Irgendwie kommen wir nicht zusammen, die Neusiedler-See-Umrundung "Burgenland Extrem" und ich. Aber an den Veranstaltern liegt es ganz bestimmt nicht: Tobias Monte, Michael Oberhauser und Josef Burkhardt, die drei Gründer des winterlichen Ultralaufes und -marsches von Oggau nach Oggau, klopfen mit schöner Regelmäßigkeit an und fragen, ob ich nicht heuer ...

Ich sag dann jedes Mal: "Sicher, gerne! – Aber eher nicht die volle Runde." Und meine es auch so.

Aber dann kommt halt doch jedes Mal was dazwischen.

Schade, denn die "Burgenland Extrem Tour" hat sich in den mittlerweile zwölf Jahren ihres Bestehens (zunächst als Spaß unter Freunden, seit neun Jahren als Bewerb) von
der lustigen Privatidee zu einem Event mit über 7.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gemausert. Rund 2.000 über die volle Strecke von 120 Kilometern, einmal rundherum. Tausende andere auf den Teildistanzen – und 2.500 Schülerinnen und Schüler bei der "School of Walk" – einer 30-Kilometer-Tour von Neusiedl am See nach Oggau.

Foto: Screenshot

Heuer wäre ich tatsächlich fast dabei gewesen – nur kam dann in letzter Sekunde etwas dazwischen. Sowas passiert.

Aber der Reihe nach: Meine Freundin Carina (im Bild mit Burgenland-Extrem-Mitbegründer Michael Oberhauser) hatte mich als "Support" angefordert. Carina ist Lehrerin
am Europagymnasium Leoben. Sie unterrichtet dort Mathematik und Psychologie/Philosophie. Ganz abgesehen davon ist sie eine tolle Ausdauersportlerin – im Oktober 2019 begleitete ich sie bei ihrer ersten Ironman-Langdistanz nach Barcelona. Die Burgenlandtour hat sie auch schon mal in Angriff genommen: 2018 absolvierte sie dort die 60-km-Version, den "Final Trail".

Unterwegs, erzählte sie, faszinierten sie da nicht nur die knallharten Ultraläufer, sondern vor allem die vielen Kinder auf der Strecke. "Schon damals habe ich mir gedacht, dass das doch auch was für meine Schule sein könnte." Und ab hier übernimmt deshalb sie das Erzählen.

Foto: Carina Pusch

Carina erzählt:

Der Plan war klar: Zuerst holte ich mir von der Schulleitung das "Go!" Die Direktorin war sofort begeistert, wollte aber natürlich trotzdem zuerst wissen, ob und wie das für Schüler gefahrlos und sicher machbar sei. Aber dann hatte ich grünes Licht: 30 Schüler zwischen 13 und 15 Jahren würden mit mir unterwegs sein.

Wäre es nur nach den Schülern gegangen, hätte ich auch 60 oder 90 auf die Runde mitnehmen können. Speziell bei den Jüngeren waren ein paar frustriert: "Warum dürfen wir nicht auch?"

Was 30 Kilometer im Jänner bedeuten, war aber keinem, da bin ich mir sicher, bewusst – obwohl ich nicht nur einmal erklärt habe, dass "bei jedem Wetter" tatsächlich bei jedem Wetter bedeutet.

Trainiert hat, soweit ich weiß, kaum jemand: Nur zwei Mädchen erzählten mir von Testwanderungen in den Weihnachtsferien.

Foto: Carina Pusch

Freitag, der 24. 1., Race-Day: Als wir gegen neun Uhr in der Früh in Neusiedl aus dem Bus stiegen, staunten nicht nur die Kids: Da waren schon Hunderte andere Schüler. 2.500, sagten mir die Veranstalter später. Aber: Wir waren die Einzigen aus der Steiermark. Auch wenn sich die "school of walk" als Event für Schülerinnen und Schüler "aus ganz Europa" positioniert, waren es heuer doch vor allem Schulen aus dem Burgenland, die hier mitmachten.

Meine Schülerinnen und Schüler waren aber von etwas anderem viel überraschter: "Super, wie nett hier alle zu uns sind." Da ging es um Kleinigkeiten: Beim Frühstück waren einfach alle mehr als nur nett zu uns – weil wir doch von weiter her angereist waren. Die Veranstalter haben uns da echt jeden organisatorischen Stein aus dem Weg geräumt.

