Die Ansage ließ selbst eingefleischte Klimaschützer aufhorchen: Bis zum Jahr 2040 will die türkis-grüne Regierung klimaneutral werden. Der Treibhausgasausstoß soll also so weit wie möglich reduziert werden, verbleibende Emissionen gespeichert oder kompensiert werden. Am Ende steht das große Versprechen der "Netto-Null".

2040 ist mehr als ambitioniert: Die EU-Kommission will erst bis 2050 klimaneutral werden, und selbst im sogenannten Referenzklimaplan, der im Vorjahr von Klimaforschern erstellt wurde, traute man sich über das Jahr 2045 nicht hinaus. Die Krux am türkis-grünen Vorhaben: Mit den Maßnahmen, die im Regierungsprogramm festgehalten wurden, wird die Netto-Null bis 2040 nicht zu erreichen sein, meinen Experten.

Denn das Ziel "bis 2040" bedeutet, dass Österreich einen gänzlich anderen Treibhausgasreduktionspfad einschlagen muss als bisher. Der Klimaökonom Stefan Schleicher vom Grazer Wegener Center schätzt, dass Emissionen dafür ab sofort jährlich um rund fünf Prozent des derzeitigen Volumens verringert werden müssen. Vier Millionen Tonnen CO2-Äquivalent müssten also ab sofort pro Jahr eingespart werden – das entspricht in etwa der Hälfte des Ausstoßes, der in Österreichs Landwirtschaft jährlich entsteht. Oder anders gesagt: Das entspräche einem Viertel der Emissionen, die jährlich im Pkw-Verkehr anfallen, sagt Schleicher.

"Netto-Null" heißt, dass nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden, als durch Ausgleichsmaßnahmen gespeichert oder kompensiert werden.
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Das Vorhaben dürfte teuer werden: Die Forscher am Wegener Center gehen davon aus, dass für die notwendigen Maßnahmen Investitionen in Höhe von mindestens vier Milliarden Euro notwendig sein werden – pro Jahr.

Allein für das geplante Österreich-Ticket müsste mit bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr an öffentlichen Zuschüssen gerechnet werden, sagt Schleicher. Auch im Gebäudesektor müsste zusätzlich zur bestehenden Wohnbauförderung jährlich mindestens eine Milliarde Euro lockergemacht werden. Zwei weitere Milliarden seien mindestens notwendig, um die Infrastruktur für die öffentliche Mobilität auszubauen, schätzt der Ökonom.

Komplettes Umdenken nötig

Neben den notwendigen Klimamilliarden sind zudem massive Veränderungen in einzelnen Sektoren notwendig. Einige Beispiele:

Gebäude: Um innerhalb von 20 Jahren die Netto-Null zu erreichen, dürfe kein Gebäude mehr mit fossiler Energie versorgt werden, sagt der Ökonom. Stattdessen müssten Netze errichtet werden, die Wärme aus Abwasser- und Abluftsystemen zurückgewinnen können. In der Schweiz gebe es dahingehend bereits einige vielversprechende Beispiele, meint Schleicher. Der Aufwand dafür sei allerdings "enorm": "Es würde praktisch kein Gebäude in Österreich geben, das nicht zusätzliche Investitionen bekommen müsste."

Daher müsste man sich in vielen Fällen natürlich überlegen, ob sich eine Renovierung auszahle oder ein Ersatzbau sinnvoller ist. Schleicher kritisiert, dass im Regierungsprogramm zwar die Rede von einer dreiprozentigen Sanierungsrate sei, diese aber nicht genauer definiert wurde. "Wenn ein Fenstertausch bereits eine Renovierung ist, reicht das nicht aus", erklärt der Wissenschafter.

Will man die Ziele erreichen würde praktisch kein Gebäude in Österreich geben, das nicht zusätzliche Investitionen bekommen müsste, sagen Experten.
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Auch Daniela Trauninger, Leiterin des Zentrums für Bauklimatik und Gebäudetechnik an der Donau-Universität Krems, hält die Dreiprozentrate für ein absolutes Minimum, um die Klimaschutzziele im Gebäudesektor zu erreichen. Sie gibt allerdings auch zu bedenken, dass jeder Neubau – egal wie effizient – ressourcen- und energieaufwendig ist: "Daher ist nicht nur die thermische Sanierung, sondern auch die Nachnutzung bestehender Gebäude von großer Relevanz." Das geplante Aus für Öl, Kohle und fossiles Gas in der Raumwärme hält die Expertin für "realistisch umsetzbar und schon längt überfällig".

