Migranten und Flüchtlinge vor einem Aufnahmezentrum in Südtunesien. Zuvor waren sie bei Libyen oder an der Küste aufgegriffen worden.

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Die Lage hunderttausender Geflüchteter in Libyen bleibt trotz Waffenstillstand katastrophal. Tausende sind unter desaströsen Bedingungen in informellen Haftanstalten eingesperrt, wo ihnen Misshandlung und Folter droht. Auch daher suchen Geflüchtete seit 2018 vermehrt in Tunesien Schutz. Die Anzahl der beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR in Libyens Nachbarland registrierten Flüchtlinge und Asylbewerber hat sich in nur einem Jahr fast verdreifacht.

Während die UN-Behörde in Tunesien 3117 Menschen unter ihrem Mandat zählt, leben Schätzungen zufolge einige Zehntausend nichtregistrierte Migranten im Land. Das UNHCR, der Rote Halbmond, lokale Behörden und unzählige Hilfsorganisationen sind aber trotz dieser überschaubaren Zahlen bereits überfordert. Sammelunterkünfte in Südtunesien waren 2019 immer wieder überfüllt, die Versorgung hilfsbedürftiger Neuankömmlinge mit Lebensmitteln, medizinischer Versorgung und Unterkunft verlief alles andere als reibungslos. Auch in Tunis fehlen Kapazitäten. Im Dezember mussten allein hier 130 Asylbewerber auf der Straße schlafen.

Recht auf politisches Asyl

Die Alltagssituation der Geflohenen im Land ist prekär, ihr Rechtsstatus unklar. Behördenwillkür sowie soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung sind die Norm. Mangelhafte Unterstützung seitens der UNHCR und Hilfsorganisationen, xenophobe Übergriffe und die immanente Gefahr, willkürlich inhaftiert und abgeschoben zu werden, kommen noch hinzu.

Tunesien hat die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert, die tunesische Verfassung garantiert das Recht auf politisches Asyl. Doch ein seit 2016 der Regierung vorliegender Entwurf für ein Asylgesetz wurde dem Parlament bisher nicht zur Abstimmung vorgelegt. Der Grund dafür dürfte sein, dass man sich eine bessere Verhandlungsbasis in Sachen migrationspolitische Kooperation mit der EU erhofft.

Die schon unter Tunesiens gestürztem Ex-Diktator Ben Ali 2011 etablierten Praktiken im Umgang mit Geflüchteten werden dabei bis heute angewandt. Die Polizei lässt weiterhin gezielt afrikanische Einwanderer im öffentlichen Raum kontrollieren und interniert diese immer wieder willkürlich. Für Flüchtlinge und Asylwerber ausgestellte UNHCR-Ausweise dienen zwar als partiell verbriefter Schutz vor Haft und Abschiebung, doch nur ein Bruchteil der im Land lebenden Geflüchteten kann ein solches Dokument vorweisen.

Drohende Internierung

Wer ohne einen Ausweis verhaftet wird, dem droht die Internierung. Während es unter Ben Ali 13 Abschiebegefängnisse gegeben haben soll, ist unklar, wie viele dieser offiziell "Aufnahme- und Orientierungszentren" genannten Anstalten bis heute genutzt werden und wie viele Menschen dort interniert sind. 2019 waren laut einem Bericht der tunesischen Menschenrechtsgruppe FTDES allein in den Gefängnissen Wardia in Tunis und Ben Guerdane in Südtunesien 1059 Menschen inhaftiert. Ben Guerdane ist dabei eine offiziell geführte Einrichtung, doch Wardia bewegt sich in einer rechtlichen Grauzone und wurde nie legalisiert.

Ausnahmslos jeder, der Wardia als Häftling betritt, wird abgeschoben, bestätigen Anwälte und Menschenrechtler dem STANDARD. Immer wieder werden in Wardia Inhaftierte in der Provinz Kasserine im Grenzgebiet zu Algerien ausgesetzt und gezwungen, zu Fuß über die Grenze zu gehen. Algerische Behörden jagen Menschen dabei auch zurück nach Tunesien und spielen ein makaberes Pingpong mit Geflüchteten.

Während solche gegen internationale Konventionen verstoßenden Ausweisungen nach Algerien regelmäßig durchgeführt werden, gibt es nur wenige bestätigte Abschiebungen nach Libyen. Im August verhaftete die Polizei in Sfax 36 Menschen aus der Elfenbeinküste und setzte sie an der libyschen Grenze in der Wüste aus. Nachdem die Gruppe mit dem einzigen nichtkonfiszierten Handy Hilfe holen konnte, waren die Behörden gezwungen, sie zurück nach Tunesien zu holen. (Sofian Philip Naceur, 27.1.2020)