Der Fall Söner O. führte zur SIcherungshaft.

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Die Frage der Sicherungshaft hat sich in den vergangenen Tagen zu einer Belastungsprobe für die türkis-grüne Koalition entwickelt. Die ÖVP besteht auf Einführung dieser neuen Einsperrmöglichkeit für – wie es heißt – gefährliche Asylwerber, obwohl das komplexe rechtliche Fragen aufwirft. Die Grünen lehnen Sicherungshaft mit dem Argument ab, dass dafür die österreichische Bundesverfassung geändert werden müsste, was sie nicht wollen.

Angetrieben wurde die Kontroverse zuletzt auch durch den Prozess gegen Soner Ö., einen türkischen Staatsbürger. Im Februar 2019 hatte er den Sozialamtsleiter der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn erstochen. Mittwoch dieser Woche wurde er in Bregenz wegen Mordes nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ob sich Ö.s Fall eignet, um für eine Sicherungshaft zu plädieren, ist aber zumindest diskutierenswert. Der heute 35-Jährige ist in Österreich geboren, aber nach einer Reihe von Vorstrafen wurde er ausgewiesen, obwohl er sein gesamtes Leben hier verbracht hatte. 2018 kehrte er zurück und stellte einen Asylantrag. Als er in Dornbirn bei der Behörde wegen Grundversorgung vorsprach, traf er in der Person des Sozialamtsleiters auf denselben Beamten, der ihn Jahre davor aus Österreich hatte abschieben lassen.

Seine Tat bewog den Anfang 2019 amtierenden Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), die Forderung nach einer Sicherungshaft aufzustellen. Auf Druck der ÖVP wurde der Plan auch ins türkis-grüne Regierungsprogramm aufgenommen – und wird nun von Türkis zäh verfolgt. Der Fall habe eine "Sicherheitslücke" offenbart, sagt etwa der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). Stimmt das?


Frage: Hätte man Soner Ö. nach seinem Asylantrag einsperren können – und so die Tötung des Dornbirner Sozialamtsleiters verhindern?

Antwort: Das ist unter Fremdenrechtskennern umstritten. Zwar gibt es seit 2018 eine Regelung in Paragraf 76 Fremdenpolizeigesetz, laut der ein Asylsuchender, von dem Gefahr ausgeht, in Schubhaft genommen werden kann. Mit der Bestimmung wurde ein Passus aus Artikel 8 der EU-Aufnahmerichtlinie umgesetzt, die Freiheitsentzug bei Asylwerbern ermöglicht, "wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung notwendig erscheint".

Die Bestimmung im Fremdenpolizeigesetz ist jedoch so formuliert, dass eine Person, die inhaftiert werden soll, zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot erfüllen muss. Außerdem muss die Schubhaft verhältnismäßig sein, und es muss Fluchtgefahr vorliegen. Ob bei Soner Ö. bei seiner Rückkehr nach Österreich alle drei Voraussetzungen vorlagen, ist unklar. Vor allem das Bestehen von Fluchtgefahr ist fraglich, da er ja eigens nach Österreich zurückgekommen war.

Frage: Warum existieren derart hohe Auflagen für eine solche Inhaftierung?

Antwort: Weil es sich dabei um eine Schubhaftregelung handelt – die Inhaftierung muss also in Zusammenhang mit einer geplanten Abschiebung stehen. Das hängt mit dem in Österreich im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Staaten stärkeren Schutz der persönlichen Freiheit zusammen. Das diesbezügliche Bundesverfassungsgesetz aus dem Jahr 1988 zählt die erlaubten Haftgründe taxativ auf. Freiheitsentzug wegen Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung ist nicht dabei. Besagter Artikel 8 der EU-Aufnahmerichtlinie ist in Österreich also nur im Rahmen der Schubhaft umsetzbar – während er in 16 anderen EU-Mitgliedsstaaten ein eigenständiger Haftgrund ist. Die diesbezüglichen Regelungen sind höchst unterschiedlich, das Spektrum reicht von in der Praxis folgenlosen Gesetzesbestimmungen zu massenhaften Inhaftierungen etwa in Polen.

Frage: In Österreich müsste also die Verfassung geändert werden, um eine Sicherungshaft einzuführen?

Antwort: Ja – und genau das lehnen die Grünen ab, während etwa Landeshauptmann Wallner die Frage einer Verfassungsänderung als "zweitrangig" bezeichnete. Auch die FPÖ befürwortet einen Eingriff in die Verfassung, dem jedoch auch die in Österreich im Verfassungsrang befindliche Europäische Menschenrechtskonvention entgegensteht. Für eine Verfassungsänderung brauchte es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, es müssten also etwa Türkis, Blau und Grün gemeinsam dafür sein, was äußerst unrealistisch erscheint.

Frage: Was wäre an einer Verfassungsänderung, um die Sicherungshaft einzuführen, eigentlich so schlimm?

Antwort: Laut Menschenrechtsexperten – aber nicht nur ihnen – ist der starke Schutz der persönlichen Freiheit in Österreich ein hohes Gut, auf das man nicht verzichten sollte. Auch wäre Sicherungshaft Freiheitsentzug ohne Tatverdacht oder Urteil. Sie würde rein auf Grundlage einer Gefährlichkeitsprognose verhängt. Wer diese Prognose erstellen soll, ist unklar. Im Maßnahmenvollzug, bei dem Straftäter mit mangelnder Schuldfähigkeit auf Grundlage psychiatrischer Gutachten über das Ende ihrer Gefängnisstrafe hinaus eingesperrt bleiben können, haben Prognosen zu großen Problemen geführt. Betroffene und Volksanwaltschaft zweifeln die Qualität vieler Gutachten an.

Frage: Gibt es abseits einer Verfassungsänderung Möglichkeiten, um die von der ÖVP diagnostizierte "Sicherheitslücke" zu füllen?

Antwort: Da gibt es mehrere Ansätze. Laut dem grünen Europasprecher Michel Reimon ist überdenkenswert, dass ein Asylantrag ein Aufenthaltsverbot insofern außer Kraft setzt, als er dem Antragsteller vielfach den vorübergehenden Verbleib in Österreich ermöglicht. Die Einführung eines beschleunigten Asylverfahrens wiederum könnte Schubhaft bis zum Asylbescheid europarechtlich zulässig machen, so von einem Antragsteller Gefahr ausgeht. (Irene Brickner, 26.1.2020)