Statt mittagessen geht er mountainbiken, Holzhacken zieht er einem Macchiato vor. Arno Pichler wurde vor 25 Jahren vom Extremsportler zum Unternehmer. Knochenbrüche erleidet er seither keine mehr, an Stolpersteinen fehlte es bei der Expansion seiner Marke Northland dennoch nicht.

Arno Pichler: "Das einzig Sinnvolle wäre, Konsumenten zu sagen: Ändert euch, dann ändert sich alles. Aber das traut sich keiner."

STANDARD: Hier an diesem Tisch sind Eispickel, Karabiner und Haken Ihres Vaters eingearbeitet. Welche Bewandtnis hat es mit ihnen?

Pichler: Es sind seine Reliquien, mit ihnen begann er bergzusteigen. Der Pickel ist handgemacht, aus Lindenholz. Schlosser bauten ihm diese Haken. Mein Vater nähte sich Ledertaschen aufs Motorrad für die Skier und fing auf Robbenfellen an, Touren zu gehen. Mein Onkel ging als Extrembergsteiger auf die 8000er. Auch mein Vater wollte immer nur bergsteigen. Um damit Geld zu verdienen, hat er es kommerzialisiert und organisierte Expeditionen. Er war selten da. Er kam heim, wusch die Wäsche und fuhr mit seiner nächsten Gruppe nach Peru, Chile, Nepal. Wir Kinder haben Müsli für Expeditionen angerührt und im Keller Kleidung dafür verkauft.

STANDARD: Übernachten Sie heute noch manchmal mit ihm bei minus 14 Grad in Heustadeln?

Pichler: Das ist Geschichte. Ich selbst habe Höhenangst ohne Ende, ich bin mit sechs Jahren auf den Mangart rauf und habe mich dabei zu Tode gefürchtet. Die Kletterei ist nichts für mich. Aber in der Natur zu sein, habe ich immer geliebt. Ich baute mir einen Lieferwagen spartanisch zum Wohnmobil um. Damit bewege ich mich noch heute frei durch den Urlaub.

STANDARD: Die meisten Ihrer Kunden sind keine Extremsportler, sondern Wald-und-Wiesen-Wanderer und Stadtradler. Hat Ihr Vater den Wandel des Outdoor-Anbieters hin zu urbaner Mode gutgeheißen?

Pichler: Er hat ihn anfangs nicht verstanden, aber er trug ihn mit. Er gab seinen Senf dazu, riss aber nie am Steuer herum. Wir stießen damals mit der Bergsporttechnologie in eine Marktlücke vor: wasserdichte Daunenjacken, Stretchhosen, Merinoshirts für den Alltag. Man lachte uns dafür anfangs fürchterlich aus. Einen Hybrid, so hieß es, braucht es nicht. Aber es war der richtige Weg.

Er sei als Sportler lang ein Getriebener gewesen, erzählt Arno Pichler. Heute würde er es hedonistischer angehen. "Ich würde mehr vom Leben haben wollen, als nur um ein paar Sekunden schneller zu sein."
Foto: Erwin Scheriau

STANDARD: Sie selbst waren einst Profi-Mountainbiker. Wo riskierten Sie mehr Blessuren – als Extremsportler oder als Unternehmer?

Pichler: Im Sport. Ich habe so gut wie keinen Knochen im Körper, den ich noch nicht gebrochen habe, von Stirnhöhle und Nasenbein über Oberarm, dreimal Schlüsselbein, Hand, Kreuzbeine, Halswirbel, Rippen bis hin zu Lungenrissen. Ich war engagiert, aber mit zu viel Risiko unterwegs. Beruflich ticke ich anders. Da überdenke ich jede Entscheidung drei Mal, spekuliere auch nicht an der Börse. Ich war im Sport sicher völlig getrieben. Ich setzte mich nachts um elf mit der Stirnlampe aufs Radl, rannte in China als bunter Papagei um Mitternacht bei minus 15 Grad durch die Gassen, joggte in Bangladesch bei plus 35 Grad zwischen Müllhalden und Ratten. Es hat nicht geschadet, aber ich würde es heute hedonistischer angehen. Ich würde mehr vom Leben haben wollen, als nur um ein paar Sekunden schneller zu sein.

