In ihren Werken schlüpft die US-Künstlerin Cindy Sherman in Rollen, hinterfragt die Konstruktion von Identität und inspirierte so nachfolgende Künstlergenerationen.

Foto: Cindy Sherman / Metro Pictures, New York

Ein kleines Krönchen steckt im Haar, in langen Locken fällt es wasserstoffblond auf eine Trainingsjacke, die Lippen sind dunkel umrandet. Eine Pelzjacke liegt auf den Schultern, die Schneidezähne schauen prominent zwischen den Lippen hervor, die behandschuhten Hände überkreuzen sich vorm Bauch. Der Blick haftet ekstatisch an der Zimmerdecke. Schwarz-weiße Unterwäsche ist durch den offenen Bademantel zu sehen, darunter Bettwäsche mit Blumenmuster. Unterschiedliche Rollen, unterschiedliche Frauen, unterschiedliche Körper – Cindy Sherman kann vieles sein. Eigentlich alles.

Ikone, Vorbild, Inspiration

Dies steht in der großangelegten Schau im Bank-Austria-Kunstforum von Anfang an fest. Ihren unbetitelten, lediglich nummerierten Fotoporträts und Filmstills begegnet man dort immer wieder. Unter dem Titel The Cindy Sherman Effect. Identität und Transformation in der zeitgenössischen Kunst werden Arbeiten der US-amerikanischen Künstlerin jenen von 21 zeitgenössischen Kunstschaffenden gegenübergestellt und damit Shermans Vorbildfunktion thematisiert. Welchen Effekt hatte Sherman auf nachfolgende Künstlergenerationen? Auf Pipilotti Rist, Candice Breitz oder Monica Bonvicini?

In den 1980ern wurde Sherman durch ihre "Untitled Film Stills" bekannt. Sie schlüpfte in Rollen und zeigte den Bruch zwischen authentischer Selbstdarstellung und inszenierter Manipulation auf. Schon früh fragte die 1954 geborene Künstlerin nach der Konstruktion von Identität. In ihren Arbeiten ging es nie darum, Selbstporträts zu entwerfen, so die Kuratorin Bettina Busse, sondern immer darum, die äußeren Einflüsse zu hinterfragen, die dazu zwingen, bestimmte Identitäten anzunehmen. Welche Rolle können, sollen, müssen wir spielen? Dabei beschäftigte sich Sherman insbesondere mit jenen von Frauen und versuchte Geschlechterstereotype zu dekonstruieren. In Feminismusdiskussionen ließ sich Sherman dennoch nie einbinden.

Umschnalldildos und Spiegeleier auf dem Busen

So beziehen sich die ausgewählten Werke und künstlerischen Positionen inhaltlich auf die Themen, die auch schon in Shermans Werk von Bedeutung sind. Dass sich die nachfolgenden Künstlergenerationen queerer Identität, Sexualität und Gleichberechtigung widmen konnten, sei auch ein Verdienst Shermans, so die Botschaft der Schau. Die Direktorin des Kunstforums, Ingried Brugger, stellt an dieser Stelle die rhetorische Frage, wie die Kunst der letzten Jahrzehnte ohne Shermans Einfluss ausgesehen hätte.

Vielleicht hätte Zanele Muholi ihrer nackten schwarzen Frau keinen weißen Umschnalldildo verpassen oder Sarah Lucas sich keine Spiegeleier auf die Brüste legen können, wenn Sherman nicht Anfang der 1990er künstliche Geschlechtsteile in pornografischen Posen porträtiert hätte. Vielleicht wären Julian Rosefeldt oder Gillian Wearing nie auf die Idee gekommen, inszenierte Porträts zu erschaffen, wenn Sherman es nicht vorgemacht hätte. Vielleicht hätten auch die filmischen Arbeiten von Ryan Trecartin oder Candice Breitz anders ausgesehen, hätte Sherman nicht bereits vor der Digitalisierung, der omnipräsenten Bilderflut und vor Realityshows ebendiese Welt in ihren fotografischen Charakteren prophezeit.

Verdrehter Aufbau im Kunstforum

Eine Neuheit bei der Schau im Kunst forum ist die umgedrehte räumliche Präsentation: So beginnt die Ausstellung nicht wie gewohnt im prominenten Säulensaal, sondern in dem sonst letzten Raum. Durch den Bookshop wird dieser nun als Eingang betreten, die gleich dahinter angrenzenden Räume avancieren zu teilweise abgedunkelten Videoplattformen. Das Konzept leuchtet ein, auch wenn die üblichen Haupträume etwas darunter leiden. Wie wäre es wohl, wenn Videos zwischen den barocken Säulen laufen würden?

Beim Aufbau der Schau ging es nicht dar um, ähnliche Stile zu bündeln, sagt Bettina Busse, sondern darum, die inhaltlichen Überschneidungen der Positionen aufzuzeigen. Stellenweise sind die Arbeiten thematisch gehängt, sie werden aber nicht streng sortiert und teilweise hart gebrochen. Reduzierte Beschriftung gibt wenig vor und lässt eine individuelle Lesart offen.

So befindet sich Shermans Madonna mit der blanken Brust neben einer Fotografie von Catherine Opie, in der diese ein Kind stillt – ihr Oberkörper allerdings komplett entkleidet ist. Daneben hängen plötzlich schwarze Gurtbänder von der Decke. Die Installation konzipierte Monica Bonvicini extra für die Schau – eine Mischung aus SM-Spielzeug und Kletterausrüstung. Ein Cindy-Sherman-Effekt? (Katharina Rustler, 29.1.2020)