Die alpine Pflanzendecke nimmt während Dürreperioden Bergbächen das Wasser weg.
Foto: gkuna

Wien – Während Dürrezeiten schließen Pflanzen ihre Spaltöffnungen und stellen das Wachstum ein. Aus diesem Grund geben sie bei Trockenheit auch deutlich weniger Wasser ab. So weit, so bekannt. In alpinen Lagen ist aber alles anders: Dort geben Bergwälder und Grasland in trockenen Zeiten hingegen mehr Wasser an die Luft ab als üblich. Schweizer Forscher haben nun nachgewiesen, dass dieses Phänomen mit zur Austrocknung der Alpenflüsse beiträgt.

Die Forschungsgruppe um Simone Fatichi vom Institut für Umweltingenieurwissenschaften der ETH Zürich (Schweiz), der auch Juraj Parajka und Borbala Szeles vom Centre for Water Resource Systems der Technischen Universität (TU) Wien angehörten, haben die Auswirkungen unter anderem des Hitzesommers 2003 großräumig für den gesamten Alpenbogen von der französischen Küste bis zu den Niederungen in Österreich untersucht. In ihr Computermodell speisten sie Daten von mehr als 1.200 Messstationen aus dem gesamten Alpenraum ein, darunter Wetterdaten und Abflussmengen von Flüssen.

Ausgesauger Boden

Üblicherweise sinkt bei Trockenheit die sogenannte Evapotranspiration, also die Verdunstung von Wasser aus der Pflanzenwelt sowie von Boden- und Wasseroberflächen. Es zeigt sich allerdings, dass das in höheren Lagen, etwa in bewaldeten Berggebieten, nicht der Fall ist. Den Beobachtungen zufolge ist dort die Evapotranspiration höher als in Wachstumsperioden mit durchschnittlichen Temperaturen und ausreichend Niederschlag. Denn Wärme und viel Sonnenschein begünstigen das Pflanzenwachstum. Der Stoffwechsel der Pflanzen ist höher, sie saugen den sprichwörtlich letzten Tropfen Wasser aus dem Boden und geben es als sogenanntes "grünes" Wasser an die Luft ab.

Dadurch verringert sich der Abfluss über Bäche und Flüsse aus dem Gebirge – die Forscher bezeichnen das als "blaues" Wasser. Dem Modell zufolge war die Evapotranspiration in Höhenlagen zwischen 1.300 und 3.000 im Hitzesommer 2003 in weiten Teilen der Alpen überdurchschnittlich hoch. Das hat auch Auswirkungen auf die Fließgewässer der Alpen, die im Sommer im Schnitt nur die Hälfte der sonst üblichen Wassermenge führen: Die Wissenschafter berechneten den Anteil der Evapotranspiration an diesem Defizit der Abflussmengen mit rund einem Drittel. "Die Vegetation dieser Höhenlage war also maßgeblich daran beteiligt, den halb ausgetrockneten Flüssen und Bächen das Wasser abzugraben", erklärte Fatichi in einer Aussendung.

In einem durchschnittlichen Sommer verdunstet weniger Wasser durch die Vegetation, in einem Sommer, der von Dürre und Hitze geprägt ist, hingegen mehr. Das verschärft den Wassermangel in Bächen.
Grafik: Michael Stünzi / ETH Zürich

Gefährdete Wasserversorgung

Sollten sich die Temperatur im Alpenraum aufgrund des Klimawandels um drei Grad Celsius erhöhen, würde dies den Simulationen zufolge die jährliche Verdunstung um sechs Prozent erhöhen, schreiben die Forscher im Fachblatt "Nature Climate Change". Die so an die Luft abgegebene Wassermenge wäre mit einem jährlichen Rückgang der Niederschlagsmenge in den Alpen um durchschnittlich 45 Liter pro Quadratmeter vergleichbar – das entspricht drei bis vier Prozent des Jahresniederschlags.

Dadurch würden sich die Abflussmengen in Flüssen und Bächen weiter verringern. Diese "Verschiebung von blauem zu grünem Wasser" gefährde langfristig die Wasserversorgung der tiefer gelegenen Regionen innerhalb und am Rand der Alpen, warnen die Forscher. Denn zusätzlich zur erhöhten Evapotranspiration wird durch die Klimaerwärmung generell mit weniger Niederschlag gerechnet, zudem schwinden die Reserven an Gletschereis. Dabei ist Europa auf das "blaue" Wasser aus den Alpen angewiesen, betonen die Wissenschafter und verweisen auf die großen europäischen Flüsse wie Rhein, Rhone oder Po, die rund 170 Mio. Menschen mit Wasser versorgen und einen wichtigen Teil der Stromproduktion sowie die Landwirtschaft sichern würden. (red, APA, 28.1.2020)