Wird von der Gruppendynamik gepackt: Die 15-jährige Svenja (Alice Prosser) findet Anschluss an den rechten Rand. Gleich wird sie ihre Fäuste erheben, um Hassparolen gegen Geflüchtete zu schmettern.

Foto: Marcella Ruiz Cruz

Der Abend geht schon heftig los. Eine Truppe pöbelnder Halbstarker entert von hinter den Sitzreihen des Publikums kommend den Raum und zupft einen der Zuschauer von seinem Stuhl, kreist ihn ein, schlägt zu.

Im Vestibül des Burgtheaters spielt sich derzeit Herzzerreißendes ab. Auf der kleinsten Bühne des Hauses radikalisieren sich nämlich die Jüngsten unserer Gesellschaft. Der Hass auf Ausländer und Multikulti schweißt Pullunderträger und Anstreicherlehrlinge gleichermaßen zusammen. Grölend werfen sie die Fäuste in die Höhe und skandieren über "Heimatrecht als Menschenrecht" und Flüchtlinge, die alles hineingeschoben bekommen und die die eigenen Leute arbeitslos machen.

Kriegerin heißt der Abend für Publikum ab 14 Jahren, und er basiert auf dem gleichnamigen, 2011 herausgekommenen Film von David Wnendt. Regisseurin Anja Sczilinski verlegt ihn aus der Neonaziszene einer ostdeutschen Kleinstadt ins heimische Traiskirchen. Kann man seit den Entwicklungen von 2015 durchaus machen.

Im Zentrum der Handlung stehen den rechten Kids die geflüchteten afghanischen Geschwister Jamila (Pilar Borower) und Rasul (Paul Winkler) gegenüber. Als wir sie kennenlernen, werden sie für den Besuch einer Deutschklasse instruiert. Was man dort lernt? Wo Maria Theresia ihre Sommer verbracht hat, vom Osterhasen und über Mülltrennung.

Schonungslos angepackt

Wenn sie nur Müll produzieren könnten! So was bediene sie nicht, sagt Marisa (Hanna Mannsberger) nämlich einen flotten Szenenwechsel später über das Mädchen mit dem Kopftuch aus dem Heim nebenan, als dieses und sein Bruder mit Gutscheinen bei ihr im Laden stehen und Kekse kaufen wollen. "Affen", nennt sie sie. Marisa kassiert im selben Supermarkt wie ihre Mutter (Dunja Sowinetz), sozialer Aufstieg ist für sie nicht abzusehen. Die Mutter liegt solches Gedankengut so fern wie allen anderen Erwachsenen des Abends, doch sind diese angesichts der Überzeugungen ihrer Kinder gefährlich hilflos. Marisa wird später mit dem Auto die Geschwister auf ihren Fahrrädern anfahren.

So viel Schonungslosigkeit beim Anpacken des Problems der neuen Rechten wie hier sieht man selbst auf Erwachsenenbühnen selten. Zwischen die Klage über "Massenzuwanderung" und Hassparolen mischen sich Sager wie "Fick dich" und "dumme Fotze". Der Faschismus der Kinder geht mit üblem Machismus einher. Im Vestibül spricht man all diese bösen Worte laut aus, zeigt die Gewalt gegen Ausländer und auch jene rechter Burschen (Johannes Ayrle) gegen die Mädchen. Um wie viel sensibler geht da der geflüchtete Rasul mit Marisa um! Sie beginnt umzudenken.

Abdriften und zweifeln

Sczilinski, die auch das dem Nachwuchs gewidmete Burgtheaterstudio leitet, inszeniert eineinhalb dichte Stunden lang rasch wechselnde Szenen, die das Abdriften zum rechten Rand genauso beleuchten wie allmähliche Zweifel daran. Die jungen Darsteller stehen Sowinetz und Wolfram Rupperti aus dem Ensemble des Burgtheaters um nichts nach. Rupperti gibt unter anderem den Vater der sozial privilegierten Einserschülerin Svenja (Alice Prosser), die sich von einem Burschen in die rechten Kreise ziehen lässt und sich aus Sehnsucht nach Zugehörigkeit rasch radikalisiert. Bei Marisa steht dagegen ein rassistischer Großvater am Anfang des Hasses aus Patriotismus.

Auch Details sitzen. Zwei weiße Treppen dienen als eine so schlichte wie wandelbare Bühne (Anneliese Neudecker) und werden zum Auto oder zum von den Kindern attackierten Imbiss der Migrantin Warda (Flora Egbonu). Kilian Unger untermalt alles mit super Sound. Etwas Pathos mischt sich erst in das Schlussbild des nie besserwisserischen Abends. Als summender Chor versammeln sich dann alle vierzehn Schauspieler wie eine Mahnwache auf der Bühne. Ein starkes Stück. (Michael Wurmitzer, 26.1.2020)