Manchmal erzählen Dinge, die nicht passieren, die eigentliche Geschichte. So wie an diesem Samstagnachmittag vor einem Supermarkt in Traiskirchen. Andreas Babler steht hier, um rote Sackerln mit seinem Gesicht darauf zu verteilen. Der 46-jährige Bürgermeister, der die Stadt seit sechs Jahren regiert und am Sonntag gerne wiedergewählt werden würde, scherzt, lacht, stellt Fragen ("Sehen wir uns heute Abend?"). Das wäre an sich nichts Besonderes. Doch in der halben Stunde, die Babler vor dem Supermarkt steht, lehnt keiner der knapp 50 Vorbeikommenden ein Sackerl ab. Kein Einziger. Das muss man als Sozialdemokrat im Jahr 2020 auch erst mal schaffen.

2015 holte Andreas Babler mit der SPÖ in "seiner" Stadt 73,1 Prozent. Den Erfolg würde er an diesem Wahlsonntag gerne wiederholen.
Foto: Christian Fischer

Babler ist einer von 2096 Bürgermeistern in Österreich. Im Größenvergleich liegt Traiskirchen, seine Stadt, mit etwa 19.000 Einwohnern auf Platz 28, hinter Kufstein und Mödling. Aber sie ist aufgrund ihres großen Erstaufnahmezentrums ein Symbol. Und Babler ist nicht nur Bürgermeister, sondern auch "SPÖ-Rebell", so steht es zumindest im TV immer in seinen Bauchbinden. Deshalb kennt man seinen Namen, aber nicht den von Martin Krumschnabel oder Hans Stefan Hintner. Die regieren Kufstein und Mödling, kommentieren aber nicht die Bundespolitik.

Klassenkämpfer im Speckgürtel

Müsste sich der linke Rand der Sozialdemokratie einen Politiker schnitzen, dann wäre das wahrscheinlich jemand wie Babler. Sohn einer Semperit-Arbeiterfamilie, gelernter Schlossermeister, rhetorisch versierter Klassenkämpfer. Hemdsärmelig und direkt. Er bewahrte während der Flüchtlingskrise "Haltung", hielt seine Stadt zusammen und legte sich öffentlich mit Innenministerin Mikl-Leitner an. In seinem Bücherregal stehen Werke wie Große Revolutionen der Geschichte neben kleine Büsten von Marx und Lenin, wohl nicht ganz so ironisch wie bei anderen Roten. 2015 holte er mit der SPÖ in Traiskirchen 73,1 Prozent.

Wie viele Menschen gibt es auch Andreas Babler zweimal. Der eine ist der Bürgermeister und Sohn Traiskirchens. Verbringt man Zeit mit diesem Andreas Babler, muss man sich Mühe geben, ihn nicht sympathisch zu finden. Man kann ihn beobachten, wie er auf einem Kindermaskenball minutenlang im Konfetti herumkriecht, um mit den kleinen Gästen auf Augenhöhe zu kommunizieren. Fährt man an seinen Wahlplakaten vorbei, sprudeln ihm die Namen der Pensionistin und der Ziege heraus, die mit ihm gemeinsam abgebildet sind.

Samstagabend, zwei Wochen vor der Wahl. Im Stadtsaal Traiskirchen findet der Ball der freiwilligen Feuerwehr Möllersdorf statt. Stolze Löschmeister und Hauptbrandinspektoren stehen in Uniform neben der örtlichen Faschingsgilde. Babler ist mit seiner Frau dort, wie es sich für einen Bürgermeister gehört: den Ball eröffnen, Small Talk halten, nicht zu früh gehen und nicht zu lange bleiben.

Das klingt nett und ist es auch. Man muss aber wissen, dass Traiskirchen fünf freiwillige Ortsfeuerwehren hat, jede mit eigenem Ball. Wie jeder erfolgreiche Ortschef besucht Babler so viele Veranstaltungen wie möglich, im Dezember war er auf über 100 Weihnachtsfeiern. Im Auto auf der Fahrt zum nächsten Termin überschlägt er oft, wie viele Hände er gerade geschüttelt hat. Sein Tagesrekord liegt bei 6000, erzählt Babler. Dafür muss man Menschen mögen, und vielleicht muss man auch ein bisschen mögen, dass einen die Menschen mögen.

Wahlgeschenke für die Traiskirchner: Blechhäferln mit dem Konterfei von Bürgermeister Andreas Babler.
Foto: Christian Fischer

Neben dem Andreas Babler, der in Traiskirchen auf Kindermaskenbällen auf dem Boden herumkriecht, gibt es aber auch noch den bundespolitischen Kommentator. Dieser Babler sitzt bei Im Zentrum, bei Puls 24, gibt Zeitungsinterviews. Medien laden ihn ein, weil er immer für einen starken Sager gut ist und verlässliche Kritik an der SPÖ-Führung übt. Babler hat im zweiten Bildungsweg Politische Kommunikation studiert und weiß, wie man reden muss. Diesen Andreas Babler muss man nicht mögen, kann man aber natürlich auch.

