Julia Fischers Violinenspiel erinnert an Katarina Witt oder Ella Schön.

Foto: Uwe Arens

Maurice Ravel wurde nach eigenen Angaben erst klar, was Musik ist, als er Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune gehört hatte. Und Pierre Boulez befand, dass die Musik seit der Flöte des Fauns anders atmet. Beim Gastspiel des Orchestre National de France vergaß man bei Debussys Signaturestück des Impressionismus fast auf das Atmen, war die Interpretation der Franzosen doch atem beraubend kunstvoll und schön.

Bei kaum einem anderen Klangkörper gehen Präzision und Finesse eine gleichberechtigtere Premiumpartnerschaft ein als bei den Parisern. Hauchzartes, samtweiches Streicherflirren, umhüllt von feinsten Konturen der Holzbläser, erweckte die fantastische Szenerie des Stücks. Jeder Duftpartikel des exotischen Klangparfums schien mit kartesianischer Klarheit platziert worden zu sein, die Übergänge wurden mit chirurgischer Genauigkeit vernäht und spannten nicht. Schläfrige Schwüle klang kaum an, Mallarmés Faun setzte den Nymphen agilen Schrittes nach. Keine Interpretation: eine Offenbarung.

Planierraupen und Posterboy

Hauchzart und fein begannen Harfe und Streicher die Einleitung von Bartóks zweitem Violinkonzert, Julia Fischer eröffnete ihren Forte-Solopart hantig: wie wenn eine Planierraupe durch einen Ziergarten brettert. Sonst war Fischers Spiel nuanciert und unfassbar souverän, technische Schwierigkeiten absolvierte die 36-Jährige mit der angstfreien Standfestigkeit einer Katarina Witt. In Sachen der emotionalen Selbstentäußerung erinnerte die Deutsche wiederum an Ella Schön (Annette Friers Ella Schön): Die begrenzte Fischer nämlich gern.

Unglaublich kultiviert dann Mussorgskis Bilder einer Ausstellung (in der Orchesterfassung von Maurice Ravel) – diese zeichnen russische Orchester oft schärfer, greller, brutaler nach. Lorenzo Viotti, der dynamische Posterboy der Dirigentenzunft, sprang für den erkrankten Emmanuel Krivine ein und fühlte sich in dessen prunkvollem Interpretationsbett pudelwohl. Jubel, Freude, Zugaben (Paganini, Offenbach). (Stefan Ender, 24.1.2020)