Dieser Schädel aus dem niederösterreichischen Wöllersdorf gehört zum bislang ältesten Menschenfund auf österreichischem Boden.
Foto: Dorothea Talaa

Graz/Wöllersdorf/Pöttsching – Etwa 5.250 Jahre ist es her, dass Ötzi mit einem Pfeil erschossen wurde. Und die umfangreichen Untersuchungen an der Gletschermumie bleiben nicht der einzige Fall, in dem die Archäologie zur Sonderform der Forensik geworden ist: Wie das Universalmuseum Joanneum in Graz berichtet, gehen auch die ältesten jemals auf österreichischem Gebiet gemachten Menschenfunde auf Mordfälle zurück. Die Taten ereigneten sich vor etwa 8.800 und 7.000 Jahren, in der Mittel- und der Jungsteinzeit.

Die Toten

Bereits im Jahr 2011 hatte ein Team unter der Leitung der Archäologin Dorothea Talaa im niederösterreichischen Wöllersdorf den ältesten Schädelfund Österreichs gemacht. Mithilfe der Radiokarbondatierung (C14) ließ sich ein Alter von beinahe 9.000 Jahren feststellen. Die gefundene Schädeldeponie stellt laut Talaa "ein besonderes Begräbnisritual für ein Mitglied der mittelsteinzeitlichen Oberschicht dar". 2015 kam es dann zur Entdeckung des ältesten "Burgenländers" in Pöttsching, wiederum unter der Leitung Talaas. Gefunden wurden die Reste eines Jugendlichen, der etwa 5.000 vor unserer Zeitrechung lebte.

Das rekonstruierte Gesicht des Toten aus Wöllersdorf.
Illustration: FOsil, Dirk Labudde

Die Anthropologin Silvia Renhart vom Universalmuseum Joanneum untersuchte nun beide Funde erneut und diagnostizierte an den Überresten des Mannes aus Wöllersdorf, dass er im Alter zwischen 31 und 40 durch massive Schläge auf den Schädel, wohl mit einem Steinbeil, gewaltsam zu Tode gekommen war.

Bei dem Toten aus Pöttsching handelt es sich um einen Jugendlichen aus der Epoche der frühjungsteinzeitlichen Bandkeramik-Kultur. Bei dem etwa 15-Jährigen sind massive Gewaltspuren festzustellen, die sowohl durch eine Fernwaffe – wohl einen Pfeil – als auch durch eine Schlagwaffe verursacht wurden, möglicherweise einen Knüppel. "Offenbar war er vor dem Angriff auf sein Dorf in das unmittelbar neben der Siedlung liegende Abbaugelände für Lehm geflüchtet und dort getötet worden", sagt Talaa.

Die Fundsituation in Pöttsching weist klar auf einen Akt der Gewalt hin.
Foto: Dorothea Talaa

"Diese ungewöhnlichen, ja einzigartigen Funde brauchten neue Forschungsansätze und -methoden", so Renhart. Ihr gelang es, internationale Wissenschafter verschiedener Disziplinen unentgeltlich für das Forschungsprojekt zu gewinnen. Bei der Untersuchung wurden unterschiedliche Methoden verwendet: von anthropologischen und archäologischen Befunden über die Anfertigung medizinischer CT-Scans und digitaler 3D-Daten-Aufbereitung zur Entwicklung maßstabgetreuer 3D-Modelle bis hin zur Gesichtsrekonstruktion sowie Entwicklung und Anwendung neuer molekularer Verfahren zur Lebensaltersschätzung.

Molekulare Uhren – zu- oder abnehmende Modifikationen von DNA und Proteinen – ticken von Geburt an in jedem Menschen und können noch nach Jahrtausenden Auskunft geben, wie alt ein Individuum zum Todeszeitpunkt war. Eine entsprechende Lebensalterschätzung der vorliegenden Funde führte Stefanie Ritz-Timme vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf mit einer neu entwickelten Methode erstmals an so alten menschlichen Überresten durch. Die Ergebnisse bestätigten die anthropologisch vorbestimmten Lebensaltersspannen.

"Vorfahren ins Antlitz schauen"

Unter Einsatz der am Ludwig Boltzmann Institut für Klinisch-Forensische Bildgebung entwickelten Visualisierungstechnik konnte auf Basis der Ergebnisse der Forschungsgruppe FoSIL (Hochschule Mittweida) den stark fragmentierten Schädeln ein Gesicht gegeben werden. Schädel, Unterkiefer und weitere lose Knochenfragmente aus Computertomografiedaten wurden zu einem für die Gesichtsrekonstruktion anatomisch korrekten 3D-Modell zusammengesetzt.

So in etwa soll der Jugendliche von Pöttsching ausgesehen haben.
Foto: FOsil, Dirk Labudde

"Nach gut zwei intensiven Forschungsjahren machen die Ergebnisse nahezu sprachlos. Nicht nur, dass man endlich Vorfahren ins Antlitz schauen kann, sondern auch, dass die anthropologische Sterbealtersanalyse durch sogenannte 'molekulare Uhren' untermauert werden kann. Letzteres ist sehr wichtig, auch um aufzuzeigen, dass die diagnostizierten Sterbealter ihre Richtigkeit haben und die manchmal schon als überholt abgestempelte physische Anthropologie noch lange nicht ausgedient hat", sagt Renhart. (red, APA, 26. 1. 2020)