Foto: Carina Pusch

Aber gehen mussten wir natürlich schon selbst. 30 km sind 30 km – und so weit war keiner von meinen Schülerinnen und Schülern je zuvor marschiert. Mit einer Ausnahme: Ein Mädchen ist bereits einmal einen Marathon (also die vollen 42 Kilometer) gelaufen. Alle anderen sind durchschnittlich fitte Jugendliche.

Apropos "Marathon laufen versus Marschieren": Das ist beim "Burgenland Extrem" vollkommen egal. Es gibt dort aus organisatorischen und sicherheitstechnischen Gründen zwar Startnummern, aber keine Zeitnehmung und kein Klassement: Ob man geht, läuft oder hüpft, bleibt jedem und jeder selbst überlassen. Das ist gut so: Bei solchen Bewerben tritt man ja ausschließlich gegen sich selbst an. Alleine sich auf dieses Abenteuer einzulassen ist für die meisten Leute ein mutiger Schritt aus der eigenen Komfortzone hinaus.

Foto: Carina Pusch

Meine Kids zogen zügig und topmotiviert los. Wie wir unterwegs sein würden, hatten wir immer wieder besprochen: Einer machte die Spitze. Und vor dem würde keiner gehen. Ganz hinten ich als Schlusslicht. Bei den Labestationen würden wir alle immer aufeinander warten – und jeder und jede hatte eine Landkarte, ein Handy und Notfallnummern dabei. Ganz wichtig war auch, dass allen klar war: "Niemand wird zurückgelassen. Wir sind als Gruppe und in kleinen Teams unterwegs – und ein Team besteht aus mindestens zwei Personen."

Das klingt autoritärer, als es tatsächlich war: Jugendliche sind ja nicht blöd. Und sie haben auch hohe soziale Kompetenzen. Aber vor allem hatten sie auch Spaß: Ich habe unterwegs immer wieder kurze Statements eingeholt, wie es ihnen geht und was sie sich erwarten.

Foto: Carina Pusch

Die ersten acht Kilometer (von Neusiedl nach Winden) waren ein Spaziergang. Im Wortsinn. Klar war es kalt, es hatte etwa ein Grad – aber wir waren alle darauf vorbereitet und gut ausgerüstet. Und dass es zumindest auf der ersten Etappe nicht windig war, war natürlich auch ein Segen. Ich hatte einen Berg Blasenpflaster und anderes Notfallmaterial mit – aber das lag ungefähr bis Kilometer acht unangetastet in meinem Rucksack. Dann war die erste Blase zu versorgen – aber auch da wurde nicht gejammert, sondern mehr gelacht.

Foto: Carina Pusch

Wieso Kilometer acht so wichtig ist? Da war die erste Labestation. Und das war auch eine wichtige Erfahrung für die Kids: zu erleben, dass die lokalen Gastronomen und Winzer und Hoteliers bei so einem Event unkompliziert und ohne großes Tamtam einfach mitspielen. Für einen 15-Jährigen ist das schon etwas Besonderes, wenn er beim Hillinger reinkommt und er sich ein paar Bananen, Äpfel, Striezel und Tee holt – und dann dort im Kamin ein fettes Feuer prasselt.

Foto: Carina Pusch

Aber dann begannen die Mühen der Ebene. Von Winden nach Donnerskirchen sind es 13 Kilometer. Bei Purbach (etwa auf halber Strecke) gab es eine Labe im Freien. Und da wurde es einigen dann schon wirklich frisch um Nasen, Zehen und Finger. Mir auch – aber vor den Schülerinnen und Schülern durfte ich natürlich nicht jammern. Also: durchbeißen.

Die Stimmung war zwar gut, aber es gab dann eben doch die ersten Wehwehchen: "Meine Fußsohlen brennen – aber ich habe vielleicht doch die falschen Schuhe an." "Mein Knie tut weh." "Mein Schienbein schmerzt." Lauter Dinge, die ich als Läuferin kenne und erklären konnte – aber wenn man unterwegs ist, muss man da eben durch. Und das Wort "Aufgeben" fiel kein einziges Mal.

