Im Gastkommentar bezieht der Historiker Martin Tschiggerl in der Causa Höbelt Position. In einem weiteren Gastkomentar erwidert Universitätsprofessor Thomas Helmuth Höbelts Aussagen bezüglich Zeitzeugen.

Als geschichtstheoretisch versierter Historiker fühlt man sich bei der derzeitigen Debatte über Lothar Höbelt fast unweigerlich an ein bekanntes Zitat von Karl Marx erinnert. Georg Wilhelm Friedrich Hegel ergänzend, erklärte Marx über das Wesen der Geschichte, dass sich große weltgeschichtliche Ereignisse immer zweimal ereignen würden: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Zwar ist mein Kollege Höbelt weit weg von weltgeschichtlicher Bedeutung, trotzdem scheint die Rede von der sich wiederholenden Geschichte hier allzu treffend. Schließlich ist Höbelt die Farce der Tragödie, die Taras Borodajkewycz war.

Wir erinnern uns: Ab 1961 sorgte der Historiker Borodajkewycz, Professor an der Hochschule für Welthandel, für eine der ersten großen Kontroversen im österreichischen Umgang mit der NS-Zeit. Als bekennender Antisemit war Borodajkewycz, der stolz auf seine NSDAP-Mitgliedschaft war, ausgesprochen beliebt unter seiner rechten Hörerschaft und sah sich selbst geschützt als Vorkämpfer der Freiheit von Lehre und Forschung. Die Proteste gegen ihn forderten das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik: den 67-jährigen ehemaligen Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger, erschlagen vom RFS-Mitglied und FPÖ-Funktionär Gunther Kümel. Borodajkewycz selbst blieb weiterhin Professor, bis er 1966 gegen erheblichen politischen Widerstand und bei vollen Bezügen zwangsweise pensioniert wurde.

Unwürdiges Spiel mit Tabubrüchen

Höbelt ist gleichsam eine postmoderne Version Borodajkewyczs, die Causa Höbelt der postmoderne Aufguss der Borodajkewycz-Affäre. Anders als Borodajkewycz, der aus seiner Überzeugung kein Hehl gemacht hat, flüchtet sich Höbelt gern in Relativierungen, vermeidet feste Positionen und bedient sich einer bunten Bricolage an Codes und Andeutungen. Er weiß genau, wo die straf- und vor allem auch dienstrechtlichen Grenzen des Sagbaren im Umgang mit der NS-Zeit liegen, und spielt ein wissenschaftlich unwürdiges Spiel mit angedeuteten Tabubrüchen.

Wenn er öffentlich NS-Zwangsarbeiter als Gastarbeiter bezeichnet, die gegenwärtige Gedenkkultur und somit das Holocaustgedenken einen Marketinggag nennt oder anmerkt, dass sich die gängigen populären Darstellungen der Entstehung des Zweiten Weltkriegs nur unwesentlich von der "Goebbels’schen Propaganda" unterscheiden würden, so durchbricht er damit keine diskursiven Grenzen oder gar Gesetze, erlaubt allerdings die Frage, ob er wirklich dazu geeignet ist, den Fachbereich "Neueste Geschichte" in seiner vollen Breite in der Lehre zu vertreten.

Aus der Zeit gefallen

Wann immer versucht wird, Höbelt auf seine getätigten Aussagen festzunageln, gibt er sich missverstanden, falsch zitiert und aus dem Zusammenhang gerissen. Sein Liebäugeln mit revisionistischen Positionen, Personen und Publikationsorganen wirkt in einer Gegenwart, in der Internationalisierung, Peer-Review, Rankings und drittmittelfinanzierte Spitzenforschung als Buzzwords den wissenschaftlichen Alltag prägen, vollkommen aus der Zeit gefallen – wie eine Persiflage auf die alte Rede vom Mief von tausend Jahren unter so manchen Talaren. Wissenschaftlich ein lupenreiner Historist des 19. Jahrhunderts, täte Höbelt vielleicht am besten daran, es auch bei Aussagen zu dieser Epoche zu belassen.

Die oft ins Feld geführte Freiheit von Lehre und Forschung soll die Wissenschaft vor einer Einflussnahme durch den Staat schützen, nicht aber uns Wissenschafter und Lehrende vor Gegenwind durch ebenjene, die offenbar nicht von uns belehrt werden wollen. Wie schon bei Borodajkewycz waren es immer wieder politisch aktive Studierende, die sich gegen Höbelt gestellt haben. Auch wenn die Situation in den letzten Wochen nicht zuletzt aufgrund der Anwesenheit eines "Saalschutzes" von Mitgliedern der rechtsextremen Identitären Bewegung Ausmaße angenommen hat, die sich nicht mehr mit den Grundsätzen einer freien und offenen Hochschule vereinen lassen, ändert dies wenig an der Grundproblematik: dem Recht der Studierenden auf Widerstand. Dass dieser Widerstand allerdings nicht in Gewalt ausarten darf, sollte sich auch von selbst verstehen.

Die Macht, gehört zu werden: Studierendenprotest gegen eine Vorlesung Lothar Höbelts an der Universität Wien im Dezember.
Foto: presse-service.at

Privilegierte Diskursposition

Opinion-Leader, die offenbar vergessen haben, wie es ist, wenn die eigene Position marginal und nicht wirkmächtig ist, werfen den Demonstrierenden gern vor, allzu empfindlich zu sein und die öffentliche Debatte als diskursive Rede und Gegenrede im Sinne Jürgen Habermas’ zu scheuen. Dieser Vorwurf mag vielleicht in manchen Fällen nicht vollkommen unbegründet sein, greift jedoch trotzdem zu kurz. Denn Diskurse sind mitnichten so herrschaftsfrei wie oft idealtypisch imaginiert – sie sind geprägt von Macht und Machtverhältnissen.

Im Kontext der aktuellen Debatte ist es dabei vor allem die Macht, gehört zu werden: Höbelt verfügt über eine privilegiertere Diskursposition als die Studierenden, die gegen ihn protestieren. Er schreibt Gastkommentare in Zeitungen – auch im STANDARD –, wird in Talkshows und zu Vorträgen eingeladen, veröffentlicht Bücher, hält Vorlesungen – kurz, seine Aussagen werden breit rezipiert und dazu genutzt, ewiggestrigen Ideologien den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu geben. Höbelt provoziert und verspottet dann jene, die zu Recht empört sind und auf eine besondere Verantwortung der Geschichtswissenschaft in einer der Nachfolgegesellschaften des NS-Staats hinweisen. Die Studierenden haben im Gegensatz zu ihm wenig andere Optionen, ihre Standpunkte öffentlichkeitswirksam zu inszenieren, als jene, die sie auch genützt haben: durch Proteste und Störaktionen.

Dies mag lästig für die Betroffenen sein, ist demokratiepolitisch jedoch vollkommen im Rahmen einer legitimen Meinungsäußerung und erfreut sich an Universitäten einer langen Tradition. Schade ist lediglich, dass Höbelt dadurch einmal mehr jene Bühne zur Selbstinszenierung geboten wird, nach der er sich so sehr sehnt, die sein wissenschaftliches Œuvre aber eigentlich nur bedingt verdient. (Martin Tschiggerl, 29.1.2020)