Die Boxhandschuhe kommen mehr symbolisch als praktisch zum Einsatz: Anna (Isabella Campestrini) und Georg (Daniel Klausner).

Foto: Herwig Prammer

In einer Straße am Ende des Dorfes weht der Wind. Er zischt direkt aus dem Laptop der Wiener Musikerin Clara Luzia und um das ärmlichste Haus dort. Darin wacht Anna am Sarg ihrer toten Mutter, als Nachbar Georg (Daniel Klausner) sich mit einem großen Korb am Rücken zur Tür hereinschleppt. Anna will, dass er weggeht, er aber lässt nicht ab.

Marie von Ebner-Eschenbach beschrieb 1898 in der Erzählung Die Totenwacht eine sich aus Gewalt und Abhängigkeit befreiende junge Frau. Mit der Stimme einer, die als Kind barfuß gehen und hungern musste, weil der saufende Vater die Familie noch um die letzte Habe brachte, rechnet Anna darin ab, klagt den Vater und auch Georg an, der sein Essen nie mit ihr geteilt und sie vergewaltigt hat.

Rätselhafte Bilder

Sara Ostertag hat den Text nun auf die kleine Studiobühne des Linzer Landestheaters gebracht. Prosa bearbeitet die Regisseurin gerne, weil sie diesen Texten nicht mit klassischen Stückkonventionen begegnen muss. Einmal mehr zeigt sie also poetische und oft rätselhafte Bilder, die ganz eigenen Logiken und Assoziationen folgen.

Ostertags markantester Kniff besteht diesmal darin darin, die Figur Annas in drei Schauspielerinnen verschiedenen Alters zwischen Mädchen und erwachsener Frau aufzusplitten, sodass sie dem Bedränger Georg auf der mit viel Staub der Vergangenheit bedeckten Bühne (Nanna Neudeck) gemeinsam entgegentreten können. Während die älteste Anna (Jeanne Werner) Georg also mit Worten seine Taten vorhält und die mittlere (Isabella Campestrini) sich mit ihm kämpfend über den Boden wälzt, verspritzt die jüngste (Alma Hofmann) dazu aus einer Flasche Blut über beide. Ebenso schön gemacht: Eine hängt sich auf Georgs Schultern, bis er unter der Last der gleichzeitig von der anderen genannten Vorwürfe zu Boden geht.

Effektvolle Choreografien

Unter sparsamem Einsatz effektvoll gewählter Requisiten entstehen so präzise Choreografien. Wenn Anna in weiteren Szenen mit Georg aneinandergerät, zieht sie sich etwa rote Boxhandschuhe an oder hält sich ein Hirschgeweih an den Kopf. Stirn an Stirn schreiten die Gegner wie im unheilvollen Tanz über die Bühne.

Musikalisch untermalt Clara Luzia mit Laptop und E-Bass die mundartlichen Reden live vom Bühnenrand aus mit sehr heutigen und atmosphärischen Klängen. Der eine Stunde kurze Abend holt den vor 120 Jahren schon feministischen Stoff ambitioniert in die Gegenwart von #MeToo, ist aber stilistisch auch ein ziemlicher Culture Clash. (Michael Wurmitzer, 27.1.2020)