Wien – Runtergebrochen wirkt es einfach: Es geht im Endeffekt immer nur um die Ziffern Null oder Eins. Kopf oder Zahl. Wahr oder falsch. Seit Jahrzehnten dominiert das Null-oder-Eins-System unsere Welt. So rechnet ein herkömmlicher Computer, nennt sich Binärsystem, doch es bahnt sich eine Zäsur an der digitalen Front an. Die Quanten computer-Technologie könnte zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel führen, und eine der ersten "umgerührten" Branchen wird wohl die Finanzwelt sein.

Ein Quantencomputer verspricht Leistungen, die heutige Rechner bei weitem nicht erreichen können. Vor allem wenn es um die Verarbeitung von komplexen Daten geht, hat die aktuelle Technologie das Nachsehen. Noch befindet sich der Supercomputer in spe in der Entwicklungs- und Versuchsphase. Von einem voll funktionsfähigen Quantencomputer sind wir noch ein gutes Stück entfernt, die Forschung macht aber stetig Fortschritte.

Vorerst gilt es, zu verstehen, ein Quantencomputer ist nicht einfach ein besserer, schnellerer Computer, es handelt sich dabei um ein anderes Gerät. Der Quantencomputer rechnet in Quantenbits, sogenannten Qubits. Diese Qubits folgen den komplizierten Prinzipien der Quantenphysik. Wegen des Superpositionsprinzips kann ein Qubit sowohl Null als auch Eins gleichzeitig sein. Ein Vergleich: Wer immer leistungsfähigere Kerzen baut, bekommt trotzdem keine Glühbirne. Zwei plakative Beispiele für die Zukunft der Finanzwelt sind Gewinnausfallberechnungen und das Thema Sicherheit.

Die ganz Großen wie Google und IBM_arbeiten akribisch an der Entwicklung eines kommerziellen Quantencomputers. Auch in der Finanzwelt ist das Interesse groß.
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Gewinnausfall und Monte Carlo

Zum Kerngeschäft eines Finanzinstitutes gehört es, möglichst treffsicher die Zukunft vorherzusagen. Wie sich Aktien und Märkte entwickeln, wo ein Crash droht oder welche Kredite ausfallen. Es ist schwer, zu prognostizieren, wann sich der Preis eines Assets um wie viel verschiebt und einen Gewinn abwirft. "Der Preis in der Zukunft basiert auf einer Wahrscheinlichkeitsverteilung, die üblicherweise aus Zeitreihendaten gewonnen wird", sagt Christa Zoufal, Physikerin bei IBM Research im Gespräch mit dem STANDARD.

Investoren verwenden üblicherweise die sogenannte Monte-Carlo-Methode, um die Gewinnwahrscheinlichkeiten zu bestimmen und potenzielle Risiken zu bewerten. Sie analysieren, wie sich die Preise historisch verändert haben, und kalkulieren aktuelle Entwicklungen ein. Aus Millionen möglichen Ergebnissen errechnet sich ein Durchschnittswert. "Sie wollen beurteilen, wie viel sie beim Kauf einer Anlage im schlimmsten Fall verlieren", erklärt die Wiener Forscherin – mit anderen Worten, das System analysiert den maximal akzeptablen Verlust.

Wissenschafter von IBM in Rüschlikon kooperieren mit den Investmentbankern von JPMorgan Chase.
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Gängiger Computer zu langsam

Auf einem herkömmlichen Computer können diese Simulationen so aufwendig werden, dass sie über Nacht laufen müssen. Das bedeutet, sie finden einerseits nicht in Echtzeit statt und sind andererseits sehr kostspielig. Investmentbanker haben klarerweise großes Interesse am Fortschritt der Quantentechnologie. Im Schweizer Rüschlikon versucht IBM gemeinsam mit JPMorgan Chase (JPMC) dem Quantensprung etwas näher zu kommen. "Wir haben die technische Expertise und JPMC das Wissen aus der Finanzwelt. Diese beiden Felder zusammenzuführen hat sich angeboten", sagt Zoufal.

Ein effizienterer Rechner bedarf ebenfalls effizienterer Sicherheitsmaßnahmen. Beim Lösen von bestimmten mathematischen Rätseln, die heutzutage standardmäßig zur Sicherung von E-Mails oder Bankkonten dienen, sind Quantencomputer äußerst effizient. "Ein herkömmlicher PC braucht zu lang, um die Verschlüsselungssysteme zu knacken. Ein Quantencomputer könnte das in kurzer Zeit", erklärt Physikerin Zoufal. Ein zweischneidiges Schwert. Einerseits können kriminelle Handlungen potenziell schneller erkannt werden, andererseits könnten sich Kriminelle die neuen Technologien auch zunutze machen. Um dieses Sicherheitsrisiko gar nicht erst aufkommen zu lassen, entwerfen Wissenschafter bereits seit Jahren neue Verschlüsselungsmethoden.

Die Technik hinter einem Quantencomputer wirkt nicht nur unglaublich kompliziert.
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Bessere Datenverarbeitung

Bessere Datenverarbeitung ermöglicht es, Angebote noch genauer auf den Kunden zuzuschneiden und deren Präferenzen besser einzustufen. IBM will dafür die passende Technologie liefern. "Wir wollen nicht die Datenerhebung erhöhen, sondern mit den vorhandenen Daten ein besseres Ergebnis erzielen", so Zoufal. Die Handhabung der Daten bleibe Firmensache. Und Menschen müssten darauf achten, welche Daten sie hergeben.

Noch gibt es keinen voll funktionsfähigen Quantencomputer, auch wenn Firmen wie IBM und Google akribisch an der Entwicklung arbeiten. Die Mehrheit der Wissenschafter ist überzeugt, der Quantencomputer wird kommen, wird funktionieren, wird bestehende Systeme auf den Kopf stellen. Zum "wann" enthalten sich alle der Aussage, niemand kann oder will konkrete Prognosen bis zum Durchbruch der Technologie abgeben.

Dass Quantencomputer die herkömmlichen Systeme ersetzen, erwartet Zoufal nicht: "Für einfache Aufgaben reichen herkömmliche Rechner vollkommen aus. Quantencomputer werden als komplementäres System mitwirken." (Andreas Danzer, 30.1.2020)