Boris Wörister, Gitarrist und Songwriter von Die Brüder – am Freitag live im Wiener Chelsea.

Foto: Fritz Ludl

Der Blick zurück ist oft klarer als der nach vorn gerichtete. Dementsprechend leicht lässt sich heute zustimmen, wenn die Band Die Brüder ihr neues Album mit einem Song eröffnet, der It Was Over Too Soon heißt.

30 Jahre nach dem dritten und letzten Album hat sich die legendäre Wiener Formation nun wiederbelebt. Sie grub aus dem Archiv unveröffentlichte Aufnahmen aus und überarbeitete alte Songlayouts. Daraus entstand ein verwegen Drifters genanntes Album; am Freitag wird es im Wiener Chelsea live präsentiert. Das Beste der Band aus den Resten der Band – das spricht schon für die Qualität dieser Verwandtschaft.

Die Sache mit dem Demo

Die Brüder entstammten der Szene der Underground-Disco U4, als diese weit vorn dabei war. Dort spielten zu unchristlichen Zeiten große Bands ihrer Zeit – von Prince bis Nirvana –, und die DJs waren angesagte Pioniere der Platten verlegenden Kultur. Einen davon fuhr ein Freund der Band so gegen 1985 nach dem Auflegen einmal nach Hause. Im Autoradio lief ein Demo der Brüder, das erregte das Interesse des Beifahrers, und er schwatzte es seinem Chauffeur ab. Der Beifahrer war Radiomacher, ein Verführer und Ermöglicher: Werner Geier.

Am nächsten Tag liefen Die Brüder erstmals in der Ö3 Musicbox, dem wichtigsten Radioformat für aufregende neue Musik. Damit war ein Stein losgetreten.

Die Brüder früher, in den 1980ern.
Foto: One Million Rec.

Zum ersten Konzert der Band kamen nicht weniger als 800 Besucher. Gitarrist Boris Wörister erinnert sich, dass damals ein sehr junger Peter Kruder in der ersten Reihe stand und beim Song All Those Years laut mitgesungen hat. Das Lied stammt aus dem 1987 erschienenen Debütalbum Trying to Remember How to Forget. Die Brüder waren damals die namensgebenden Marc "Punc" und Boris Wörister, Gerrit Karobath, Gernot Butschek und Willy Brumec.

Die magere Ausbeute via Youtube – das hübsch betrübte Going Alone.
Eleni Be

Das Album wurde in London aufgenommen und ist von der Produktion her ein Kind seiner Zeit. Ungeachtet dessen war das ein souveränes Werk. Der brüderliche Gitarren-Pop stand zwar unter dem Einfluss von britischen Melancholikern wie The Smiths, und auch die frühen R.E.M. waren als Zeitgenossen so etwas wie Brüder im Geiste. Doch man muss keine Vergleiche mit großen Namen bemühen. Diese Musik war geprägt von einem Internationalismus und einem Popverständnis, das hoch über dem Provinzmief des gängigen Kopistentums schwebte.

28 Jahre Pause

In ihrer kurzen Karriere verbuchte die Gruppe nicht wenige Höhepunkte. Auftritte im Marquee in London, Headliner beim Wiener Festival Big Beat, Vorgruppe bei The Cure beim Open Air im Bergisel-Stadion, Touren durch Deutschland, Festivals im damaligen Ostblock vor tausenden Besuchern.

Der Titelsong des zweiten Albums der Brüder: Time Is The Killer.
Gio Vienna

Boris Wörister klingt unsentimental, wenn er das heute erzählt, ein wenig stolz dürfte er dennoch sein. Zu Recht: Für viele waren Die Brüder die damals beste heimische Band. Wörister ist bis heute im Musikgeschäft, lebt aber seit den frühen 1990ern in Los Angeles. Dort gab die Band vor 28 Jahren ihr bislang letztes Konzert. Ihr Erbe hat sie in der Zwischenzeit nicht sehr gepflegt, auf Youtube sind nicht mehr als zwei, drei Songs zu finden.

Rock-’n’-Roll-Riot

Drifters zeigt nun in einer zeitgenössischen Produktion, wie bestechend die Band sein konnte. Die Songs klingen roher, ohne deshalb an Eleganz einzubüßen. Wörister konnte tolle Hooklines schreiben, das zweite und populärste Album Time Is the Killer (1988) ist voll davon. Die Songs von Drifters sind nun so etwas wie das Sahnehäubchen obendrauf. Das ist die gute Nachricht. Auch dass alle Konzertbesucher am Freitag das Album zur Eintrittskarte gratis bekommen, ist schön.

Aber es gibt auch eine nicht so tolle Nachricht: Die Show ist ausverkauft. Vollkommen. Aber vielleicht lässt sich die Band über ein wenig Rock-’n’-Roll-Riot zu einem zweiten Gig am Samstag bewegen, am Chelsea als Gastgeber scheitert es nicht. Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird: Wenn es tatsächlich das Ende der Brüder sein sollte, so ist es eines on a high note. (Karl Fluch, 28.1.2020)