Auf hundert Gerechte kommt dann und wann ein schwarzes Schaf: Die irdischen Verhältnisse verdienen es, milde beurteilt zu werden.

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Mit dem Kirchenkritiker Adolf Holl hat ein aufmüpfiger Kopf die Herde der hierzulande Mehrheitsgläubigen verlassen. Nun ist die katholische Kirche seit längerem ans Schrumpfen gewöhnt. Aber nur zu gerne vergisst man die Leuchtkraft, die aus Kirchenrebellen Prototypen der Subversion macht.

Als ich kleiner Babyboomer von meiner Mutter an der Hand gefasst wurde, um einem Familienbegräbnis beizuwohnen, stieß ich erstmals auf einen solchen Donnerer. Die Einsegnung des Toten nutzte der auf dem Zentralfriedhof Dienst tuende Pater, um mit der Gottlosigkeit unserer Gesellschaft abzurechnen.

Ich, ein kleiner, dicker Bub, fror an diesem taubengrauen Wintertag 1971 entsetzlich. Der Priester, dessen Brillengläser noch dicker waren als gewöhnliche Kirchenfenster, machte "die sozialistische Regierung" für die gravierenden Übel der Neuzeit verantwortlich. Ihrer schlimmste: vorehelicher Geschlechtsverkehr; die kommunistische Bodenreform.

Hemmungsloses Cola-Trinken

Weiters geächtet: der Atheismus der Staatenlenker; die Verbreitung obszöner Schriften; die fehlende Ehrfurcht vor der Gnadenmutter; hemmungsloser Genuss von Coca Cola. Selbstverständlich bekamen die Beatles ihr Fett ab, weil sie angeblich ungewaschen waren; es fielen Begriffe wie "Haschbrüder", "Jazz-Hippies" und die anderer notorischer Vergifter des Brünnerstrassler Messweins. Die jungen Frauen geißelte der Gottesmann für deren Angewohnheit, ihr "Fleisch" vor den Augen lüstern Gestimmter "feilzubieten". Ich blickte verwirrt auf meine Mutter. Ich konnte mich nicht erinnern, dass Mama sich jemals vor unberufenen Gaffern entblößt gehabt hätte.

Auf dem Weg zum Leichenschmaus wurde die Identität des Geistlichen von einer Tante gelüftet. Er sei der begabteste Prediger der österreichischen Christenheit! "Und was macht er dann am Zentralfriedhof?", fragte daraufhin ein Kleingläubiger. "Ja, was glaubst", entgegnete die Verwandte, "den hat das Erzbischöfliche strafversetzt! Man sagt: Das Fleisch war eben doch zu schwach", grinste die Wissende vielsagend. Für den Pater mag gegolten haben, was mir meine Mutter zu anderer Gelegenheit mitteilte: "Der liebe Gott? Das ist kein Landgendarm!" (Ronald Pohl, 29.1.2020)