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Anti-Brexit-Hoffnung im englischen Swindon im vergangenen Herbst. Inzwischen stellen sich EU-Freunde in Großbritannien darauf ein, die Verbindungen zum politischen Europa offenzuhalten.

Foto: Reuters / Led By Donkeys

Die Methodist Central Hall eignet sich als Tagungsort wegen ihrer zentralen Lage mitten in London längst nicht nur für Anhänger der methodistischen Kirche. An diesem Samstag, knapp eine Woche vor Großbritanniens EU-Austritt, sind politisch Gläubige zusammengekommen: Mehrere Hundert jener "Remainers", die gut drei Jahre lang die Brexit-Entscheidung des EU-Referendums rückgängig zu machen versuchten – und nun nach neuer Orientierung suchen.

"Wir Proeuropäer verschwinden nicht einfach", ruft der Wirtschaftspublizist William Hutton ins Publikum und erntet begeisterten Applaus jener Briten im überwiegend reifen Alter, die durch ihre Anwesenheit den lebenden Beweis für Huttons These darstellen. Der Leiter des Oxforder Hertford-College weist auf ein verblüffendes Paradox hin: Die Austrittsentscheidung hat auf der Insel "eine leidenschaftliche proeuropäische Bewegung" in Gang gesetzt und ehrwürdigen Organisationen wie dem European Movement neues Leben eingehaucht.

Gemeinsam marschierten Aktivisten und Politiker durch London, forderten lautstark ein zweites Referendum und glaubten sich "ganz nah dran", wie sich die abgewählte ehemalige Konservative Anna Soubry erinnert. Am Ende setzte sich Tory-Premier Boris Johnson mit seinem Wunsch nach Neuwahlen durch und erhielt eine satte Mehrheit für den Brexit. Nun also: "Wohin mit Remain?", so das Motto der Tagung, die von dem Bündnis Grassroots for Europe veranstaltet wird.

Keine Trauerfeier

Wer eine melancholische Trauerfeier erwartet hat, sieht sich getäuscht. Wut gibt es und eine grimmige Entschlossenheit, die eigene Sache auch weiterhin öffentlich zu vertreten. "Da ist eine enorme Energie im Saal", sagt Rosamund Taylor vom Podcast Remainiacs. "Aber wohin damit?"

Die Antworten darauf fallen widersprüchlich aus. Hutton rät zu "gründlicher Kritik" an den zukünftigen Schritten der Regierung, die bis Ende des Jahres einen neuen Handelsvertrag mit Brüssel abschließen will. Hingegen hält Dominic Grieve gar nichts davon, "dauernd von der Seitenlinie reinzuschreien": Der Brexit sei Boris Johnsons Projekt, und der britische Premier werde es "schaffen oder Schaden nehmen".

EU, nicht Europa verlassen

Grieve war einst Kabinettsmitglied so wie Soubry Mitglied des liberal-konservativen Flügels der Tories. Wegen des Widerstands gegen den Brexit gingen seine Politkarriere und die Mitgliedschaft im Unterhaus flöten. Jetzt sollten sich die Proeuropäer einen Slogan der Brexiteers zu eigen machen: Man verlasse die EU, nicht aber Europa. Da gebe es zahlreiche Möglichkeiten, die Verbindungen zu engen Freunden des Landes wie Deutschland, den Niederlanden oder Dänemark aufrechtzuerhalten. Die Teilnehmer sollten nicht die Köpfe hängen lassen: "Wir haben für die Nation gesprochen und können sehr stolz sein."

Das findet Jane Riekemann auch. Die pensionierte Lehrerin ist im Städtchen Bath aktiv und trägt mit Überzeugung ein blaues Barett mit den Europasternen. Mit ihrer Gruppe "Bath for Europe" will sie nun die rund 3,5 Millionen EU-Bürger im Land unterstützen, deren Status ungeklärt ist. Während sich Riekemanns Gruppe wie hunderte Grasroots-Gruppen im ganzen Land als überparteilich versteht, vertreten andere wie das linke Bündnis "Another Europe is possible" dezidiert politische Anschauungen. Gemeinsam ist ihnen die Entschlossenheit, ihre Insel nicht zu weit vom Kontinent wegzurücken.

Die meisten wünschen sich den baldigen Wiedereintritt in die EU, diskutiert wird nur über die Länge des Interims: Womöglich nur fünf Jahre? Oder doch eher fünfzehn? Ökonom Hutton listet Faktoren auf, die den Optimisten den Rücken stärken: die Unausweichlichkeit der Geografie, die engen Handelsverbindungen, die gemeinsamen Werte und Interessen, von der Friedenserhaltung in Europa bis zum Klimawandel.

Kein einheitliches Narrativ

Von einem einheitlichen Narrativ ist die Bewegung aber weit entfernt. Rosamund Taylor warnt davor, sich weiterhin in die blaue EU-Flagge zu hüllen und sich damit von den Brexit-Befürwortern abzugrenzen. Für eine Versöhnung des Landes gebe es "keine Hoffnung, wenn die bisherigen Identitäten nicht aufbrechen".

Instinktiv scheinen viele Teilnehmerinnen dies auch so zu sehen. Am Verkaufsstand des European Movement gehen Anstecker, auf denen der britische Union Jack und die Europasterne kombiniert dargestellt werden, weg wie die warmen Semmeln. Aber auch ein anderer Button finde guten Absatz: "European Forever" steht drauf. (Sebastian Borger aus London, 27.1.2020)