STANDARD: Sie stießen im Handel auf massive Mauern, als Sie vor 25 Jahren mit langen Haaren, selbstgebastelten Katalogen, im Wohnmobil angereist, mit Northland vorstellig wurden. Heute ist die Marke international breit vertreten. War die Branche damals so unlocker?

Pichler: Einkäufer schickten mich 1100 Kilometer zurück: ohne Vater kein Termin. Dass ihnen ein Bersch von 24 Jahren was von China erzählte und etwas verkaufen wollte, das empfanden viele als Ehrenbeleidigung, fast als Frechheit. Ich suchte mir dann neue Kunden, wie Peek & Cloppenburg, die mich akzeptierten. Sie sahen mich als lustigen Österreicher, der ihnen jeden Reißverschluss und jede Regenrinne erklärt. Das gab mir Antrieb, denn nach dem ersten Jahr dachte ich, ich werf’ alles hin.

STANDARD: Auch an China als Absatzmarkt glaubte lang keiner. Sie sind dort mit 400 Filialen präsent. Kaufen Chinesen Outdoor-Bekleidung für Berge oder fürs Picknick?

Pichler: Wir sahen in Korea Leute mit Expeditionswäsche, 80-Liter-Rucksäcken und Daunenjacken in der City. Finden die Koreaner diesen Lebensstil cool, wird er auch China erreichen. Unsere Expansion fiel aber nicht sofort auf goldenen Boden, wir zahlten einiges Lehrgeld, erlitten Rückschläge.

STANDARD: Viele hoffen durch die Winterspiele auf China als neue Skination. Sie sind eher skeptisch, sehen es an Hüttengaudi fehlen ...

Pichler: Bei uns ist Skifahren ein Gesamtpaket, inklusive Party und Wodka Feige. Ich hatte einmal das Vergnügen, beim Hahnenkamm-Rennen dabei zu sein. Da will ich lieber tot am Zaun hängen, als da noch einmal freiwillig hinzufahren. Viele Chinesen finden Skifahren kurzzeitig elitär und toll – an eine Massenbewegung glaube ich nicht. Es gibt dafür zu viele Hindernisse: kein Schnee, lange Wege zu den Skigebieten, die nicht die Infrastruktur der unsrigen bieten, auch nicht ihr Lebensgefühl vermitteln, von den Hütten bis zum Ausblick auf die Berge.

Arno Pichler glaubt nicht an China als neue große Skination. In Österreich sei Skifahren "ein Gesamtpaket, inklusive Party und Wodka Feige".
Foto: Erwin Scheriau

STANDARD: Northland lässt seit den 70er- Jahren bei Zulieferbetrieben in China produzieren. Es ist ein Land, das immer wieder stark in der Kritik steht, Menschen- und Arbeitnehmerrechte zu verletzen.

Pichler: In Europa zu produzieren ist nicht mehr möglich. Diese Art von Stoffen, Materialien, Technologien gibt es bei uns nicht mehr. Im Übrigen verdient eine kroatische Näherin heute weniger als eine chinesische. Ich will nichts schönfärben. Es gab in China große Schweinereien, bis hin zu Gefängnisarbeit. Es war die Werkbank der Welt. Mittlerweile aber sind die echten Billigpreisländer anderswo. Auch in China wurde die Textilindustrie ein sterbender Zweig, der Näher sucht. Die Karawane zog in Länder wie Bangladesch und Myanmar weiter, wird irgendwann Afrika erreichen. Das wird, solange die Menschheit nach Profit strebt, kein Ende nehmen. Wir selbst bekamen starken Druck der Kunden, da ihnen unsere Bezugskosten zu hoch wurden. Wir suchten daher Alternativen in Bangladesch. Aber was wir dort sahen, tun wir uns nicht an, auch wenn es uns Aufträge kostete.

STANDARD: Wie viel verdient eine Näherin monatlich in China? Hat nicht auch Northland lang von der billigen Werkbank profitiert?