"Mediale Bekanntheit hilft, die eigenen Themen zu positionieren und Druck auf die Führung aufzubauen", sagt Babler. "Ich will diese stolze Bewegung nicht Leuten überlassen, die sich nicht mehr trauen, Systeme infrage zu stellen, die so vielen Menschen schaden." Das ist ein typischer Babler-Satz. Aber das versetzt ihn halt auch in die Rolle des Zurufers von der Seitenlinie, der in der medialen Logik dann kontaktiert wird, wenn es gerade nicht gut läuft in der SPÖ. Und es gibt Leute in der Partei, die die Schuld für die schlechte Lage auch bei Leuten wie Babler sehen, die lieber auf dem Balkon streiten als im Wohnzimmer.

Der Stachel im roten Fleisch

Wer es gut mit parteiinternen Kritikern wie Babler meint, nennt sie "Stachel im Fleisch". Das wäre aber für den Bürgermeister der achtundzwanzigstgrößten Stadt der Republik ein bisschen zu viel. Babler ist vielleicht mehr ein Splitter in der Ferse: Er ist immer da und kann bei einer falschen Bewegung stechenden Schmerz auslösen. Aber man kann ihn auch ignorieren und hoffen, dass er rauswächst und sich das Gewebe um ihn herum nicht entzündet. So wie es die aktuelle Parteiführung macht, zumindest öffentlich.

Eine Woche später, Montag vor der Wahl. Andreas Babler, seine Frau und andere Wahlhelfer bemalen Schilder in der ehemaligen Buschenschank des alten Bauernhauses, das die Familie umgebaut hat. Babler ist gut gelaunt, es läuft für ihn. Es melden sich viele Freiwillige, die SPÖ Traiskirchen hat in den letzten Jahren 70 neue Mitglieder gewonnen. Es ist alles sehr sozialdemokratisch hier: Kommen Wahlhelfer zur Tür herein, bellt Babler "Freundschaft!" über die Schulter.

Verbringt man Zeit mit diesem Andreas Babler, muss man sich Mühe geben, ihn nicht sympathisch zu finden.
Foto: Christian Fischer

Babler erzählt davon, was man in den letzten fünf Jahren erreicht habe. Neue Kindergärten, den Papamonat für städtische Bedienstete, den Klimanotstand. Und sogar so etwas wie eine symbolische Re-Verstaatlichung: Traiskirchen hat die Friedhofsgärtnerei wieder zurück in kommunalen Besitz genommen. "Ich kann nicht immer nur fordern, sondern muss auch zeigen, dass es besser geht", sagt Babler. "Was wir im Großen einfordern in der Politik, leben wir hier im Kleinen vor." Das hat natürlich auch seine Schattenseiten: Als 2016 bekannt wurde, dass Babler neben seinem Amt auch noch bei der Stadt angestellt war, stand das in allen überregionalen Medien.

"Genosse Rampensau"

Traiskirchen geht es gut, auch aufgrund der Lage im Wiener Speckgürtel. Die Einnahmen steigen seit Jahren, allein zwischen 2010 und 2015 um knapp 30 Prozent, da tut man sich mit dem Gestalten leichter. Die Stadt wird seit über 60 Jahren sozialdemokratisch regiert. Mit allen Problemen, die so etwas auch mit sich bringen kann. Die Opposition kritisiert, dass besonders im Bereich Verkehr viel zu wenig passiere und ihre Forderungen kurz vor der Wahl von der mit absoluter Mehrheit regierenden SPÖ übernommen würden.

Die politische Logik würde sagen: Jemand wie Babler will noch etwas werden. Er selbst schüttelt auf die Frage lachend den Kopf, natürlich. Auch Leute, die ihn gut kennen, verneinen das. Er sei glücklich dort, wo er sei; wisse, wo er funktioniere und wo nicht.

Rund um 2015 hätte Babler wahrscheinlich etwas werden können. Er kommt aufs Cover einer Wiener Stadtzeitung ("Genosse Rampensau"), eine Welle der medialen Aufmerksamkeit setzt sich in Bewegung. Als die Kritik an Faymann in der Partei größer wird, sind plötzlich auch Menschen Fans von Babler, die inhaltlich nicht viel mit ihm zu tun haben. Man kann mit ihm durchaus reflektiert über solche Dinge reden: über richtige und falsche Freunde, die Gefahr der Popularität und die Versuche, ihn zu instrumentalisieren.

Vielleicht würde das Konzept Andreas Babler in einem Setting, wo man nicht omnipräsent ist, wo sich Vorbehalte gegenüber linker Politik nicht per Handschlag wegschütteln lassen, auch gar nicht aufgehen. In der Bundespolitik, wo man nicht jeden über 75-Jährigen persönlich besuchen kann, wird man zwar manchmal geliebt, aber meist nicht lange. In Traiskirchen geht das: Als Bablers Vorgänger Fritz Knotzer das Amt 2014 übergibt, ist er der längstdienende Bürgermeister Niederösterreichs.

Am Donnerstagabend haben sich 60, 70 Leute zum Wahlkampfabschluss in der örtlichen SPÖ-Zentrale versammelt. "In dieser Stadt lassen wir niemanden zurück", ruft Babler ins Mikrofon. "Und wir lassen uns da auch von draußen nicht reinreden!" Und da klingt der Bürgermeister dann ein wenig wie ein Landeshauptmann, der punktet, indem er sich gegen den Bund positioniert. Und ein klein bisschen stimmt das ja auch. Zumindest der letzte Teil. (Jonas Vogt, 26.1.2020)