Mobilität: Österreichs Emissionen sind im Verkehrssektor in den vergangenen Jahrzehnten so stark gestiegen wie in keinem anderen Bereich. Hier werden also besonders massive Änderungen notwendig sein, meint Schleicher. Um die Netto-Null zu erreichen, sei viel mehr notwendig, als zu Antrieben zu wechseln, die frei von fossiler Energie sind – das allein sei "sehr schwer zu erledigen", sagt der Ökonom. Vielmehr sei ein gänzliches Umdenken der Mobilität notwendig – was auch eine Reduktion von Strecken bedeute. Schleicher nennt Oberösterreich als Beispiel, wo es bereits jetzt einige "periphere Büros" gibt, damit Pendler nur ein- oder zweimal pro Woche zu ihrem eigentlichen Arbeitsplatz fahren müssen.

Optionen gebe es neben dem notwendigen Ausbau des öffentlichen Verkehrs auch in der Technologie: Wege könnten beispielsweise reduziert werden, wenn sich Videokommunikation in Unternehmen als Standard durchsetzen würde. "Da tut sich schon sehr viel", meint Schleicher, der regelmäßig an länderübergreifenden Videokonferenzen teilnimmt.

Industrie: Gerade im Bereich der energieintensiven Industrie wird für Klimaneutralität einiges zu tun sein – in erster Linie seien technische Innovationen notwendig, sagt der Wissenschafter. Ohne entsprechende Forschungsprogramme sei das allerdings mehr Wunschdenken. Ein kleiner Unterpunkt im Regierungsprogramm könnte allerdings Abhilfe schaffen: Dort ist die Rede davon, dass eine Zweckwidmung von Auktionserlösen aus dem Emissionshandel geprüft werden soll. Die rund 300 Millionen Euro, die laut Schleicher dadurch jährlich generiert werden, könnten etwa in einen Innovationsfonds fließen.

Auch die geplante CO2-Bepreisung, die ab 2022 eingeführt werden soll, könnte weiteres Geld für Forschung in die Kassen spülen. Laut Schleicher, der auch als Konsulent am Wirtschaftsforschungsinstitut tätig ist, sollte der Preis bei rund 100 Euro je Tonne CO2 angesetzt werden. Ein Wert, der angesichts des kürzlich eingeführten und wesentlichen niedrigeren Preises in Deutschland wohl eher unrealistisch sein dürfte.

Das neue Klimaschutzgesetz könnte Hebel in Bewegung setzen – und nicht zuletzt die CO2-Bepreisung, die ab 2022 kommen soll.
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Neben den genannten Beispielen wird die Netto-Null auch in anderen Sektoren – wie etwa der Landwirtschaft – große Veränderungen mit sich bringen. Wie all das erreicht werden soll, ist dem Regierungsprogramm kaum zu entnehmen. Mehrere Maßnahmen wurden hinausgezögert, einige Punkte blieben vage.

Mehr Klarheit könnte allerdings die geplante Nachbesserung des nationalen Energie- und Klimaplans bringen. Hier könnten entsprechende Maßnahmen gesetzt werden. Auch das neue Klimaschutzgesetz könnte Hebel in Bewegung setzen – und nicht zuletzt die CO2-Bepreisung, die ab 2022 kommen soll.

In der Vergangenheit war Österreich in puncto Treibhausgasreduktion europaweit eines der Schlusslichter, umso schwieriger wird es also werden, die Netto-Null bis 2040 zu erreichen. Bisher hat sich innerhalb der EU nur ein Staat – Finnland – mit 2035 ein ambitionierteres Klimaziel gesetzt. Und was allein 2050 bedeuten würde, machte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich klar: Sie bezeichnete die Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts als "Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment". (28.1.2020)