Pichler: Der Mindestlohn sind 400 Euro, teils geht es hin zu 600 Euro. Ursprünglich lag der Anteil der Lohnkosten bei einer Jacke bei fünf bis acht Prozent. Mittlerweile ist er auf 15 bis 20 Prozent gestiegen, was eine gute Entwicklung ist. Wir sind nicht die Tollsten und Schönsten, letztlich muss man die besten Preise verhandeln. Wir versuchen dennoch, eine andere Ethik zu leben. Mein Vater begann als winziger Familienbetrieb damit, lange Partnerschaften in China aufzubauen. Wir haben keine Lohnzettel kontrolliert, waren aber bei jedem unserer Lieferanten regelmäßig präsent, hüpften nicht von einem Produzenten zum anderen. Ich habe selbst drei Monate lang in einer chinesischen Textilfabrik gearbeitet, dort Maschinentechnik gelernt und Stoffballen auf Fehler untersucht.

STANDARD: Sie haben Zertifikate, auf die viele Kunden beim Einkaufen Wert legen, einmal als Marketinggag bezeichnet. Was wäre aus Ihrer Sicht denn ehrlicher?

Pichler: Gewisse Zertifikate dienen zur Selbsterhaltung der Zertifizierungsinstitute, sie wurden interessante Geschäftsfelder, die vor allem dem Grünstempeln dienen. Besser wäre es, wenn der Staat vorgibt, wie was zu produzieren ist, ob bei Lebensmitteln oder Textilien. Ich will klare gesetzliche Vorgaben, Standards, die EU-weit gelten. Das sollte machbar sein.

STANDARD: Die Outdoor-Branche lebt vom Image der Naturverbundenheit. Auf ökologische Produktion und umweltverträgliche Materialien wurde aber lang kein Wert gelegt. Ändert sich das langsam?

Pichler: Der Wandel hin zu mehr Öko ist ein Riesenschmäh. Hier hängen sich viele ein grünes Mäntelchen um. Ich bin kein arroganter Schnösel, dem alles wurscht ist. Aber ich finde, die Diskussion gehört ehrlicher geführt. Ich war Feuer und Flamme für Cradle to Cradle, für die Idee, etwas voll recyceln zu können. Vier Jahre waren wir hier dran, aber so eine Fabrik wird es in Europa nicht geben, das ist finanziell nicht machbar. Wir haben vor zehn Jahren damit begonnen, Bambus zu Zellulose zu verarbeiten. Kunden schickten jedes zweite Shirt zurück. In Europa verwenden wir kein Goretex mehr, weil es nicht verrottet, Sondermüll ist. Aber in China wird man ohne Goretex nicht akzeptiert. Die Industrie macht Maisstärke zu Sackerln, Zucker zu Zellulose – alles liebe, gute Schritte. Aber sie verändern nicht das System. Erzählt mir einer, er stellt Textilien aus Fischernetzen her, steigt mir die Galle hoch. Das einzig Sinnvolle wäre, Konsumenten zu sagen: Esst weniger Fisch. Ändert euch, dann ändert sich alles. Aber das traut sich keiner.

Arno Pichler: "Produkte brauchen längere Lebenszyklen. Es kann nicht sein, dass eine elektrische Zahnbürste nach zwei Jahren kaputt ist."
Foto: Erwin Scheriau

STANDARD: Was wäre die Lösung?

Pichler: Produkte brauchen längere Lebenszyklen. Es kann nicht sein, dass eine elektrische Zahnbürste nach zwei Jahren kaputt ist. Unternehmern gehört gesagt: Ich kaufe die Textilie um 39 statt um 19 Euro, garantiere mir dafür, dass du sie mir nähen, stopfen, reparieren kannst. Einweg gehört verboten. Der Gesetzgeber müsste hier reagieren – doch er spitzt auf Mehrwertsteuern. Nötig sind echte, funktionierende Recyclingsysteme. Schuld ist auch der Konsument: Solange er keine Einbußen akzeptiert, teureren Sprit, höhere Steuern, wird sich wenig ändern.

STANDARD: Zurück zu Northland. Der Sportartikelhandel erlebt eine starke Marktbereinigung. Hat man hier als Einzelkämpfer international auf Dauer noch eine Chance?

Pichler: Es wird mittelfristig nur noch wenige Große und einige Nischenplayer geben. Viele werden wegrationalisiert, nur Innovation reicht nicht aus. Für alleinstehende Familienbetriebe werden die Anforderungen zu groß. Finanzinvestoren kommen für uns nicht infrage. Dieser Knute will ich mich nicht ausliefern. Es wäre jedoch arrogant, falsch und selbstherrlich, würden wir strategische Partner für die Zukunft ausschließen. (Verena Kainrath, 26.1.2020)