Im Gastkommentar skizzierte Pamela Rendi-Wagner die Oppositionspolitik der SPÖ. In einer Replik merkt der Politologe Anton Pelinka nun an, dass die SPÖ-Chefin klare Positionen vermeide und es so der Regierung besonders leicht mache. In einem weiteren Gastkommentar widmet sich der Politik- und Medienberater Peter Plaikner der "roten Richtungswahl gegen eine Ära Kurz".

Illustration: Felix Grütsch

Pamela Rendi-Wagners Gastkommentar über die Oppositionsstrategie der SPÖ ("Hart, aber fair") könnte als "nett, aber harmlos" eingestuft werden. In der Ansage der SPÖ-Vorsitzenden sind vor allem Selbstverständlichkeiten enthalten, vom üblichen Müntefering-Zitat ("Opposition ist Mist") bis zur Aussage, die SPÖ werde der Regierung nichts in den Weg legen, sollte diese etwas "Gscheites" vorhaben. Und niemand kann gegen einen "ehrlichen und echten Dialog" sein, den Rendi-Wagner der Regierung anbietet.

Was für Rendi-Wagner "gscheit" sein kann, bleibt offen – über Allgemeinheiten geht sie nicht hinaus. Das ist verständlich, vielleicht auch raffiniert – denn damit lässt sie sich erst gar nicht darauf ein, innerparteilich Widerspruch zu provozieren. Sie tut niemandem weh – niemandem in den eigenen Reihen, aber auch niemandem bei den Grünen, niemandem in der ÖVP. Und die FPÖ, die kommt bei Rendi-Wagner gar nicht vor. Diese Partei ist immerhin der Koalitionspartner der burgenländischen SPÖ.

Widersprüche in der Partei

Rendi-Wagner wird in Zukunft den Widersprüchen nicht aus dem Weg gehen können, die sich durch ihre eigene Partei ziehen. Will sie mit Hans Peter Doskozil den "linken Eliten" eine Absage erteilen – und die besser gebildeten Jungen den Grünen und den Neos überlassen? Will sie den Modernisierungsverlierern ein Angebot machen, die – zumeist männlich, zumeist weniger gut gebildet – nicht so recht wissen, ob nun Norbert Hofer oder Heinz-Christian Strache ihr Idol ist? Will sie dem Bundeskanzler, der allen alles sein will, entgegentreten – und wie und womit?

Sebastian Kurz ist ein Meister darin, Widersprüche mit unverbindlichen Formeln zuzudecken. Damit konnte er – bisher – seiner Partei ein Erfolgserlebnis nach dem anderen sichern. Seine derzeitige Formel "Das Beste aus beiden Welten" wird freilich nur so lange funktionieren, solange sich die Grünen mit einer Klimaschutzrhetorik abspeisen lassen, die zeitgeistig ist und niemanden schmerzt; und solange die Volkspartei definiert, was Menschenrechte sind, was Migration heißt und wie man islamische Bürgerinnen und Bürger schikanieren kann.

Keine Ecken und Kanten

Wenn Rendi-Wagner beabsichtigt, die vorhandenen Gegensätze in der Koalition zum zentralen Thema der Opposition zu machen, dann hat sie das ganz gut verborgen. Aber einer von der Regierung vertretenen Wohlfühlpolitik mit einer Strategie zu begegnen, an der keine Ecken und Kanten erkennbar sind, kann auf Dauer nur schiefgehen. Das Vermeiden klarer Positionen erspart zwar innerparteiliche Erregung, macht es aber der Regierung besonders leicht. Der grüne Teil der Koalition ist mit dem CO2-Ausstoß beschäftigt und kann sich gratulieren, eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen verhindert zu haben. Und Kurz kann die schönsten Fototermine wahrnehmen – von Prag bis Brüssel, von Wien-Meidling bis zu Wien-Stadthalle.

Was bei Rendi-Wagners Gastkommentar fehlt, das ist aussagestark: Die Europäische Union kommt bei ihr nicht vor – und auch nicht Migration, das Thema, das nach wie vor mobilisiert. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die SPÖ sich zu einer klar formulierten Differenzierung bekennt: Politische Flüchtlinge sind nicht Zuwanderer, und die wiederum dürfen nicht als Einheit gesehen werden. Legale Migrantinnen und Migranten braucht Österreich, und nicht legale sind nicht willkommen.

Keine Europastrategie?

Ist es zu viel verlangt, von einer Partei, die sich zu internationaler Solidarität bekennt, die erste Skizze einer Europastrategie zu erwarten? Wäre es nicht logisch, dass die größte Oppositionspartei der Regierung vorhält, wie sehr sich diese einer Vertiefung der EU verweigert? Wäre es nicht notwendig, Kurz und Werner Kogler das Ausblenden einer europäischen Politik vorzuhalten – einer Regierung, deren wichtigste Botschaft in Sachen Europa immer nur die ist, Österreich werde unter keinen Umständen seinen Beitrag zur europäischen Solidarität erhöhen?

Allerdings müsste die SPÖ dann auch Farbe bekennen. Dann müsste die Parteivorsitzende den Konflikt mit irgendjemandem in der Partei riskieren: entweder mit denen, die etwa in der Gewerkschaftsfraktion eine Antizuwanderungspolemik pflegen, die zwar weniger brutal als die der FPÖ ist, aber inhaltlich nicht so viel anders; oder mit denen, die erwarten, dass die SPÖ den Grünen die so schandbare Abkehr von den Grundsätzen vorhält, die sie immer gepredigt haben – von der "Schutzhaft" (was für ein NS-Jargon!) bis zum Kopftuchverbot.

Kreiskys Modernitätsansage

Als die SPÖ 1966 zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik in Opposition ging, stellte Bruno Kreisky diese neue Rolle der Partei unter ein Motto: Modernisierung! Das betraf die Bildungspolitik, das betraf die Kulturpolitik, das betraf die Wirtschafts- und Sozialpolitik, das betraf die Außenpolitik.

Natürlich ist das, was in den 1960er-Jahren als Modernisierung zu verstehen war, nicht eins zu eins in die 2020er-Jahre zu übertragen. Aber, bitte, mehr und konkrete Nachdenklichkeit über Modernisierung heute wäre doch zu erhoffen – über die Nettigkeiten von "fair" und "gscheit" hinaus! (Anton Pelinka, 25.1.2020)