans auf Instagram, damit folgen ihnen doppelt so viele Menschen wie Heidi Klum. Mehr Abonnenten haben in Deutschland nur Fußballspieler: Mesut Özil und Toni Kroos. Aber damit ist es nicht getan. Sie sind mittlerweile Köpfe eines vielseitig aufgestellen Unterhaltungsformats, machen weit mehr, als wahllos Produkte in die Kamera zu halten.

Die Influencerinnen, die die Realschule verlassen haben und nun eine Tanzpädagogik-Ausbildung absolvieren, haben einen Deal mit Warner Music an Land gezogen: 2017 launchten sie mit dem Konzern das Streetwear-Label JIMO71, auch die Kooperation mit dem Schuhunternehmen Buffalo wurde gemeinsam eingefädelt. Im vergangenen Sommer ging das zweite Warner-Projekt, der Youtube-Kanal "xLL" online. Hier unterhalten Lena und Lisa ihre 920.000 Follower mit Videos zu ihrer Morgenroutine oder interviewen Musikerinnen wie Aura Dione – wenig überraschend ebenfalls bei Warner unter Vertrag. Das Kalkül: Der Girly-Glamour der Zwillinge soll auf die gefeatureten Musikacts abfärben.

xLL by Lisa & Lena

Englisch statt Schwäbisch

Auch in Wien befindet sich die Warner-Managerin im Schlepptau der Zwillinge, sonst ist auf Reisen oft noch die Mutter von Lena und Lisa mit dabei. Dass die beiden Schwestern aus der Nähe von Stuttgart kommen, hört man den 17-Jährigen mittlerweile nicht mehr an. Wenn Lena ihren Fans im Chat auf dem Live-Streaming-Videoportal Twitch verrät, dass sie die Schauspielerin Lily Collins oder die Band Ider mag, dann tut sie das in einem Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch. Die Teenager haben sich mit ihren 12- bis 18-jährigen Fans auf Instagram, Youtube und Twitch von Beginn an vor allem auf Englisch ausgetauscht, auch das ist Teil des Erfolgsrezepts. Die meisten Anhänger haben die Twins in den USA: Anfang Februar fliegen Lena und Lisa also nach Los Angeles, dort steht der nächste Bussi-Bussi-Event mit den Fans an.

Hübsch, brav, unpolitisch: Die Stuttgarterinnen sind so etwas wie die Kessler-Zwillinge der Gegenwart. Schaut man sich die Aktivitäten der gutgelaunten Teenager an, dann erwecken sie den Anschein, als ginge die Pubertät spurlos an ihnen vorbei. Während Gleichaltrige fürs Klima die Schule schwänzen, bleiben Lena und Lisa in der Öffentlichkeit konsequent unverbindlich. Klimaschutz finden sie auf Nachfrage "megacool".

Tabuthemen

Auf einer Demo waren sie aber bisher nicht, "noch nicht". Zwar räumen sie ein, dass sie "auch mal einen schlechten Tag und keine Lust haben", es besteht aber kaum Gefahr, dass Lena und Lisa mit unbedachten Äußerungen Schlagzeilen machen. Blöde Fragen lächeln sie einfach weg, über allzu private oder heikle Themen wie ihre Adoption reden sie grundsätzlich nicht, ihre Familie bleibt weitestgehend unsichtbar. Auch die Einkünfte der Twins sind schwer einzuschätzen. Das Thema Geld ist tabu; es dürfte mehr als ausreichen.

Das offensichtlichste Talent der Unternehmung LeLi: Es mangelt nicht an Plänen. "Die Schauspielerei", das betonen Lena und Lisa schon länger, "war immer so ein Traum von uns." Ihr Ziel haben die Social-Media-Stars fast erreicht: Sie sind bereits in einem Film von Matthias Schweighöfer aufgetreten, zuletzt waren sie in einer ARD-Produktion zu sehen. Allerdings immer zu zweit, als die Quotengaranten Lena und Lisa. Dass das nicht ewig so weitergehen wird, wissen sie: "Wir sind ja so unterschiedliche Menschen." Fast hätte man es nicht bemerkt. (Anne Feldkamp, 25.1.2020)