Foto: Carina Pusch

Die Schülerroute beim "Burgenland Extrem" führt gegen den Uhrzeigersinn. Die Laufbewerbe starten in aller Herrgottsfrüh – wir waren aber zu sehr mit uns und dem, was wir hier erlebten, beschäftigt, um die Läuferinnen und Läufer wirklich wahrzunehmen.

Die Strecke war fein – und zum Wandern genauso gut wie zum Laufen: Meistens ist man auf den asphaltierten Radwegen der Region unterwegs. Es ist (Burgenland eben!) brettleben. Und erst ganz am Schluss kommt man auf eine Bundesstraße, die aber an diesem Tag für den Autoverkehr gesperrt ist: Besser und sicherer geht es nicht. Auch für ungeübte Wanderer.

Foto: Carina Pusch

Das spürte ich – egal ob ich mittendrin oder ganz hinten war: Es war anstrengend, aber es gab keine Durchhänger oder Motivationsprobleme.

Und dieses Durchhaltevermögen, dieser Wille, über das Gewohnte hinauszugehen, hat mich mehr als beeindruckt. Aber vor allem: sehr positiv überrascht.

Auch jetzt, nach über 25 Kilometern, waren alle fröhlich. Aber als dann das Schild am Straßenrand auftauchte, das die letzten zwei Kilometer ankündigte, waren alle froh, das Ziel schon in greifbarer Nähe zu wissen. Ein paar fragten sogar, ob sie die letzten beiden Kilometer laufen könnten. Ein Zielsprint sozusagen. Und weg waren sie ...

Foto: Carina Pusch

... aber was für mich noch schöner war: Beim Ortseingang nach Oggau warteten dann auch die "Sprinter" auf alle anderen. Und zwar ganz von selbst: Wir waren gemeinsam unterwegs gewesen und (auch wenn sich die Gruppe immer wieder auseinandergezogen hatte) auf diesen 30 Kilometern zu einem Team geworden. Waren gemeinsam gestartet – und würden auch gemeinsam ankommen.

Neben der sportlichen Komponente, dem Erleben, was 30 Kilometer "Gehen" bedeuten – und das bei Kälte und doch auch beißendem Wind –, ist das für mich dabei eine ganz zentrale Botschaft: das Gefühl, das Lernen, dass man zusammengehört. Das Erleben, dass es in der Gruppe immer einfacher ist, ein Ziel zu erreichen. Auch weil man sich gegenseitig motiviert und selbst dann, wenn es zäh wird, mitzieht – und man das Nachlassen der eigenen Kräfte in der Gruppe manchmal nicht einmal merkt.

Foto: Carina Pusch

Ich bin superstolz auf "meine" Kids: Offiziell waren es 31 Kilometer. Wir waren ziemlich genau fünfeinhalb Stunden unterwegs. Und meine Schülerinnen und Schüler sind keine erfahrenen Power- oder Dauerwanderer oder Extremsportler: 30 Kilometer durchhalten ist auch für die meisten Erwachsenen jenseits von dem, was sie sich selbst zutrauen würden – oder wozu sie sich aufraffen könnten.

Diese 30 Jugendlichen haben da am Freitag etwas geschafft, worauf sie für immer stolz sein können – ungeachtet der Kilometer oder der Geschwindigkeit: Sie haben sich selbst bewiesen, dass sie Dinge können, die sich die meisten von ihnen vor einem halben Jahr wohl selbst nicht zugetraut hätten. Und das ist eine der wichtigsten Botschaften, die ich ihnen als Lehrerin mitgeben kann: Traut euch!

Foto: Carina Pusch

Und jetzt?

Schon im Bus, auf dem Weg zurück nach Leoben, fragten dann ein paar Schüler, ob wir hier nächstes Jahr wieder starten könnten. Und ob sie eventuell Freunde oder Geschwister von anderen Schulen mitnehmen könnten.

Von mir aus gern – und vielleicht sind 2021 bei der "School of Walk" auch Schulklassen aus allen Bundesländern mit dabei. (Tom Rottenberg, Carina Pusch, 29.1.2020)

Carina Pusch ist Lehrerin am Europagymnasium Leoben. Mehr Bilder von der 30-Kilometer-Wanderung gibt es auf dem Instagram-Account der Schule.


Burgenland Extrem

Foto: Carina Pusch