Im Gastkommentar macht der Historiker Thomas Hellmuth Anmerkungen zu Lothar Höbelts Aussagen über Zeitzeugen.

Lothar Höbelt und Jasmin Chalendi im Streitgespräch, das auch am Geschichtsinstitut für Unmut sorgte.
Foto: Matthias Cremer

Man höre und staune: Lothar Höbelt scheint nun auch unter die Geschichtsdidaktiker gegangen zu sein. In einer Videodebatte zwischen ihm und der Wiener ÖH-Vorsitzenden Jasmin Chalendi im STANDARD bezeichnete er es als falsch, Zeitzeugen und Zeitzeuginnen aus der NS-Zeit an Schulen zu holen. Er beruft sich dabei auf die Quellenkritik, die als grundlegend für geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse gilt. Schüler und Schülerinnen, so sein Argument, würden sich nicht trauen, kritisch nachzufragen.

Etablierte "Oral History"

Nun gibt es aber eine umfangreiche fachdidaktische Literatur dazu, wie im Unterricht mit Zeitzeugengesprächen sinnvoll verfahren werden kann. Schon ein Blick in diese Literatur würde Höbelt lehren, dass etwa historische Kontextualisierung, die Auseinandersetzung mit der Problematik des Erinnerns sowie Multiperspektivität dabei grundlegend sind. Basierend auf der in der Geschichtswissenschaft längst etablierten Methode der "Oral History" hat die Fachdidaktik schüleradäquate Methoden entwickelt, um eben – es ist ja anzunehmen, dass Höbelt unter "kritisch" nicht "revisionistisch" meint – einen kritischen Blick zu gewährleisten. Mehrere Institutionen, darunter etwa der im Unterrichtsministerium angesiedelte Verein Erinnern.at, bieten zudem fachdidaktisch fundierte Zeitzeugengespräche und Materialien für Schulen an. Und nicht zuletzt zeigen zahlreiche Lehrer und Lehrerinnen auch in der Praxis, wie solche Gespräche beispielhaft im Unterricht angewandt werden können.

Seit Jahren sind die österreichischen Universitäten, darunter die Universität Wien, daran interessiert, eine qualitativ hochstehende Lehrer- und Lehrerinnenausbildung zu garantieren. Unqualifizierte Aussagen wie jene Höbelts konterkarieren diese Bemühungen. Zeitzeugengespräche gehören selbstverständlich an die Schulen und müssen – solange es noch Menschen gibt, die die Zeit des Nationalsozialismus miterlebt haben – Teil des methodischen Repertoires sein. Immer mehr wird man sich aber mit "Video History" begnügen müssen. Aber keine Angst: Auch dafür gibt es ja bereits fachdidaktische Literatur und Erfahrungen aus der Praxis. Man möchte Lothar Höbelt also zurufen: Zuerst sich informieren und dann reden! (Thomas Hellmuth, 29.1.2020)