Wer hat Angst vor der digitalen Demokratie?, fragt Eric Frey seine Gäste im Wiener Burgtheater.

Foto: Matthias Cremer

An einem Samstagvormittag habe Mark Zuckerberg, seines Zeichens Chef des sozialen Netzwerks Facebook, eine Nachricht erhalten: Auf dem von ihm gegründeten Portal würden Politiker im südostasiatischen Myanmar gerade per Hasspostings zu Gewalt gegen die Rohingya aufrufen. Zuckerberg veranlasste sofort, dass der Nachrichtenaustausch blockiert würde. Ingrid Brodnig ezählt die Geschichte auf der Bühne des Burgtheaters, weil sie nicht sicher ist, ob alles am Verhalten des Facebook-Chefs applauswürdig ist. Soll wirklich "ein Typ an einem Samstagvormittag über Genozid entscheiden? Wo sind die Gerichte? Wo sind die Staaten?", fragt Brodnig.

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Die Journalistin bringt damit ein Problem auf den Punkt, in dem die vernetzte Welt von heute steckt: Wie viel Handlungsspielraum haben Staaten beziehungsweise staatliche Akteure noch im digitalen Raum? Und inwieweit wird das demokratische System durch die technologischen Möglichkeiten des Netzes untergraben? Fake-News manipulieren Wahlen, Filterblasen und Echokammern radikalisieren öffentliche Meinungen, Hackerangriffe untergraben den – einst so hochgelobten – freien und niederschwelligen Diskurs im Netz. Am Sonntag diskutierten darüber hochkarätige Gäste auf dem Podium im Wiener Burgtheater, unter dem Motto: "Wer hat Angst vor der digitalen Demokratie?". Eingeladen hatte das Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), die Erste Stiftung und der STANDARD im Rahmen der "Europa im Diskurs"-Reihe, die Moderation übernahm Eric Frey.

Zwischen Verantwortung der Unternehmen und Regulierung

"Wir wollen doch, dass Zuckerberg agiert!", widerspricht John Frank der Netzjournalistin Brodnig. Der Leiter des Microsoft-Büros in Brüssel pocht auf die Verantwortung der Unternehmen, fordert aber auch eine bessere Regulierung durch die Politik – beim Fernsehen habe man es damals ja auch geschafft, etwa politische Werbeschaltungen zu regulieren.

Medientheoretiker Franco Berardi habe nichts als Mitleid für die Politiker, die an "Impotenz" leiden würden. Als "Verlust von Handlungsmacht" formuliert dies Frank etwas milder, stimmt der Analyse in der Sache aber zu. Steht am Anfang dieses Verlustes der plötzliche Überfluss an Information? "Zu viel Information gab es immer schon", meint Brodnig, genauso wie Fake-News. Das Internet mache sie nur sichtbarer und beschleunige deren Verbreitung.

Die Rache der Trump-Wähler

Für Berardi ist der Informationsüberfluss erst der zweite Schritt in der Problematik. Der eigentliche Demokratie-Killer sei die gesellschaftliche Verarmung, ausgelöst durch den Kapitalismus und den Neoliberalismus. Der Marxist zeigte sich davon überzeugt, dass Fake-News und Rechtspopulismus von selbst zurückgehen würden, wenn größere Gleichheit hergestellt würde: "Menschen, die Donald Trump wählen, denken nicht, dass er unschuldig oder ein guter Mensch ist. Sie wollen Rache üben."

Dass allgemein große Verunsicherung darüber herrscht, was denn nun wahr und was "fake" ist, darüber sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig. Und auch, dass dieser Zustand leicht ausgenutzt werden könne. Darin sieht Brodnig die Ironie: Eben weil die Demokratie eine Vielfalt an Stimmen anstrebt, können Akteure in Russland etwa – wo das nicht möglich ist – in Europa Zweifel durch Fake-News schüren. Sie ortet aktuell zwei Internettypen: ein US-Modell und ein chinesisches Modell der totalen Kontrolle. Sie plädiert für ein drittes, ein "europä isches Internet", das Daten schützt und politische Manipulation sowie Ungleichheit zu verhindern trachtet. (Anna Sawerthal, 26.1.2020)