Schon einmal von Snackification gehört? Schauen Ernährungsexperten wie Hanni Rützler in die Glaskugel, sind Minimahlzeiten anstelle des deftigen Schnitzerls das nächste große Ding. Was aufgetischt wird, ist gesund – gerne auch Insekten. Wer sich mit Ernährung beschäftigt, kommt an Maden und Heuschrecken nicht vorbei. Die Welternährungsorganisation (FAO) versucht seit Jahren, sie westlichen Konsumenten schmackhaft zu machen. Sie schneiden klimatechnisch besser ab als Fleisch. Reich an Proteinen, ungesättigten Fettsäuren, Ballast- und Mineralstoffen sind sie auch gesund – wären da nicht Ignoranz, Ekel und Vorurteile. Sie hindern viele daran, todesmutig zwischen die Zähne zu schieben, was mittlerweile auch im Handel zu kaufen ist.

Gründerin Katharina Unger (Zweite von links) will den Gusto auf Mehlwürmer auf Umwegen wecken.
Livin Farms

Katharina Unger zäumt dieses Pferd gerade auf. Quasi von hinten. Vor fünf Jahren hat die 29-jährige Österreicherin mit ihrem Unternehmen Livin Farms von Hongkong und Shenzhen aus begonnen, Zuchtstationen für Mehlwürmer zu vertreiben. Mit den "Hives" (Bienenstöcke) konnte man eine Proteinalternative daheim züchten. Neuerdings pendelt Unger zwischen Hongkong und Wien. Die Sache hat sich entwickelt. Aus dem Start-up wurde eine GmbH, zu den vier Mitarbeitern in Hongkong kommen mittlerweile acht in Wien – an weiteren Standbeinen wird gearbeitet. "Essen ist nicht mehr die Hauptstoßrichtung", sagt die gelernte Industriedesignerin Unger.

Lernen statt essen

So schnell sind die Barrieren offenbar nicht niederzureißen. Was die Tochter eines burgenländischen Biobauers künftig hierzulande im Angebot hat, ist aber ebenfalls gehaltvoll. Mit dem "Hive Explorer" gibt es bald eine Mini-Ausgabe des Bienenstocks als eine Art Wissenschaftskit für Schüler, in dem ebenfalls der Mehlwurm drin ist.

Produziert werden die Zuchtstationen derzeit in China, ab Mai sollen sie um 135 Euro zu haben sein. Das verdankt sich laut Unger auch einem Lerneffekt: "In Asien haben das viele für ihre Kinder gekauft, und es gibt viele Privatschulen, die immer das Neueste haben wollen." Trotz des Preises von gut 600 Euro. Noch einen Lerneffekt gab es für Unger, die seit Mitte 2019 auch im Vorstand von Austrian Startups ist: Ihre Vorurteile, dass die rot-weiß-rote Start-up-Szene wenig international sei, hätten sich nicht bewahrheitet.

Altes Brot für junge Würmer

Was es mit dem Hive Explorer zu lernen gibt: wie Mehlwürmer ticken und dass alles im Leben bestenfalls ein Kreislauf ist. Die Maden sind nicht nur für einen Snack gut. Damit die Larven wachsen, brauchen sie Futter wie altes Brot und Gemüseabfälle. In zehn Wochen durchlaufen sie mehrere Entwicklungsstadien. Sensoren, Ventilatoren und Heizelemente sorgen für ein optimales Klima. Für den Hightechfaktor ist also gesorgt.

Altes Brot wird nun bei Lidl getrennt von Gemüseabfällen gesammelt.
Livin Farms

Andere sind ganz von selbst auf das Thema gekommen, und das hat mit Insekten-Essen zunächst einmal auch nichts zu tun. Unger arbeitet derzeit mit Lidl am Thema Lebensmittelverschwendung. Bis zu 2000 Tonnen Altbrot fallen bei dem deutschen Diskonter jährlich nur in Österreich an – bislang landeten sie mit Tomaten oder Äpfeln in der Biogasanlage. Jetzt wird das Brot getrennt gesammelt – und dann zu Futter für die Würmer. Das wiederum erlaubt es, sie mit Futter zu versorgen, das nicht in Konkurrenz zu menschlicher Nahrung wie Soja steht. Am Ende sollen die Würmer zu Tierfutter werden – für Nutz- und Haustiere wie Fisch und Hund. Oder eben auf dem Jausenbrot landen. Damit würde sich der Kreis zum Ausgangsprodukt schließen.

Ein bisschen Pesto, ein paar Mehlwürmer statt Wurst und Gurkerl aufs Brot. Wer sich traut, das zwischen die Zähne zu schieben, stellt meist fest, dass es schmeckt.
Foto: APA/Fohringer

Nikolaus Franke vom Institut für Entrepreneurship der Wirtschaftsuniversität Wien gibt der Sache gute Chancen, wiewohl sie angesichts der erforderlichen Technologie und Akzeptanz bei Konsumenten eine Herausforderung sei. Solche und andere Food-Innovationen seien unter den Schlagworten Novel Food und nachhaltige Ernährung bei Gründern voll im Trend. Aus gutem Grund: Der Markt sei noch nicht ansatzweise erschlossen. Auch rechtlich ist mit der nationalen Umsetzung der Novel-Food-Verordnung noch einiges im Graubereich. Während die Insekten in den Niederlanden auch als Mehl verkauft werden dürfen, dürfen sie hierzulande nur als ganzes Insekt als Lebensmittel vertrieben werden. Grünes Licht gibt es bereits für Heimtier- und Fischfutter, für Geflügel steht die Zulassung hingegen noch aus.

Innovativ und Essen – auch bei Investoren kommt die Mischung an. Privates Geld steckt ebenso in Livin Farms wie Venture-Capital, auch Fördergeber sind an Bord. Mehrere Hunderttausend Euro wurden via Crowdfunding und Vorbestellungen lukriert. Wie die Made im Speck lebt es sich noch nicht. Im Vorjahr wurden rund 500.000 Euro Umsatz erwirtschaftet. Ans Verhungern oder an einen Exit denkt Unger nicht – man sei am Wachsen und Gedeihen, wie im besten Fall die Insekten. (Regina Bruckner, 25.1.2020)